KategorieEinsinken ins Land

Grenzen


1
Es ist nicht gut, ständig auf mich zu schauen, darauf, was ich jetzt möchte, was ich jetzt brauche. Erklär mir die Welt. Gleichzeitig die Idee gut zu finden, Sex ausschließlich positiv zu sehen, als selbstverständlichen Lebensausdruck, als Geschenk, das mich weiterbringt, mich erhellt und darin zum Beispiel Hingabe weiterzuentwickeln. Erklär mir die Welt.vAlles miteinander zeigt mich so gar nicht selbstlos.

2
Demenz. Darüber möchte ich mehr erfahren. Ich treffe auf zwei Frauen. Einmal Angst und Freundlichkeit und einmal Angst und Aggression. Ich komm mir vor wie ein neugieriger Haufen.

3
Wie unverblümt offen sie über eigene Erfahrungen spricht und über ihre privaten Pläne. Es ist mir zu intim. Sie spricht laut und alle, die wollen, können mithören. Intim ist auch, die Nase zu rümpfen bei einer Begegnung.

4
„Man hat mich in einem Büro abseits vom Schuss abgestellt. Ohne Infrastruktur, ohne Anbindung. Sie bezahlen mich fürs Nichtstun.“ Die Entrüstung der Sekretärin ein paar Monate vor der Pension ist nicht gespielt.

5
Auf einem Foto sehe ich Körper auf weißen Laken.

6
Der Satz „Ich bin so!“ gilt bei dir nicht.

7
Ich komm mir manchmal sehr bescheiden vor, weil ich mich darin eingefunden habe, einfach und bescheiden zu leben.

8
Das ist ein steter, neuer Auftrag an mich: Geh an die eigenen Grenzen. Und staune darüber, was dann passiert. Staune darüber, wie tief das Loch ist, in das du manchmal fällst oder wie schwach die Brücke ist, die einstürzt, wenn du zur falschen Jahreszeit drübergehst, und was passiert, wenn du dir selbst genügst.

Stille


1
Man darf nie ganz erwachsen werden, denn wenn es eng wird, ist Unbefangenheit eine stille Reserve, auf die man dann zurück greifen muss.

2
Der Winter verströmt am Meer keine Stille wie am See, wo sogar die Vögel lautlos auf den Stromleitungen sitzen und stumm hinausblicken übers verschneite Land. Ein kleines Rauschen vernimmt man zwar auch dort, doch das Wasser am See hüllt sich in Schweigen. Hier am Strand wogt das Meer selbst in seiner Ruhe hin und her.

3
Mit ihrer Aufmerksamkeit scheint alles in Ordnung. Doch sie bleibt stumm. Die Frage, warum sie schweigt ist keine dumme Frage, sie ist nicht beantwortbar.

4
Wir wohnen zusammen und arbeiten in aller Stille.

5
Im Angesicht des Sternenhimmels ist das Fliegen auf einen anderen Kontinent gar keine Bewegung.

6
Es ist ein schöner Jänner. Immer wieder fällt Schnee im Weinviertel und mir stellen sich Wintergefühle ein. Behaglichkeit. Reinheit. Einsamkeit.

7
Der Buchfink beginnt kurz vor Sonnenaufgang mit seinem Gesang.

Tun

1
Wie bezeichne ich den Raum, der sich zwischen mir und meinem Tun befindet? Ich kenne das Bedürfnis nach diesem Raum, der mich zum Beispiel vor grenzenloser Müdigkeit schützt. Nenne ich diesen Raum Fest oder nenne ich ihn Lassen oder nenne ich ihn Vor-dem-Tun oder nenne ich ihn Gesang oder nenne ich ihn Zugfahren?

2
Solange es etwas zu erledigen gibt, ist alles leichter zu ertragen. Das Leben. Deshalb ist jeder Tag besser als die Nächte, in denen ich daliege und lausche. Und jeder Morgen eine kurze Rettung ins Tun.

3
Die Frau erzieht fünf Kinder und gibt dafür freiwillig die Berufstätigkeit auf.

4
Es ist heftig. Tun bis zum Umfallen und dann umfallen. 
Das Heraustreten aus jeglicher Gemütlichkeit.

5
Dampf ablassen

6
Sie kauft sich eine Schreckpistole, bedroht einen Busfahrer damit, wird dafür dreienhalbJahre eingesperrt. Endlich hat sie Ruhe.

7
Muss Arbeit immer anstrengend sein? Weshalb kann mir denn verdammt noch mal ein Gedicht nie ganz leicht von der Hand gehen?

8
Heute ist mein schwacher Tag.

9
Kleine Fabel von Franz Kafka:
„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ „Du musst nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie.

10
Es ist Ende Jänner. Es hat drei cm geschneit. Alle sind glücklich und ziehen sich Schihosen, sportliche Daunenjacken, stylische Hauben und Handschuhe an, schnallen sich den Überlebensrucksack auf den Rücken und gehen zum Bäcker, um zwei Frühstücksemmeln zu kaufen.

Nein


1
In einem eindrucksvollen Stimmton erklärt mir ein Patient: „Das Gute am Alter ist, ich kann besser erkennen, wenn mich Menschen für sich vereinnahmen, aussaugen. Da gibt es nur ein klares Nein! Jetzt, im Älterwerden kommt mir das leicht über die Lippen.“

2
Als Vertreterin für irgendeine Firma zu arbeiten, das stelle ich mir unangenehm vor. Ich habe heute Mitleid mit jenem, der mir im Kaffeehaus im Krankenhaus gegenübersitzt und wartet, bis der Herr Primar Zeit für ihn findet.

3
Diskussionen über die Schule machen mich mittlerweile aggressiv. Ich werde in Zukunft keine Aussage mehr darüber machen, weil ich überhaupt nichts davon verstehe. Der Abstand zu meiner eigenen Schulzeit und zur Schulzeit meiner Kinder ist schon zu groß.

4
Das befreundete Paar bringt zwei tote Fasane und einen toten Hasen vorbei. Eine Woche später trennen sie sich. Und streiten darüber, wer die Hunde kriegt.

5
Sind wir bei jedem Hundsaustreiben dabei?

6
Ich werde mich viel weniger in den Weltenlauf einmischen und auf mich konzentrieren, auf meine Gedanken, auf die Essenz, die in mir steck, mich freischälen, mich fokussieren auf Mitgefühl und Erkenntnis …weil ich so vieles noch nicht geliebt habe…(Thomas Somlo)

7
Wenn es die richtigen sind, diene ich ihnen gerne.

Tag Zeit


1
Wach zu sein, bedeutet, das Leben in voller Lebendigkeit leben.
Und in diesem Sinne ist man immer Anfängerin – ich habe ja diesen Tag noch nie erlebt. Heute starre ich ins Meer. Entscheidungen treffe ich nur bezüglich Nahrungsaufnahme und Alkoholzufuhr. Wann nehme ich den ersten Drink zu mir? Was esse ich zu Mittag? Von wem lasse ich mir das alles servieren?

2
Ich genieße es, in der Natur zu sein. Die partielle Sonnenfinsternis, wie poetisch, sie durch eine einfache Lochkamera zu betrachten! Die Herbstwärme am Abend im Garten tut mir gut. In der Asten ist schon Schnee gefallen. Sonst ist heute nicht viel passiert.

3
Ich stehe nicht mehr zur Verfügung!

Unterbrechung


1
Ich stelle mir den Wecker jede Stunde. Dann atme ich ein paarmal aus und ein. Danach kommt ein neuer Anlauf für meine tägliche Routine. (Das ist doch krank, …oder?)

2
Das Auto in die Waschstraße fahren. Einen Coffee-to-go trinken.

3
Ich bin auf Kriegsfuß mit dem Bewegungsmelder im Vorraum unseres Hauses.

4
Jeder Nachttraum unterbricht meine Tagesroutine.
Ich träume vom bürokratischen Aufwand beim Anstellen fürs Essen im Krankenhaus. Ich schaffe es nicht, bis zur Suppe vorzudringen und verlasse unverrichteter Dinge den Speisesaal.
Ich träume einen Schultraum mit Prüfungsstress: Wissenschaftler in weißen Mänteln stellen unbeantwortbare Fragen. Mein ehemaliger Physiklehrer ist auch dabei.
Da bin ich doch lieber wach und geschäftig!

5
Das Leben besteht aus dem, was man den ganzen Tag denkt.

Allein


1
All-Ein-Sein: All eins sein.

2
Im günstigsten Fall komme ich in Kontakt mit allem, wenn ich allein bin. Von innen her. Weil ich nicht abgelenkt bin. Nicht vom Faulsein oder vom Zorn oder von den vielen Dingen. Das Alleinsein ist ein schönes Tun, das mich freut. Es ist nie Zeitverschwendung. Ich stehe nackt da. Ich konfrontiere mich mit dem Sternenhimmel und der kleinsten Nichtigkeit.

3
So aus dem Nichts heraus kommen mir die schönsten Ideen für die Unvernunft. Es ist eine Torheit, an die Liebe zu glauben. Es ist eine Torheit, die Position der souveränen Ohnmacht einzunehmen.

4
Frau D. sagt zu mir: „Wir sind doch alle allein. Bis zum Schluss!“

5
Jemanden in seiner Einsamkeit besuchen.

6
Im Krankenhaus legt sich in den frühen Abendstunden eine entspannte Stimmung über die Zimmer und Gänge. Wie viel Einsamkeit ist hier im Haus? Es gibt Menschen, die wollen ihre Ruhe. Andere möchten einen anderen Menschen neben sich atmen hören.

7
Das Bild des grauen Waldes in Hallstatt werde ich mir lange vor Augen halten. Es stimmt traurig. In der Werkstatt Radio hören ist gut.

8
Dem Augenblick und der Lust huldigen. Gerecht sein. Werden.

Reichtum

1
Am allerwenigsten Künstlerin bin ich beim Einkaufen.

2
Ich will glaubhaft behaupten, dass Phantasie in vielen Belangen wichtiger als Wissen ist.

3
Heute hole ich glückliche Kinder von einer Party ab. Glücklich deshalb, weil dort so viele ruhige, feinsinnige Jugendliche versammelt waren.

4
Das habe ich nicht geschafft in meinem Leben. Einmal so richtig viel Geld zu verdienen. Es hätte mir passieren müssen. Passieren können. Wär gar nicht so schlimm gewesen.

5
Kultur, das ist alles, was wir im Alltag machen, so, wie wir es eben machen.

6
Ich schaue während des Konzertes vor allem auf die zarten Hände der zwei Musiker und höre zu. Mit den wenigsten Worten sprechen sie in die Vollen, sagen alles und lassen alles offen. Und ich weiss ganz genau, was gemeint ist. Und darüber legt sich wie ein Zuckerguss der Flügelhornist, flüsternd mit seinem Instrument, so leise, wie es Sprache kaum kann.

7
An jedem meiner 10 Finger steckt ein Ring. Jenden Ring ordne ich einer Person zu . So trage ich sie alle wie kleine Moleküle mit mir herum.

8
Ich muss mein körperliches und mein seelisches Heil schützen!

9
Für den Herbst bleibt mir, geistige Reisen zu unternehmen.

Logbuch


1
Wir treffen uns vor der Abreise am Brunnenmarkt und essen zu Abend bei einem unkomplizierten Türken. Wien schillert. Wien glüht. Ich bin sofort in Urlaubsstimmung. Ein Mitarbeiter der MA 48 fährt mit einem Wassertank über den Markt und spritzt Wasser auf die aufgeheizte Straße.

2
Morgens um fünf Uhr: 31 Grad Celsius. Wir verschwitzen die Nacht. Als wir am Flughafen ankommen, hat die Cafeteria gerade erst geöffnet. Weder die Kaffeemaschine noch der junge Mann, der sie bedient, sind schon in Schwung. Das Warten auf den ersten Espresso fällt uns allen nicht schwer.
Der Flug verläuft unspektakulär. Umwelttechnisch hat es keinen Sinn, mit dem Flugzeug unterwegs zu sein.  Obwohl diese Fortbewegungsart zur Gänze selbstverständlich daherkommt, wenn man sich schon einmal auf dem Flughafen befindet. Werden wir in Zukunft nur mehr zu Fuß gehen? Drei Paare, die mitfliegen und hinter uns sitzen, sind leicht alkoholisiert. Die Männer müssen lustig sein.

3
Wir haben Glück damit, am Samstag in Hilversum einen Zwischenstopp zu machen. Es ist Markttag und das Gemüse schmeckt nach echt. Die Fritten mit Mayo und Zwiebeln auch.

4
Alle Räder, die auf das Hausboot geschnallt sind, haben den gleichen Schlosscode. Bei der Übernahme des Bootes bekommen wir drei Wasserkarten überreicht. Sie sind aus speziellem, wasserfestem Papier. Die Karten fühlen sich gut an. Unser Boot heißt Haastrecht. Dieses Städtchen liegt in der Nähe von Gouda, das wir nicht anvisieren.

5
Am Wasser sein. Im Gespräch sein. Zusammensuchen und -finden. Auf kleinem Raum leben und vollen Luxus genießen. Hier verliere ich meine Mitte. Ich bin gar nicht so wichtig und kann leicht werden. Konzentration ist nicht das Hauptwort. Am Wasser sein und mich treiben lassen, das schon. Am Wasser ist es üblich, sich zu grüßen.

6
Jumbo. Ein Erlebniseinkauf. Mit einem Mal ist Holland billiger als Österreich. Wir kaufen auch Fleisch. Die Wurst und der Leberaufstrich schmecken nach Zimt. Die Salate legen wir fertig gewaschen, geschnitten oder gehobelt im Plastiksack abgepackt in den Einkaufswagen.

7
Die ersten Vögel, die mir besonders auffallen sind die Haubentaucher.
Ein niederländischer Freund meint, dass es in seiner Heimat sehr viele Vögel gibt, wenn man sich mit Vögeln auskennt. Unser erster Fluss, den wir befahren, heißt Vecht. Die Brücken sind mitunter 1,60 Meter hoch. Die muss dann ein williger Brückenwächter aufklappen. Nach den ersten beiden Manövern hat noch niemand der Crew Lust auf einen Manövertrunk. Die Kirchenglocken läuten um 10 Uhr. Jetzt schaue ich den Wildgänsen zu.Sonntags sind auf den Booten viele Paare unterwegs. Manche auch ohne Hund. Ich frage mich in den kurzen Momenten des Aneinandervorbeifahrens, in welchen Beziehungen sie zueinanderstehen. Noch intensiver sind meine Blicke auf die tiny houses an den Ufern gerichtet. Hier gibt es Vielfalt. Man winkt sich kurz zu, sieht Bootsausstattung, Badekleidung und Kaffeegeschirr. Was nicht gezeigt wird, liegt unter Deck.

 8
Wir gehen durchs Städtchen Weesp. Ein Willkommensgruß durch Glockenspiel. Es kommt uns immer ein Rad entgegen. Das Land funktioniert sehr gut. Wenn das so weitergeht, muss ich sehr genau schauen, dass mir nicht langweilig wird. „Hier kann man nicht verloren gehen“, wird uns am letzten Tag unserer Reise ein schiffsbrüchiger Deutscher aus seinem Rettungsboot zurufen. Ein älteres Paar schlendert an uns vorbei. Ganz deutlich zu erkennen ist ein goldener Hundeanhänger, den die Frau an einem Kettchen um den Hals trägt.
In der St. Laurentiuskirche ist eine Brauerei untergebracht. Am frithof vor der Kirche bekommen wir Essen und Trinken serviert. Um 495 Euro könnten zwei von uns für eine Nacht im Kirchturmzimmer übernachten.

9
Wir reden über Angst. War sie in den 80erJahren kleiner? Wir erahnen, was uns hält. Wie klein können wir unsere Abhängigkeiten machen im Verhältnis zu dem, wie groß wir lieben? Wir reden nicht über Yoga. „Du brauchst keinen Arzt, sondern jemanden, der Dir hilft!“

 10
anderswild, in welchem Zusammenhang kann ich dieses Wort denn verwenden?!

 11
Wir schlafen in einem Hafen in Weesp, nahe den zwei Windmühlen, angeleint an eine Luxemburger Familie. Wenn wir an Land gehen, müssen wir über das Deck der Nachbarschaft spazieren. Zurück auch wieder. Die akustische Kulisse am Boot, wenn es Abend wird: Kinder spielen Volleyball. Vogelrufe. Wassergeplätscher. Ein paar Motorengeräusche. Ruhiges Stimmengewirr. Auf einem der Boote legen sich zwei Kinder an Deck schlafen. Sie haben die Matratzen nach oben getragen. Eine Frau, die wohl deren Mutter ist, bringt die weißen Laken zum Zudecken. Das Boot ist meine Hafenkneipe.

12
Ein blinder Mann will von der versperrten Marina hinaus auf die Straße. Er findet ganz ohne Hilfe den Knopf, damit sich das große Gittertor öffnet.

13
Wir tun miteinander. Ich schau zu und bin mittendrinnen im Tun. Ich beobachte mich dabei, wie ich meine Distanz zu all dem in der räumlichen Dimension dieses Bootes halte.
Leben die Spinnen, die sich am späten Nachmittag an Deck begeben die andere Zeit im Unterbauch des Bootes? Sie haben hier ihren Hauptwohnsitz.
Die Kids kaufen zwei Joints, um den Eltern eine Freude zu bereiten. Einmal up und einmal down. Um im Rijksmuseum aufzugehen, dazu fehlt uns die volle Aufmerksamkeit. Mich faszinieren die Gemälde, auf denen Segelschiffe zu sehen sind.
Amsterdam ist groß und laut. Und doch ist die Nacht in Amsterdam meine Lieblingsnacht auf dieser Reise.

14
Wir fahren am Museumsdorf Zaans Schans vorbei. Die Windmühlen sind die ersten, die sich auf unserer Reise drehen. Abgesehen von den vielen Windrädern, die wir bei unserer Flugzeuglandung beobachtet haben.
Wir befinden uns auf einem Kanal der Gerüche: Schokolade, Fermentation, Kakao, Müll. Auch riecht es nach Diesel und einmal nach Stall. Oder habe ich das geträumt, weil der Vater (= ein holländischer Bauer aus meiner Reiselektüre, der seinen Sohn beim Eislaufen verlor) immer nach Stall riecht, sogar nach dem Duschen.

15
AMALIABRUG lese ich vom Kajütenfenster aus. Schilf und Wasser. Die Weiden schimmern silbern. Die Eschen, die im ganzen Land wachsen, tragen orange Früchte. Die Nebelwolken tragen grau.Ich weiß nicht, worauf ich mich konzentrieren soll. Der Mangel ist es nicht. Die Fülle ist es nicht.

16
Rücksichtsvoll zu sein ist auf jeden Fall einfacher, als es nicht zu sein.

17
Wir nehmen den Bus, um an die Nordsee zu gelangen. Wellen wie Wasserfälle. Salz. Kraft. Ferialpraktikanten, die versuchen, verwehten Sand wie Schnee von der Aussichtsterrasse wegzuschaufeln. Wieder und wieder eine Scheibtruhe voll. Zwischendurch gibt‘s als Belohnung für getane Sisyphusarbeit einen Mojito.

18
In der Früh werden alle Boutiquen in Alkmaar gesaugt und geputzt.Der Fluss, der in eine langen Kanal gesperrt ist, heißt Vinehop.
Jeder längere Gedanke wird von einem Ausblick abgelenkt. Obwohl alles flach ist, ist jeder Augenblick anders. Ich komme nicht zum Denken. Den Schwalben fehlt es hier an nichts. Mittlerweile kann ich die wichtigsten Wasservögel schon am Gekreische erkennen. Von Singen ist in diesem Zusammenhang nie die Rede!

19
Ich habe das (fast) nie gefühlt, die weltumspannende Kraft einer Glaubens- oder Interessensgemeinschaft.  Es wäre ein schönes Gefühl gewesen sich überall auf der Welt willkommen zu fühlen. Dieser Gedanke kommt mir beim Anblick eines schlank geschnittenen Bootes mit dem Namen Pastorale. Auf einem anderen Hausboot lese ich: Ora et labora. Und sooner or later. Ich zähle auf die weltumspannende Kraft der Menschlichkeit. Aber auch da bin ich arm dran. Schließlich lese ich auf einem weiteren Boot: why not?

20
In den Niederlanden muss man als LandbewohnerIn stets die Wartezeiten an den vielen Brücken miteinberechnen. In PURMERENG warten auch wir am Wasser sehr ausgiebig auf die Brücken- und Schleusenwärterin.

21
Wir machen Halt bei einem Milchbauern, der gemeinsam mit seiner Frau einen kleinen Ausschank betreibt Hier riecht es nach Bauernhof, so wie ich es in Erinnerung habe. Wir essen Joghurteis und kaufen 7 Laib Käse. Ich genieße das. Und mache auf dem Weg zum WC ein Foto von einem Ölgemälde, das eine Kuh zeigt. Allzu lange wird es Milchbauern ja gar nicht mehr geben.

22
Ich schwimme eine letzte Runde in der Dämmerung.

23
Am Flughafen lese ich „Philosophers, do your thing“, aufgedruckt auf ein großes Transparent. Nachdem sich dieser Satz als Werbung für eine Bank erweist, gefällt er mir gleich nicht mehr.
Im Flugzeug ist es ruhig. Wir sind ruhig. Noch einmal eine andere Perspektive. Holland von oben. Hier ist am deutlichsten zu sehen, wie zerfurcht von Kanälen, Wasserstraßen und Seen dieses Land ist.

 

 

 

 

Klarheit

1
Mich am Morgen nach bestimmten Vorgaben zu bewegen, das sichert mich. Einfach den Kopf nach vorne kippen zu lassen, ihn auf die linke Schulter zu legen, auf die rechte Schulter zu legen, ihn zwischen die Schultern zurückzuführen. Den Arm zu kreisen, hoch und weit nach hinten um anschließend den Handrücken in meinem Rücken abzulegen, mich zu strecken, das Kinn in Position zu bringen, Stand und Spannung zu haben.

2
Ich kann mein Leben an tausend einfachen Dingen ausrichten, zum Beispiel daran, dass dieselbe Sonne, die meine Früchte im Garten reifen lässt, zugleich ein ganzes System von Himmelskörpern wie unsere Erde beleuchtet. Mich regelmäßig daran zu erinnern, würde mir manche Umwege ersparen.

3
Es ist schrecklich, dass ich keine andere sein kann, als ich bin.
Ich würde lieber daran glauben, dass ich darin frei bin, mich jeden Moment neu zu erschaffen, dass ich mein Leben selbst in der Hand habe. Gleichzeitig ist diese Vorstellung die strengste meiner Fesseln. Unbedeutend zu sein und zerbrechlich, ausschließlich vergänglich und klein, wie einfach scheint das!

4
Oberflächlich empfunden wünsche ich mir manchmal die Geborgenheit einer Großfamilie.

5
Ich möchte nicht, dass an meinem Krankenbett Radio NÖ, Radio Wien oder 88,6 gespielt wird.