KategorieRingsum Nacht

Eiffel


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Er berichtet mir voller Begeisterung von der außergewöhnlichen Beharrlichkeit Gustav Eiffels. Man hat ihm und seinen Projekten immer wieder Steine in den Weg gelegt. Gustav hat nicht aufgegeben.
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Haben wir alle zu wenig zu tun? Oder viel zu viel? Haben wir uns zu verweichlichten Wesen entwickelt, die nicht mehr wissen, was Arbeiten heißt? Oder in den Krieg zu ziehen? Wird das wieder in? Ein Leben lang kämpfen? Wollen wir uns nicht damit begnügen, uns nach getaner Arbeit einfach auszuruhen oder etwas Schönes zu tun?
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Während eines Gesprächs mit ihrer Schwester bekommt sie einen derart starken Migräneanfall, dass sie die Begegnung nach einer halben Stunde abbrechen muss, um sich zurückzuziehen. Eine knappe Viertelstunde später nach ihrem Rückzug ist alles wieder gut.
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Wenn er länger über die ungeliebte Tätigkeit des Rasenmähens nachdenkt, so kommt er zum Schluss, dass er sich glücklich schätzen darf, überhaupt die Möglichkeit dazu zu haben.
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Vergleiche machen im Normalfall unglücklich. Das war schon damals in der Schulzeit sehr hart!
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Er läuft heuer wieder beim Marathon mit. Ich deute es als intellektuelle Verzweiflungstat eines Historikers.

Security

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Ich brauche Trost. Ich hole ihn mir bei einem Security-Experten, der als Patient im Krankenhaus liegt. Er ist als Kind durch die Rudolf Steiner Schule gegangen und hat dort seinen Blick auf die Welt geschärft. Zum Beispiel, dass alles mit allem verbunden ist. Wir sprechen viel über Macht und Dummheit. Und über die Bösartigkeit des Menschen und des Krebses. Er hat aufgehört, gegen den Krebs zu kämpfen, mit dem er schon lange lebt. Er ist enttäuscht von der Welt. Er wollte noch ein bisschen leben. Ich spüre, wie ich mich ein wenig über ihn erhebe, indem ich seine Erzählung schon bewerte, während er spricht. Auf der Stelle versuche ich, es abzustellen in mir.
Er zeigt mir einige Übungen, die ihm als Security geholfen haben, die Menschen wertzuschätzen. Bei seiner Arbeit ist er Ladendieben begegnet, die wirklich aus einer Not heraus stehlen. Zum Beispiel einen Sandler, der sich waschen will und ein Stück Seife stiehlt. Er traf Kriminelle, die so gut im Stehlen waren, dass man sie gar nicht fassen konnte. Es gab auch welche, die so auf den Einkaufswagen fixiert waren, dass sie ganz vergaßen, etwas von unten auf das Band zu legen.

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Ein Arzt am Gang schreit ungehalten ins Telefon: Ja, eine Tablette am Morgen und eine am Abend!

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Sie war eine Spinnerin und Gerechtigkeitsfanatikerin, wie sie sich selbst bezeichnete. Vor allem in ihrem Berufsleben. Ich höre heraus, dass sie beharrlich war und die eigenen Prinzipien und Ideen konsequent verfolgte. Der Erfolg gab ihr recht. Jetzt in der Krankheit spielt Gerechtigkeit keine Rolle mehr. Da gelten andere Spielregeln.

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Wie fühlt sich eine Frau, die in der Krankenhauskapelle in der ersten Reihe sitzt, während ich eintrete und mich hinter sie stelle, ein paar Augenblicke verweile und dann wieder gehe?

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Ich brauche Trost, weil so viele Menschen um mich herum Trost brauchen. Ich brauche Trost, ich merke es daran, dass mir schlecht wird.

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Einen gestrickten Ganzkörperanzug tragen.

Kleinkram


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Die Tochter sagt: Freundlichkeit zahlt sich aus.

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Ich esse so viel vom perfekten Schweinsbraten mit Krustenschwarte und trinke so viel vom Wein, dass meine Galle übergeht und ich ohnmächtig werde.

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Du machst nichts falsch, wenn niemand weiß, was du tust.“  Das glaube ich nicht!

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Ich höre zum ersten Mal etwas von Pataphysik – absurdistisches Philosophie, die so viel bedeutet wie: „Professionelle haben nur einen Weg, den Dilettanten stehen alle offen.Aber auch solch eine Einstellung bedarf der Übung. Wieder kein aufputzendes Mäntelchen für mein Dahintümpeln …

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All die Wahlmöglichkeiten treiben mich in den Überforderungswahnsinn. Bin jeden Tag mindestens einmal ohne Orientierung, Bedeutung, Zugehörigkeit und Zusammenhalt. Ich räume viel in Haus und Garten herum.  „Religiosität, Spiritualität, soziales Engagement, Verbundenheit zur Natur, Selbsterkenntnis, Gesundheit, Herausforderung, Individualismus, Macht, Entwicklung, Leistung, Freiheit, Wissen, Kreativität, Tradition, Bodenständigkeit, Moral, Vernunft, Gemeinschaft, Spaß, Liebe, Wellness, Fürsorge, bewusstes Erleben, Harmonie; Liebe in die Zukunft tragen“
ihr könnt mich alle einmal gernhaben!

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Mein Armreifen ist kurz davor in zwei Teile zu brechen.

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Ich versage bei Belastung.

Verlorengehen

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Ich kleide mich neue ein. Inklusive Mantel und Schuhe. Ich möchte mir eine neue Seele überziehen. Ich bin zwar noch nicht kalt, aber Feuer hab ich keines mehr. Holt mich ab und bringt mich zur nächsten Demo gegen Rechts!
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Ich sperr mich in meinen Ritualen ein, die sich immer mehr verselbständigen und schleichend jegliche Flexibilität verscheuchen.Einfach losgehen – ohne vorher Gymnastik gemacht zu haben, ohne Zeitung gelesen zu haben, ohne Gesicht, Hände, Füße eingegcremt zu haben, ohne Zähne geputzt zu haben, ohne ein paar „wichtige“ Sätze aufgeschrieben zu haben – das ist jetzt unmöglich.
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Mein Vater starb an einem Herzinfarkt, zwei Wochen nachdem bei der ärztlichen Untersuchung nichts Auffälliges festgestellt worden war.
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Der Freund zeigt mir eine neue Gegend: Das Blumenthal und den Heurigen Vielnascher in Kollnbrunn. Man fährt einfach in Kollnbrunn beim Bauernladen rein. Der hat auch am Donnerstag offen, genau wie der Heurige. Die Weinviertler Hügellandschaft ist eingeklemmt zwischen der Autobahn, der Brünnerstraße und noch ein paar anderen Wegen. Man kann also nicht verlorengehen.
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Mittlerweile wünschen mir schon mehrere Menschen von Herzen eine Wohnung in Wien. Es geht in Richtung ein Zimmer für mich allein.
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Bin ich in 5 Jahren auch so? neugierig?
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Meine Nachbarin sagt: „Ich bin sehr einsam, mir ist aber nie langweilig, weil ich so viel zu tun habe.“

Es mir vorstellen

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Worauf sich stürzen, wenn die Wahlen so ausgehen? Die Rechtsextremen gewinnen. Wir reimen wieder einmal: Eine Kombination aus Dummheit, Faulheit und Ignoranz führt in diese Gasse. Naja, alles in allem: nicht gut. Aber real. Ich mache einen Spaziergang. Die Menschen waren schon immer hier und ich war schon immer Teil einer Minderheit.
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Ein Freund sagt: Wie kann man ein Wiener Schnitzel essen wollen und dann Rohkost bestellen?
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Ich habe gelesen, dass in Italien ein Dieb geschnappt wurde, weil er in der Wohnung, in die er eingebrochen war, von einem Buch so gefesselt war, dass er sich nicht losreißen konnte. Er war leicht zu überführen.
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Ich fahre zur Supervision und entscheide mich, es als einen Ausflug in die Stadt meiner Träume zu sehen. Das ist heute halt Wien.
Ich schaue auf die Gleise und bemerke, dass sie stabil sind. Die Welt ist nass. In der Wolkersdorfer Gegend stehen plötzlich Seen, wo sonst keine sind. Das Hochwasser ist sichtbar, obwohl die Sonne scheint. Ich stelle mir vor, es könnte immer so sein, das Weinviertel, eine Seenlandschaft.
Im Bus sitzt eine Frau, die ich vom Sehen kenne, sie hat eine ausführliche Chemotherapie hinter sich. Man sieht es ihr an. Ein Sterbesegenheftchen fällt aus meiner Arbeitstasche. Ich stelle mir vor, dass ich es an ihrem Krankenbett brauchen könnte. Aber, es ist viel besser, hier gemeinsam im Bus zu sitzen und gemeinsam auf einen Regenbogen zu schauen.
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Ich kann nur mit jenen Menschen zusammenleben, die da sind. Nicht mit denen, die ich mir vorstelle.

Üben


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Dürnkrut. Ich nehme die Nordbahn nach Wien. Die ist mir sehr recht. Notgedrungen höre ich zu: „So ein Gespräch hatten wir schon mal“, sagt die junge Frau zu ihrem Begleiter. In Stillfried sehe ich in einem fast ausgetrockneten Tümpel Fische nach Luft schnappen. Tallesbrunn, auch so ein schöner Name. Dörfles. Ich sitze in der S-Bahn nach Wien und denke an Kaminke. „Wer hat dich vorhun angerufen?“, fragt die Frau ihren Partner. Silberwald. Süßenbrunn. Bob Marley war wahnsinnig eifersüchtig. Er hatte offiziell 12 Kinder von 8 Frauen. Von den inoffiziellen wird gar nicht gesprochen. Stadlau. Der Schaffner schaut mein Kleid sehr genau an.

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Der Platz neben dem Nice Guys, der gefällt mir, weil er so unordentlich ist. Kreativ unordentlich. Ein Flecken in Wien, wie du ihn suchen musst! St. Marx für alle. In einem Dorf wäre das nicht erlaubt.

3
Er hat sich ein apfelgrünes Fahrrad gekauft.

4
Ich will nicht alt und senil werden. Ich sag zu meiner Tochter:  80 ist schon zu viel. Während ich es sage, fällt mir ein: Da habe ich allerdings nicht mehr lange. Meine Tochter erschrickt, obwohl sie mich schon vor Jahren dazu aufgefordert hat, für eine Seniorenresidenz am Ossiachersee Geld zu sparen.

5
Briefe und Geschenke mit der Post zu verschicken ist kostspielig aber ideal.

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Meine Schwester schickt mir ein Buch, in dem Sex eine herausragende Rolle spielt. Sie meint, ich solle beim Lesen des Buches nicht auf sie zurückschließen. Sie schreibt auch: Hab dich lieb.

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Ich will nicht ernst sein. Oder so ernst wirken. Da heißt es: üben! üben! üben!

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Zuhören = Energie

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„Warum sollte ich schreiben?“

kümmern


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Um gesehen zu werden, wie man ist, muss man sich zeigen, wie man ist.

2
Du bist eine komische Frau. Humorvoll. Uneinschätzbar. Ja, du kannst was!

3
Im Café Frida darf ich meinen Laptop nicht auf den Tisch stellen. Gut, dann muss ich auch meinen Aperitif stehen lassen und weitergehen. Beim Türken nebenan ist mehr möglich. Ich mag es nicht, wenn Wirte mich erziehen wollen! Aus dem Alter bin ich draußen.

4
Die Schwerkraft zieht meine Wangen nach unten. Nun ist es auch bei mir so weit, dass ich meine Mundwinkel bewusst nach oben zwingen muss, wenn ich nicht mit einem griesgrämigen Gesichtsausdruck durch die Welt steigen möchte.

5
Seid glücklich, so sehr ihr nur könnt.

6
Ich tröste beim Putzen unsere Eingangstür, streiche kurz drüber, weil sie eigentlich restauriert gehört und sich niemand darum kümmert.

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In meinem Leben jetzt: was fehlt?

Schreibresidenz


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Was hindert mich daran, es endlich umzusetzen?
Einen Monat lang nur zu schreiben. Solange ich und meine Liebsten noch leben. Von ihnen zu erzählen. Von uns zu erzählen.

2
Wenn ich von einer Tätigkeit zur nächsten eile, bekomme ich Kopfweh. Das geschieht täglich.

3
An einem guten Gedicht muss ich wohl nicht monatelang schreiben!

4
Es ist schön, wenn Menschen, die etwa 20 Jahre jünger sind als ich, auf mich zukommen und sagen, dass sie mich treffen möchten. Für die kurze Zeit der Begegnung gehören wir einander. Wir machen es uns gut, wir erzählen einander Geschichten, fragen um Rat, tun unsere Meinung kund, vergolden einander Zeit.

5
Und doch habe ich das Gefühl, meine Zeit nicht richtig zu nutzen. Das ist ein Irrtum.

Geheimnislos


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Er gibt mir einen guten Rat:
Wir Männer brauchen Frauen, die uns auf die Füße treten und Dampf machen.

Sie sagt:
Ich habe die Männer nie richtig verstanden, aber ich hatte sie gerne an meiner Seite.

Eine Freundin sagt:
Ich möchte verschwinden.

Eine andere sagt viel zu viel.

Eine dritte zeigt mir ein Video von ihrem Enkelsohn, aufgenommen in der 24. Schwangerschaftswoche. Das Kind sieht aus wie ein Greis.

2
Am Krankenbett:
Der eine besucht ihn, weil er etwas von ihm braucht.
Der andere kommt, weil er ihn mag.
Der dritte kommt, weil er sich selbst mag.

3
Der Mensch ist geheimnislos.

Zumutungen

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Ich unterhalte mich sehr gerne mit unseren Kindern! Zum Beispiel darüber, welche Musik sie gerne hören oder warum man heutzutage noch Kinder bekommen sollte.
2
Ich kenne einen Künstler, er ist derart verletzlich, dass er sich jeder Form von Kritik entzieht,  weil ihn Kritik nicht nur verletzt, sondern vernichtet. Deshalb geht er mit seinen Werken nicht an die Öffentlichkeit, er zeigt sie niemandem außer seiner Frau. Ich halte ihn für einen beseelten, begnadeten Künstler mit vielen Kunstwerken, die niemand sehen darf. Ich denke gerne an ihn und an seine mir unbekannten Arbeiten.
3
Kann man ein Luftschloss zerstören, das man sich in der Vergangenheit gebaut hat?
4
Dass junge Menschen von ihren Eltern über alle Maßen behütet werden, dass sie dann beim ersten Menschen, der ihnen einen Wunsch nicht erfüllt, zum Beispiel die Liebe nicht erwidert, in einen derart großen Kummer verfallen, dass sie in der Psychiatrie landen oder im schlimmsten Fall sogar unter einem fahrenden Zug, das fällt auf.
5
Veranstalterin: „Martha, vertrittst du die Hohe Geistlichkeit?“
Ich: „????“
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Wie soll das denn gelingen? Wertschätzung des immer größer werdenden Angewiesenseins?
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Weglassen. Loslassen. Zulassen. Einlassen.
Es stimmt.
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Ich höre, dass die junge Frau ihr Kind abtreiben lässt. Es wurde das Downsyndrom diagnostiziert. Sie macht sich die Entscheidung nicht leicht. Ich versuche, sie zu stützen. Eigentlich versuche ich, ihr familiäres Umfeld zu stützen. Der Zufall will es so, dass ich gerade heute beim Mittagessen einem Mann gegenübersitze, der mit dieser Krankheit (?) lebt.
9
Weint mein Kollege manchmal?
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Die rote Gartenbank bricht unter uns zusammen. Der Nachbar geht mir gut zu. Meine Mutter geht mir nicht gut zu. Aber alles ist, wie es ist. Ich bemühe mich, wertfrei zu bleiben. Die Muse küsst mich nicht. Was soll ich sagen, ich falle dann in ein Loch. Und meine Tochter sagt, in jedem Loch ist es scheiße. Es gibt kein gutes Loch.
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Nüsse vergolden hilft heute nicht.
12
Ich messe mit zweierlei Maß. Und diese Frechheit erlaube ich mir voll und ganz.
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Was ist los mit mir? Einmal am Tag weinen? Was alles ist mir zu viel? Ich fühle mich hin und hergeschubbst.
14
Er findet Bologna sehr schön – ist das die schönste Stadt Italiens?
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Sie möchte über Sex reden. Sie möchte nicht über Sex reden. Sie möchte Sex haben.