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Der Kellner im Flughafenrestaurant hat nur mehr drei Stunden lang Dienst.
Ich verlange die Rechnung für meinen Espresso und die Eierspeise. 100 Euro, sagt er schmunzelnd.
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Unter mir die Wolken, Schnee auf den Bergen. In den Tälern liegt Nebel. Unter mir ist‘s also finster. Wenn hier Schnee liegt, scheint die Welt noch in Ordnung zu sein, sag ich mir. Glaub ich mir. Halte ich mir fest.
Ja, die Berge sind mir die liebsten. Später sehe ich die Flüsse als silberne Bänder, ich sehe die Häuser als winzige Punkte, die Dörfer wie Ameisenhaufen. Die Dolomiten. Südtirol. Ein Spiegel, der Gardasee, ein Engel in Silber. Die Sonne in den Fenstern der Häuser sind Sterne, die Blechdächer leuchten. Ich vergesse, welche Jahreszeit wir haben. Die Felder sind grün.
Der Po zeigt sich in seinen vielen Windungen und Wendungen. Im Osten färbt sich das Meer in Orange ein. Eine Sinnestäuschung nach der anderen, Meer oder Horizont, Unten oder Oben, wo beginnt der Himmel? Auch die Flüsse reflektieren die Sonne als grellgelben Ball oder als güldenes Band. Die offene Adria sieht aus wie die Oberfläche eines Ledersofas. Der Stuart serviert mir überm Golf von Genua Hühnerschnitzel in einer Semmel, Prosecco und Wasser im Plastikbecher
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Jeden Augenblick will ich genießen, hier über den Wolken. Was für ein Luxus! Eingebettet zu sein in eine großartige Welt auf der hüben wie drüben Menschen auf mich warten, die mich lieben. Ich erfinde Dankbarkeit, verschreibe ich mich, schreibe von Wundern, lass Theben links liegen.
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Am Ende der Reise werde ich mir vornehmen, bei meinem nächsten Besuch hier in der Nacht am Strand zu liegen und in die Sterne zu schauen, um ins Universum zu fallen.
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Ich brauche acht Stunden Schlaf. Den Sonnenaufgang am Morgen zu bewundern, das könnte zur Routine werden.
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Es gibt hier ganz kleine Tauben, Wildtauben, die in großen Bäumen leben. Und Dattelpalmen und Kokosnüsse auf Palmen. Natürlich müssen die Pflanzen hier bewässert werden. Es fällt so gut wie kein Regen. Es gibt riesige Pflanzzelte, in denen Palmen, Bananensträucher oder Paradeiserpflanzen gezogen werden.
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Los Abrigos heißt das Dorf, in das wir fahren. Wir sind ein kleines Wir auf einer Insel. Der Vulkan könnte jederzeit ausbrechen. Hier ist das Meer mein Wasserfall. Das Meer ist der Atlantik. Der Atlantik, der auf diese Insel schwappt. Ich trage Sand in den Augen und zwischen den Zähnen. Hier werde ich mich festkleben. In Tajao ist der schönste Anblick das Zusammenspiel von Land und Wasser. Felsskulpturen, Gischt. Der beste Hauswein und Tintenfisch mit Zitrone. Wenn es das Letzte ist, was ich genießen darf – ich bin sehr zufrieden.
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Der Barraquito, eine geschichtete Kaffeespezialität, deren Zutaten ein Espresso, Milchschaum, Likör, Zimtpulver und Limettenschale sind. Die Kellner in der Rioja-Bar sind Profis mit rauem Schmäh. Testosterongeladen …und zum Wein servieren sie Serrano-Schinken. Am Abend stelle ich mich für ein Eis an. Der Bursche hinter dem Tresen wirkt konzentriert und lässt sich durch die immer länger werdende Warteschlange nicht aus der Ruhe bringen. Mit stoischer Genauigkeit bringt er Eiskugel um Eiskugel auf die Tüten. Es dauert sehr lange! Ich entdecke Gofio, eine Mehlspezialität, die ich bis dato nur im Himalaya und in den Hohen Tauern verortet wusste. Ich denke an meine Großmutter, in deren lauwarmen Brotbackofen ich als Kind gekrochen bin, um die gedörrten Getreidekörner für die Munggn herauszukehren.
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Surfer finden hier beste Voraussetzungen für das, was sie nicht lassen können. Sie wohnen in Hotels wie dem unseren. Deshalb wird zum Frühstück sehr viel Obst und Gemüse aufgelegt. Die Surfbretter sind kurz geworden. Die auslaufenden Abrundungen sind mittlerweile an beiden Enden abgeschnitten. Das Brett ist fast quadratisch. Und der Schirm findet in einem winzigen Rucksack Platz.
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Es gibt kaum Hunde auf der Insel. Viele Paare mit Kindern suchen den zentral nahe den Bars gelegenen Spielplatz auf. Besonders auffallend sind die Väter, die zugleich Machos und verantwortungsvolle Erziehungsberechtigte darstellen. Viele der Männer tragen Bärte in unterschiedlichen Längen. Das ist jetzt wohl Mode. Die Kinder laufen wir aufgezogen herum. Schnell und durcheinander. Alles ganz friedlich und laut. Ein lebendig gewordenes Wimmelbilderbuch.
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Am Wochenmarkt kaufen wir ein paar Paradeiser und Paprika für ein Picknick am Berg. Ich weiß noch nicht, was auf mich zukommt.
Wir fahren Richtung San Isidro in den Nationalpark Teide. Zuerst fallen mir die Landwirtschaft und die Gärten auf. Wein und Erdäpfel in sehr karger, trockener Landschaft. Das Städtchen Vilaflor liegt quasi immer irgendwie im Nebel oder in den Wolken. Das ist für die Pflanzen eine der wenigen Möglichkeiten, zu Wasser zu kommen. Zudem Zisternen; und Bäumchen, die in Mulden gesetzt werden, damit sie das wenige Wasser auffangen.
Dann beginnt die Phase der langnadeligen, alten Föhren, Kiefern. Die Wolkendecke, auf die wir mittlerweile hinunterschauen, ist atemberaubend, die Felsenlandschaft macht mich sprachlos. Wir hanteln uns von Schönheit zu Schönheit. Ein bisheriger Höhepunkt dieser Reise ist die Sternenwanderung zu den Roques de García. Die meisten Pflanzen auf dem kargen Vulkangestein sind so hart wie Plastik. Es gibt eine endemische Pflanze hier, die wie eine Kerze in die Höhe ragt, den roten Teide-Natternkopf. Begleitet von blühender Aloe Vera, Strelitzie und Paradiesvogel. Im Moment sind nur ihre Samenstände da zu sehen. Die Farbenpracht des Frühjahrs hält sich jetzt noch zurück. Pastelltöne. Es ist der Auftritt der Steine. Die Formen sind derart spektakulär, dass es keine grellen Farben mehr verträgt, dieser visuelle Überfall…
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Immer wieder schüttet der Reisegefährte ein Schlückchen Wasser oder Alkohol quasi als Dank und Segen ins Meer, in die Luft oder auf die Erde. An besonderen Orten, die ihm viel geschenkt haben. Er ist ein zutiefst spiritueller Mensch. Das darf ich allerdings nicht erwähnen.
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Zwei Tage Leben sind mehr als zwei Seiten schreiben, meint die Pragerin, deren Biographie ich zurzeit lese.
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Was erlebst Du gerade, fragt mich mein Reisegefährte. Ich antworte, dass hier alles eine Geschichte ist, gewoben aus vielen Details. Das Muster im Sand. Die hellen und dunklen Staubkörner, die sich marmoriert zeigen, wenn das Meerwasser drüber schwappt, die pflanzlichen Muster, die sich bilden. Nie in gleicher Art und Weise. Der Glitzersand – Abermillionen Sternchen. Die Holzbretter, über die wir jedes Mal laufen, wenn wir vom Quartier ins Städtchen schlendern, abgenutzt von Wind, Wasser und Füßen. Die Nagelköpfe, die manchmal rausragen und zum Stolpern einladen.
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Angeblich gibt es auf der Insel Ausschreitungen aufgrund der viele Engländer, die zum Fußballschauen herfliegen. In ein paar Tagen spielen die Engländer gegen die Walisen. Da wird es laut Prognosen rund gehen.
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Während ich das schreibe, sitze ich unter zwei mehr oder weniger zerrupften Palmen an einem Kaffeehaustischen in El Medano und starre aufs Meer. „Das hier ist für Warmduscher“, meint der Reisegefährte, „die richtig wilden Wellen gibt es in Santa Cruz.“ Die Wellen in Los Americanos sind allerdings auch nicht übel. Deshalb treffen wir dort auf viele wellenreitenden Freaks. Der sympathischste Sport hier ist mir allerdings das Schwimmen. Ich sehe einen Schwimmer, er nimmt sich eine aufblasbare Boje mit und schwimmt eine Stunde lang hin, eine Stunde lang zurück. Mehr braucht man nicht. Und ich schließe das erste Mal in meinem Leben Freundschaft mit einem Schnorchel.
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Wir wandern auf der Mauer ohne Geländer vor zum schönen Aussichtspunkt am Pier. Links von mir das Meer und im Anschluss eine Einladung auf ein Glas Weißwein in ein Lokal, das Fledermäuse zum Logo hat. Neben uns sitzt ein älteres Paar, das Französisch miteinander spricht. Wir verstehen kaum ein Wort. Es ist unbedeutend. Das Unausgesprochene ist hier sehr deutlich.
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Das schwarz-goldene Feenkleid meiner Schwester hat hier seinen besten Auftritt. Ich spiel ein bisschen Theater damit. Am Strand um im Cafe Medano. Die beiden Kellnerinnen zeigen sich begeistert ob dem vielen Glitzer. Sie sind sehr charmant zu mir und schmeicheln mir. Wir vergraben einen Keramik-Kokon an der Stelle, wo mein Reisegefährte vor Jahren eine Ton-Kärntner-Nudel vergraben hat. Diese holen wir unversehrt zurück in meine Hände. Ich werde sie daheim auf den Tisch legen. Angereichert mit Meersalz und Meeresbrise und Erde.
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Mein Reisegefährte weist mich auf ein großes Plakat hin, ein Foto von einer Meerprozession am zweiten Sonntag im September in dieser Stadt. Eine Marienskulptur mit Kind wird auf einem Boot ins Wasser gebracht und bejubelt. Am Strand sind Massen von Menschen zu sehen. Ein buntes Schauspiel.
Er zeigt mir auch eine Bildhauerwerkstatt, in der ein Künstler Workshops abhält.
Er zeigt mir den roten Berg.
Er zeigt mir die Kajaks, mit denen wir zu den Delphinen fahren könnten.
Er zeigt mir sein illegal aufgesprühtes Logo, das direkt in die Webcam leuchtet.
Er zeigt mir das Lokal in dem der beste Mojito ausgeschenkt wird.
Wo finde ich den Off-Knopf?
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Ich bin nicht mehr aufnahmebereit.
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Es regnet immer wieder ein bisschen. Beim Frühstück reden zwei Urlauberinnen miteinander: „Ja wir waren jetzt drei Wochen lang hier. Den Winter ein bisschen verkürzen. Bis jetzt hatten wir Glück mit dem Wetter.“ Die andere: „Ja, wir kommen im November und dann im Februar und dann im März für jeweils drei Wochen.“ Scheinbar findet hier so etwas wie ewiger Frühling statt.
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Natürlich kaufe ich auf dem Samstagmarkt Souvenirs ein. Bezauberndes Selbstgehäkeltes. Lesezeichen, Tintenfische, Bären– Eine deutsche Frau, die nun schon seit Jahren hier lebt, handarbeitet sie. Wir finden einen antiquarischen Reiseführer – Wanderwege auf den Kanaren. Schön langsam bekomme ich einen kleinen Überblick über diese Inseln. Tektonisch: Afrika. Politisch: Europa. Das nächste Mal muss ich mir leichte Wanderschuhe und eine wirklich warme Wanderjacke mitnehmen.