KategorieEinsinken ins Land

Gut Aich

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Mitten auf der Wiese, hoch über dem Fuschlsee, steht ein großer Palmenbusch. Ich sehe ihn vom Bus aus. Er soll wohl zum Segen sein für die Menschen, die hier leben und für eine gute Ernte.

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Die Franziskanerinnen sind Anfang der 90er Jahre gegangen und 4 innovative Benediktinermönche haben Ende der 90er Jahre begonnen, das Europakloster mit herausragendem Idealismus zu gründen, aufzubauen, zu erweitern. Die Gemeinschaft selbst bleibt immer klein. Zurzeit sind 9 Mönche hier. Ihre individuelle Handschrift ist deutlich zu sehen und gleichzeitig ist sie typisch für Klöster, die dem Leben dienen. Sie verstecken sich nicht und zeigen sich mit Stärken und Schwächen. Außerdem gibt es hier neben vielen Mitarbeitenden eine besetzte Pforte, ein Hildegard-Zentrum für die Gesundheit, Kunstwerkstätten, eine Kellereimanufaktur, viel Garten und Wald, eine Noreia-Abteilung, einfache Schlafräume, eine Klausur, eine Kapelle und weitere großzügige Räume für Begegnung und Stille. Bienen, Hühner, Gänse. Etwas Kitsch, etwas Weihwasser, sehr viel Kerzenlicht und Brunnen, die ich zu lieben beginne. Die frischen Blumen. Die Einfachheit der Speisen, die besonders fein abgeschmeckt sind. Die Spiritualität, die es mir überlässt, ob ich mitkomme oder nicht, was ich mir davon nehme. Wie gut ist es, nicht reden zu müssen.
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Beim Essen in Gemeinschaft zu schweigen bedeutet für mich, aus Äußerlichkeiten Rückschlüsse zu ziehen. Obwohl ich versuche, genau diese Gedanken abzustellen. Und ich frage mich, wie weit es gelingen kann, sich bedeckt zu halten, wenn man nicht miteinander spricht. Ich möchte keine neuen Menschen kennenlernen und tu es trotzdem auf einer anderen Ebene. Wenn man in Stille isst, sieht man auf den Teller oder aus dem gegenüberliegenden Fenster auf die Wiese, in der die Hühner picken. Man schaut nicht in die Augen des Gegenübers. Das würde den Willen zu einem Gespräch implizieren. Ich denke an jene, die meistens in Stille essen.
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JedeR bringt etwas mit, auch Lasten. Einfache Gesten freundlicher Wertschätzung. Handwaschung und Reisesegen. Ein Tischgebet. Ein Begrüßungsschnaps und eine Schale gefüllt mit Äpfeln. Die unbeirrte Einladung zur Teilnahme an den Liturgien. Meine unbeirrte Gewissheit, ganz wenig davon zu brauchen.
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Mein Vorhaben, die Tage hier zur Konzentration zu nutzen, gelingt mir nach einer kurzen Eingewöhnungsphase gut. Ich muss auf viel Ablenkendes verzichten. Zum Beispiel eine Bergwanderung. Oder eine Schifffahrt auf dem Wolfgangsee.

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David Steindl-Rast fasziniert immer noch. Er ist eine lebende Legende: Wenn ich mich in den Abgrund der Stille fallen lasse, kann ich still die große Stille feiern, in der alle Worte noch schlummern. Aber auch als Guru verheddert man sich leicht, wenn man zum Beispiel erklären will, warum Gott ist. Oder wer Gott sein könnte. Es gibt in mir einen natürlichen Widerstand gegen das allzu Fromme.
Meine Tradition liegt in der Einsamkeit der Berge. Von dort kommt alles immer wieder zurück. Am letzten Tag meines Aufenthaltes sehe ich Bruder David am Marienaltar beten und segnen, zusammen mit zwei Fans von ihm. Er ist ein Greis. Beim Verlassen des Raumes dreht er sich noch einmal um und winkt uns zu wie ein Kind, das sich verabschiedet.
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Das jubelnde Geläut aus Glocken.

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Am Wolfgangsee ist eine Entenmutter mit ihren 4 Jungen zu sehen, wie sie im Sonnenglitzer schwimmend das Seeufer erobern. Einer der Mönche hat bei der Einführungsrede darauf hingewiesen und jetzt sehe ich die schwimmende Bande.
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Der Marienbrunnen in der Kapelle hat etwas Anziehendes. Nicht nur für mich. Man kann was dazulegen, man kann was wegnehmen, man kann sich was wünschen. Und man weiß den See in der Nähe. Da kann der Antonius(leuchter) nicht mithalten, obwohl ich ohne ihn in meinem Leben ganz schön verloren wäre!
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In der Pforte lege ich ganz schön viel Geld für Bücher, Schnäpse, Heilkräutertinkturen und Salben. Mitbringsel für die Lieben daheim. Der Reliquienhandel funktioniert. Kreislaufwirtschaft.
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Augentrost für klare Sicht, Drei-Königs-Tropfen für ganzheitliche Wegweisung, Frauenmantel für weibliche Harmonie, Kardenwurzel für kraftvollen Widerstand, Herzgespann für Herzlichkeit, Mädesüß für Lebensfreude, Mariendistel für Entspannung, Alant für befreites Durchatmen, IM_PHI+ für eine goldene Beziehungsquelle, Vogelbeere für belebende Perspektive … das alles und noch viel mehr gibt es zu kaufen ….
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Natürlich ist ein Kloster gerade in Zeiten wie diesen eine ganz andere Welt, die auch nur mit sehr viel Hirnschmalz aufrechterhalten werden kann. Hier gibt es viele Stellvertreterposten oder Handelsabkommen: Ich bete für dich, du machst für mich die Wäsche. Ich bete für dich, du machst für mich den Garten. Ich denke für dich über Gott und die Welt nach. Du machst mir einen guten Vertrag. Ich habe eine Vision. Du verwirklichst sie für mich.

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Das kurze Eintauchen in den See bringt meinen Kreislauf in Schwung. Mehr als 10 Schwimmzüge gehen sich bei 12 Grad nicht aus. Nacken und Fußsohlen wehren sich, der übrige Körper freut sich.
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Der See ist Seelsorger.

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Vor dem Haus steht eine Sommerlinde. Ganz zart. Eine Franziskanerschwester aus Au am Inn hat sie 1967 gepflanzt. Sie ist schon ganz schön groß. 15
Aus dem Zimmerfenster schaue ich auf den Schafberg.
Die Berge. Nacht und Tag und Nacht. In der späten Dämmerung schauen sie gegen den Himmel betrachtet aus wie große Zauberwesen.
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Br. David:
In meiner schriftstellerischen Tätigkeit ist es mir immer klarer geworden, dass auch gesprochene und geschriebene Worte geheimnisvolle Gebilde sind.
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Das Beste an den Sternen ist, dass sie sich kaum verändern, obwohl alles rasend schnell unterwegs ist. Ich kann mich darauf verlassen, dass im Frühjahr das Sternbild des Löwen  aus dem Süden heraufsteigt, auch wenn ich es nicht auf Anhieb erkenne.

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Welchem Gegenstand oder welcher Richtung wende ich mich in der Kapelle für einen Augenblick des Innehaltens zu? Dem Licht, das durch die bunten Glasfenster fällt? Dem Blumenstrauß vor dem Altar? Dem Vogelgezwitscher von draußen?
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Die schönsten Gebete werden in der Nacht „gesungen“. Der Raum ist voller Kerzenlicht und Stille.
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Das Gegenteil von Arbeit ist Muße? Oder Freizeit? Oder gar Spiel?
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Ich schließe mich aus dem Haus aus, in dem mein Zimmer ist. Ich werfe ein paar Steine gegen ein Fenster, hinter dem ich Licht sehe, in der Hoffnung, dass mich jemand hört. Es gelingt, und ein freundlicher Herr lässt mich ein.
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Am frühen Morgen höre ich 12 Böllerschüsse. Ist Krieg? Nein, es ist 1. Mai und ich bin im Salzkammergut. Die Nacht vom 31. April auf den 1. Mai wird hier als Bosheitsnacht bezeichnet. Der Hausmeister  erzählt mir von einigen Streichen, die in dieser Nacht passieren.  Zum Beispiel werden Dinge, die nicht niet- und nagelfest sind, irgendwo hingebracht und an unorthodoxen Orten präsentiert. Da wird eine Scheibtruhe in den Baum des Nachbarn gehängt oder Nummernschilder vertauscht oder Blumen umgepflanzt oder Blumenkästen verschoben und so weiter und so fort. Er erzählt mir auch, dass er in einer Garconniere in einem der Klostergebäude wohnt. Das Kloster gibt ihm Arbeit. Man kümmert sich um ihn.
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Der Hausmeister war gestern den ganzen Tag zwischen den vielen Klostergebäuden unterwegs, mit dem Bagger, mit dem Rad, mit und ohne Anhänger, hat Kompost ausgebracht, neuen angesetzt, sich um das Auf- und Zusperren der vielen Räume gekümmert und …
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Vor dem Kloster hängt heute eine Fahne mit einem Wildschwein als Wappentier. Es ist die Fahne des Heimatortes des Seniorpriors, der gestern Geburtstag hatte. Da wurde sie gehisst. Er hat sich in den vergangenen 20 Jahren derart verausgabt, dass er sich jetzt bedenklich verrückten Bräuchen hingibt.
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Es ist immer ein Paradoxon im Raum.

Hochwasser


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Mein Kollege schickt mir Fotos und Videos vom Taschelbach. Dieses Rinnsal, das man normalerweise nicht bemerkt, wird plötzlich zu einem reißenden Fluss. Ich schau mir ausnahmsweise Zeit im Bild Spezial an. Überall Wasser. Nur ernste Gesichter und tiefe Stimmen. Der Wahlkampf ist unterbrochen, macht Pause. „Wir müssen jetzt zusammenhalten.“  Irgendwie sind aber auch alle sensationsgeil oder froh, wieder einmal „richtig Mann“ und „rettender Held“ sein zu dürfen. Das ist meine böse Zunge. Sie weiß, was sie sagt. Ich hab Leichtes. Muss keine Sandsäcke füllen und keine Keller ausräumen. Ich kann mich zurückziehen.

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Zu Hause gehe ich wie auf rohen Eiern durch alle Räume und durch die Beziehung.

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Im Traum lande ich auf einer Insel. Sie heißt Raftin. Ein junges Kind ist bei mir. Es kann schon laufen. Es ist eine arabische Insel mit russischer Besatzung. Wir sind zu zweit allein in einer luxuriösen Wohnung und warten darauf, abgeholt zu werden. Während des Wartens sind wir die ganze Zeit mit Staunen beschäftigt.

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Bei den Schlüsseln hört sich der Spaß auf.

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Ich fürchte mich ein bisschen vor der fetten Schrift.

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Zur Feier des Tages.

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Ich fahr mit ihm an die March. Das Leben ist schön steht unter Wasser. Die Sonne glitzert im Marchsee. Wir rufen unsere Gedanken in die menschenleere Gegend.

Chillen


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Einsam sein heißt, mit sich selbst zusammen sein. Das Alleinsein als Befreiung von der pluralistischen Vielfalt erleben und für die Entdeckung der Differenziertheit der eigenen Stimme plädieren, darauf stürze ich mich jetzt einmal frischfröhlich.

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In guten Büchern liegt der der Gewinn in der Sprache.

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Dass Geld immer Thema ist!

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Dass Liebe so schrecklich hart sein kann! Ihre französische Liebhaberin beherrscht die ganz, ganz feine Klinge. Mitten ins Herz damit, aber schön langsam, dass es richtig lange weh tut.

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Dass der Sommer so intensiv ist! I Halb taumelnd bewege ich mich durch Mistelbach. Hitze, Türke, Schwarztee, Bus.Hitze.

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Ich möchte ihm immer wieder zeigen, dass ich (auch) noch die bin, in die er sich damals verliebt hat. Das ist eine Mischung aus harter Knochenarbeit, Selbstüberschätzung und Dummheit.

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Ich klebe mir die deutsche Tastatur wie eine zweite Haut auf die englische. Das erleichtert mir den frühen Tagesstart. Der neue Laptop kann von Haus aus nur Englisch. In der Früh soll ich Briefe schreiben und WhatsApp-Nachrichten beantworten. Danach richte ich ein Frühstück für die Gäste und denke an meine Schwester, die einen guten Gedanken braucht.

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Ein schöner Spaziergang von Niedersulz nach Nexing. Mit Freunden und ihrem Lieblingshund. Aus einer Müdigkeit heraus umkreisen unsere Gespräche die Veränderungen des Lebens, das Wechselspiel, den Wechsel, die Veränderungen von Beziehungen und die Schönheit von Landschaften. Es ist alles doch irgendwie aufregend. Wir atmen frischen Wind.

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Ein Leben voller Sehnsucht versus ein Leben, das voller Überraschungen steckt.

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Kunekune hüten seinen Weingarten. Das sind Schweinchen aus Neuseeland, Hausschweine der Maori. Ich finde das sehr exotisch und findet in unserer Nachbarschaft statt.

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Verwandte sind zu Besuch in der Wiener Vorstadt. Alles sehr beschaulich und gemütlich. Mit Swimmingpool und vertrauten Geräuschen aus der Nachbarschaft. Wir essen Weißwürste mit Brezen. Ich gebe schon nach 3 Stunden w.o. Ich kann ein paar Dinge, aber chillen in Gemeinschaft, das kann ich nicht gut …

Meins!


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Dreck ist gefährlich.

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Ein Freund will die Besitzverhältnisse im Dorf sabotieren. Einfach einen Quadratmeter Ackerland abstecken und draufschreiben: „Meins!“

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Er hatte damals für ein Jahr lang ein Stipendium für einen Arbeitsplatz in der Publik-Library in NY. Er erzählt es in einem Interview auf Ö1. Es hört sich verführerisch an, wenn er sagt, dass es viele Menschen gibt, die schreiben können. Sich den Luxus, es als „Arbeit“ zu tun, den können sich allerdings nicht viele leisten.

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Und wieder einmal stolpere ich stressbeladen über Halberstatt, über John Cages Orgelstück Organ2. as slow as possible.

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Sein Vater war 45 Jahre lang Direktor einer kleinen Dorfschule, ein typischer Lehrer der „alten Schule“ mit Unterricht auf dem Bauernhof, im Wald und im Garten. Als er in Pension ging, schloss er die Schule einfach ab, warf den Schlüssel in den Briefkasten und ging nie wieder hin. Dieses unaufgeregte Beenden einer Lebensaufgabe hat den Sohn sehr beeindruckt.

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Das unendliche Streben des Menschen nach etwas Kommendem, das unabschließbar ist, das ist doch sehr romantisch. Und doch ist es ein echtes Vermissen, diese fehlende Verbundenheit mit einem Kosmos, einer Ordnung, die uns hält und überdauert.

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Mauersegler sind keine Schwalben, es sind Segler. Sie bleiben etwa 10 Monate vom Jahr in der Luft. Ihr Ruf ist sehr schrill, eher ein hohes Pfeifen.

Weissensee, ein halbes Jahr später


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Ich sitze im Zug nach Venedig und bin versucht, einfach weiterzufahren. Aber Weißensee ist das Ziel, das mir am Herzen liegt.

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Ich komme an und muss mich einmal für zwei Stunden bewegen, rund um den See gehen. Der See wirkt wie ein Schallverstärker. Deutlich höre ich Baulärm und Traktorenmotoren, jeder Bauer bringt anscheinend jetzt den Mist auf die Feldern aus. Kurz bevor es zu schneien beginnt. Die Fische, schwimmen betont langsam im glasklaren See. Er hat wenig Wasser, sagen die Einheimischen. Alle entschuldigen sich, dass das Wetter nicht schön ist und alle warten auf Regen. Alle entschuldigen sich, dass kein Wirtshaus offen hat. Dabei tut es so gut, hier ohne Touristen zu sein. Ich genieße den Alleinstellungsstatus. Die vielen „Betreten – Verboten“ – Schilder und die vielen Pensionen (jetzt in der Zwischensaison geschlossen und gerade dabei, sich einen neuen Anstrich zu verpassen), suggerieren etwas ganz anderes.

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Im geräumigen Eingangsbereich meiner Bauernhof-Herberge steht ein Osterstrauch in einer Vase.

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Der Weißensee ist an der tiefsten Stelle 60 m tief, und 12 km lang. Es gibt Moor- und Sumpfwiesen, und Haubentaucher.

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Das Schilf macht die Landschaft pastellfarben. Sanft. Obwohl dahinter Berge hinaufragen. Die Drau hat diesen See ausgeschürft und eine Mur am richtigen Ort hat ihn aufgestaut.

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Hier feierte eine meiner Schwestern ihren 30er.
Hier haben meine Schwägerin und mein Bruder geheiratet.
Hier leben die Platzhirsche Knaller.
Hier haben wir vor einigen Jahren einen Familientag verbracht.
Hier war ich noch nie schwimmen.
Hierher fährt eine andere Schwester in den Urlaub.
Hier gibt es also noch eine Zwischensaison und einen Unterschied.
Hier gibt es einen Berufsfischer, der sich um das Wasser und die Fische sorgt, um das ganze Mikroklima des Sees.

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Es gibt zwei Möglichkeiten zu beobachten: Einmal: stillsitzen und der Bewegung der Welt zuschauen. Die andere: sich selbst bewegen und die Bewegung der Welt gar nicht so wahrnehmen.
Mehr Beobachtung gelingt mir beim Stillsitzen.

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Nebenan schreit eine Kindergärtnerin mit den Kindern einen Zauberspruch auf den See hinaus: „Der Weißensee bleibt sauber!“ Sie tragen einen Sack mit eingesammeltem Müll mit sich.

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Ich schlafe tief. Ich träume, dass ich nachts Besuch bekomme, der mich erschreckt, weil er plötzlich neben mir liegt. Ich wache verwirrt auf. Ich brauche 24 Stunden für mich allein, um mich davon zu erholen.

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Wir bestehen aus Körperpflege und der Idee des Fühlens, Sehens und Zeigens.

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Im Löwenzahn wird gekocht, was das Zeug hält. Acht Gänge. Benannt nach den Zutaten. Karpfen | Zucchini | Hanf | Staudensellerie|Entencannelloni | Asiasalat | Estragon | Limette Wild | Stangenbohnen | Karfiol | Salzzwetschke |Dunkle Schokolade | Kirsche | Pfeffer. Der Kellner ist neu und überfordert von der Vielfalt der Ingredienzien. Jeder Gang ist ein Gemälde. Wir lassen uns inspirieren und können es nicht lassen, die Jause am nächsten Tag genauso aufzutischen. Frankfurter Würstel | Kren | Schnittlauch | Brot |Senf |Paprika.

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Mitten im Frühling an einem See eingeschneit werden. Das passt zu uns. Für ein paar Stunden leben wir in einem Kokon. Wir sind sehr überrascht darüber, wie sich das alles so zuträgt.

Ende


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Er zelebriert sein Dienstende. Über Wochen hinweg veranstaltet er kleine Symposien und Vorträge. Er will nicht weg. Er will bleiben, gestalten, sich durch Arbeit lebendig wissen.

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Der alte Mann stirbt. Seine Frau versammelt alle um ihn. Die Kinder. Die Enkelkinder. Ohne sichtbare Planung tritt eine nach dem anderen ans Sterbebett um sich zu verabschieden. Das Zimmer ist voller Menschen, voller Leben.

Die alte Frau stirbt. Soweit ich das sehen kann, gab es drei Männer in ihrem Leben. Zwei Schwiegertöchter. „Ich würde gerne Enkelkinder sehen“, sagt der aktuelle Mann augenzwinkernd. „damit das Leben weitergeht“. Die Sterbende schmunzelt, mir scheint.

Wie hat sie es damals ausgehalten, als an ihrem 33. Geburtstag ihre Mutter, ihr Ehemann und ihre zweieinhalbjährige Tochter gleichzeitig gestorben sind? Drei Särge standen damals nebeneinander in der Kirche. Jetzt ist 50 Jahre später. Jetzt sucht sie den Knopf, um das eigene Leben endgültig auszulöschen.

Er liegt in den letzten Atemzügen. Woran denkt es in ihm?

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Vor gar nicht allzu langer Zeit war es dem Bestatter versagt, eine Leiche ohne Leichenpass durch die Nachbargemeinde zu fahren. Geld aus dem Tod durfte er nur aus seinem Territorium schürfen. Es gab strenge Regeln für das Transportieren von Toten.

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Sich heiter und erleichtert von Irrtümern verabschieden

Erinnerungen nicht erzwingen wollen

Verschwinden wie ein Gletscher

Operationssaal

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Gastfreundschaft
Ich besuche das sogenannte Herzstück des Krankenhauses, den Operationssaal und erfahre großzügige Gastfreundschaft. Zu Gast sind auch die Patientinnen und Patienten, die zu einer Operation herkommen, Gäste der besonderen Art. Eine kompetente und freundliche Frau, die sich hier auskennt, begleitet mich von Raum zu Raum und erzählt, beschreibt, weist hin. Von sich sagt sie: „Ich brenne für den OP!“.  Ich besuche diese Räume so unvoreingenommen wie möglich. Natürlich schaue ich trotzdem mit den Augen einer Seelsorgerin auf das Geschehen, ich frage mich, wo begegne ich hier dem Seelischen?

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Türen, Schleusen und Übergänge
Wir betreten die Räume durch einen unscheinbaren Gang, dahinter tut sich eine neue Welt auf.
Es ist selbstverständlich, Schutzkleidung zu tragen. Zwei Mitarbeitende begrüßen mich und beschreiben mir zum Beispiel „einschleusen“ „vorbereiten“ … natürlich heißen sie auch die Patientinnen und Patienten willkommen, fragen nach, klären die Formalitäten, besprechen ruhig die nächsten Schritte. Ob sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hol- und Bringdienstes ihrer Bedeutung in vollem Umfang bewusst sind?

Für Kinder ist es zweifellos am besten, wenn sie von ihren Eltern hierher begleitet und im Aufwachraum wieder in Empfang genommen werden.

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Nacktheit und Ausgeliefertsein
Die Patientinnen und Patienten fühlen sich hier nackt und ausgeliefert wie nirgendwo sonst.

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Angst
Sie ist hier zu Hause, gleich beim Eingang. Ich erinnere mich an eigene OP’s, mit welcher Sorge man sich als Patientin in die Hände anderer, vollkommen Unbekannter, begibt!

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Mensch
Hier spricht man in Diagnosen: „Nabelbruch“, „Galle“. Wir begleiten eine Patientin. Ich schaue aus alter Gewohnheit auf das Namensschild, sie wird mir in sehr guter Erinnerung bleiben. is auf die Stelle, an der operiert wird, ist sie mit Tüchern zugedeckt.
Hier arbeiten Menschen aus den verschiedenen Disziplinen und Berufsgruppen zusammen.
Wie geht man damit um, wenn Fehler gemacht werden?

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Vertrauen
Vertrauen spielt an jeder Ecke eine große Rolle, das Vertrauen der Patientinnen und Patienten, das Vertrauen der Berufsgruppen untereinander und ineinander, das Vertrauen in die gestellten Diagnosen, das Vertrauen in kunstvolle Handarbeit, das Vertrauen in die Technik und hervorragende Werkzeuge, das Vertrauen in die Planung. Nichts wird dem Zufall überlassen, auch wenn jede und jeder die Erfahrung gemacht hat, dass nicht alles planbar ist und man gut beraten ist, ein Höchstmaß an Flexibilität an den Tag zu legen.

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Gott und Ohnmacht
Geht von jedem Chirurgen und jeder Chirurgin ein Hauch des Göttlichen aus?
Ist das so in den Augen der Patientinnen und Patienten oder in den Augen der Mit- und Zuarbeitenden, oder ist das gar im Selbstverständnis der Ärztinnen und Ärzte verankert?
Ist das immer noch so?
An der Kleidung entdecke ich keinen Unterschied mehr.
Trotzdem herrscht eine klare Hierarchie und gleichzeitig arbeitet jede Person in großer Eigenermächtigung, der Ohnmacht zum Trotz.

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Stille (die keine Stille ist) und Sprache
Die Ruhe ist hier daheim. Ihr zur Seite stehen Ordnung, Klarheit, Präzision.
Selbst der Schritt auf den Gängen ist etwas verhaltener und langsamer als der überdurchschnittlich schnelle Schritt im Krankenhausalltag außerhalb des OP’s, selbst Sprache tritt zurück und weicht ausgeprägter Mimik, Gestik und einer Haltung vorausschauender Aufmerksamkeit. Wenn es plötzlich nicht mehr ruhig ist, dann ist was passiert, sagt man mir.

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Ritual
Das Setting im Operationssaal folgt einer strikten Choreographie, einem einstudierten Ritual, der spannendste Moment ist der vor dem Schnitt.

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Warten
Hier muss man warten können, mitunter auch auf den Operateur.

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Fragen
Wird alles gut gehen?
Was können wir und was können wir nicht?

Wünscht man sich eigentlich vor einer großen OP alles Gute? Hält man vor einer großen Operation inne?

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Farbe
das Grün der Kleidung und der Tücher
das Braun bis kräftige Gelb des Desinfektionsmittels
das Silbergrau der Pinzetten, Spangen, Scheren
das Lila der OP-Schlapfen
das Weiß

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Fülle
es gibt sieben Operationssäle
in den Sälen herrscht eine konstante Kühle, sie sind steril, unter anderem durch ein ausgeklügeltes Be- und
Entlüftungssystem …
… voll beladene Instrumentenkoffer, Schatzkisten gleich …
… komplexe, technische Gerätschaften …
… Licht, Operationslampen …
… Brillen mit Mikroskopen …
… Verbände, Tupfer, Chemikalien …
… Bildschirme, Computerprogramme, Pläne …
… Abfall…

…Pause…

Kleine Geste


1
Ausladende Blumensträuße auf den Tischen im Haus, sie wirken wie geheime Opfergaben.

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Die Berberfrauen haben sich bis vor kurzem diese Zeichen für „Freeman“ oder das böse Geister abwehrende Auge ins Gesicht tätowieren lassen. Und jetzt, tauchen auch im Buch von Bergsveinn Birgisson/Quell des Lebens solche „alte“ Zeichen auf. Gleich auf der ersten und auf der letzten Seite.

3
Die Seniorchefin des Hotels macht mir Angst. Sie lächelt mir gekünstelt ins Gesicht und muss sich große Mühe geben, mir nicht zu zeigen, wie sehr ich ihr auf die Nerven gehe. Ganz einfach, weil ich da bin. Und sie es leid ist, Gäste zu bedienen.

4
Am Nachbartisch reden sie zum Frühstück eine halbe Stunde lang über Matratzen. Das ist konsequent.

5
Der Welterbesteig spielt alle Stückl’n: Weingärten. Burgruinen. Kunst. Wald. Donau. Monumentaler Fels.

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In der Donau baden heute alle nackt.

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Was macht mich nur so unruhig? Immer noch das nahende Ende? Das nahende Ende von allem? Ich bin eine Getriebene, deshalb stürze ich so leicht. Ich gehe nicht in meinem Tempo und bin in Gedanken immer zwei Schritte voraus. Das mag meine Seele nicht. Mit einer Bänderzerrung und ein paar Abschürfungen komme ich dieses Mal glimpflich davon.

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Eine Fliege will zum Topfen in meinem Topfenwickel vordringen.

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Sich selbst lästig werden.

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Der Zivildiener, der mich zum Röntgen begleitet erzählt, dass es in Mautern einen Badeteich gibt. Er wird von der Donau gespeist. Und der ist voll super.

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Meine Zimmervermieterin hat etwas Mitleid mit mir, weil ich alleine unterwegs bin und diesen kleinen Unfall hatte. Im Krankenhaus sagen sie, es ist nichts gebrochen. Ich muss zugeben, ihr Mitleid tut mir gut.

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Wie groß eine kleine Geste sein kann!

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Der Arzt sagt zu ihr: „Sie können sich schon was wünschen, aber wir sagen Ihnen, was richtig ist!“

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Sie liest Krimis zur Entspannung. Er kehrt die Kirchenstiege zur Entspannung. Das wird jetzt gegeneinander aufgewogen.

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Nicht mehr Dinge besitzen, sondern mehr Leben.

 

Wechsel

1
Es fällt schwer, sich von gewohnten Umständen, aus sinnvollen Beschäftigungen, aus erfüllenden Aufgaben zu verabschieden. Die Zuschauer*innen dieser Beobachtung mögen sich in Demut zurückhalten und Zeit und Raum lassen, für einen sanften Rückzug, Umzug, Übergang.

2
Ich höre Gerhard Roth im Radio sprechen. Er mag am Landleben den „Kalender“, den er vor der Tür hat, er mag die Jahreszeiten, die sich zeigen.

3
Wir halten „einander die Wahrheit“ sagen für Blödsinn. Wir gehören beide einer anderen Welt an, einer, in der ein Geheimnis dazu da ist, gewahrt zu werden anstatt entblößt. Ohne Geheimnis hat nichts Gewicht. Das Schweigen, das Zögern, das Zurückhalten – das gefällt uns. Jemand, der nichts zu verbergen hat, ist uns zuwider. Wir misstrauen der Transparenz.

4
Einmal im Leben muss man alles, alle Moral über Bord werfen. Das erleichtert. Man kann sich selber grundsätzlich in Frage stellen. Das befreit.

5
Ich suche die Göttin des Wechsels aller Dinge, ein sehr abstraktes Unterfangen.

6
Imre Kertesz: „Ich glaube, ich habe alle meine Augenblicke schon erlebt. Es ist fertig und ich bin trotzdem immer noch da“.

Tagtraum


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Phantasieren. Mich in andere Zeiten versetzen. Tagsüber im Pyjama durch Haus und Garten streunen.

Den Garten ab und zu pflegen. Mir meinen Körper bewusst machen. Kunst machen.

Jetzt zufrieden sein, nicht erst später. Glühendes Licht. Redundant, reichlich viel von allem.
2
HÖLDERLIN:
Oh ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt,
und ein Bettler, wenn er nachdenkt

Ein Zeichen sind wir, deutungslos.
Komm, ins Offene, Freund!
3
Nachttraum: Aus meinem Körper wachsen lauter Pilze und so sehe ich aus wie ein Coronavirus. Derlei Gestalt stelle ich all meine Fehlgeburten in Rexgläsern in der Speisekammer auf.
4
Ihr Versuch, nur jede zweite Nacht zu schlafen, und so der latenten Schlaflosigkeit zu entkommen, gefällt mir. Ich mache ähnliche Erfahrungen – wenn ich so richtig, richtig müde bin, schlafe ich wunderbar. Und wenn ich nur jede zweite Nacht schlafen kann … ja, warum nicht? Vor Mitternacht für ein, bis zwei Stunden rasten, dann einfach wieder aufstehen und bis zum Morgengrauen in Ruhe Dinge erledigen, die sonst liegen bleiben. Ordnen. Schlichten. Sichten. Nach dem Frühstück dem Tagwerk nachgehen.
5
Er sagt, ich soll Dankbarkeit aus den Gelegenheiten schöpfen, die mir das Leben bietet, schöpfen. Ereignisse sind zweitranging.
6
Meine Trolle schauen im finsteren Keller besser aus als im Grünen. Ich trage etwas Düsteres in mir. Und viel zweckfreies Spiel.
7
Im Wirtshaus: Die Frau am Nebentisch sagt: In meine Wohnung lasse ich nur noch Leute, die ich mag.
8
Ich richte mein Vertrauen auf das Geheimnis.