KategorieLicht am Stelldichein

Zurückwatscheln


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Laut dem Männerforscher Romeo Bissuti haben sich die Männerbilder nicht deshalb verändert, weil Männer plötzlich miteinander geredet und festgestellt haben, dass auch sie unter Männlichkeitsnormen leiden. Männlichkeit hat sich verändert, weil sich die Frauen verändert haben und die Männer mitbekommen haben, dass sie mit der Macho-Nummer nicht mehr bei Frauen landen.

Wir schaffen es allerdings locker, das Blatt wieder zu wenden und ins vorige Jahrtausend zurückzuwatscheln.
2
In einer Fernsehschnulze höre ich vier Sätze, die eine Mutter ihrer Tochter zur Entdeckung der „wahren Liebe“ mitgibt.
„Frag dich,
ob du ihm alles erzählen kannst,
ob er Herzenswärme besitzt,
ob er dir dabei hilft, zu dir selbst zu finden
und ob er der Vater deiner Kinder sein soll.“
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Eines der schönsten Dinge als Paar: als Paar zu wachsen!
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Wir erwecken Sehnsucht und Verlangen bei jenen, die uns sehen.
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Ich bin verwirrt.

Haushalten

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Ich werde meinem Mann von meiner Reise ein Haushaltsgerätmitbringen. Kurz vor meiner Abreise antwortete er auf meine Frage, ob wir ein gemeinsames Hobby hätten: „Ja, den Haushalt“.

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Mein Alltag ist viel zu viel Verschiedenes. Das erschöpft mich, macht mir Verspannungen im Nacken und im Kopf.

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Ihre Bilder, die sie im Kopf trägt – Prinzessinnenvorstellungen vom Leben, vom geplanten Schönen, von einer perfekten und heilen Welt – sie machen ihr Angst.

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Er mag das Abenteuer. Er mag es, glücklich zu sein. Dieses Jahr macht er nur das Nötigste im Garten, weil er zu wenig Zeit zum Gießen haben wird. Vielleicht steckt er Zwiebeln. Wenn er wandert und zeltet, trägt er höchstens einen 9 kg schweren Rucksack auf dem Rücken. Wenn er ihm zu schwer wird, denkt er an all jene, die Tag für Tag Lasten schleppen, am Bau, im Lager, in der Gastro, im Gesundheitswesen, … Gesundheit, das wünscht er für uns alle. Wir trinken spanischen Sekt, stoßen auf seine Pensionierung an und bleiben bis 1 Uhr nachts zusammen.

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Wir sollten Respekt voreinander haben.

Mehr Bologna, Martha!


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Ideen für die Reise:
Tröstlich wohnen. Die alten Plätze besuchen. Morandi besuchen. Zeitgenössische Museen besuchen. Natürlich essen und trinken. Einen Tagesausflug nach Florenz machen. Über Mestre und Venedig wieder nach Hause fahren.

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Viele Kleinigkeiten
daheim lassen mich nicht zur Ruhe kommen. Das nennt man wohl Reisefieber. Ich verzettle mich mit Reiseführern und dem Kofferpacken und der Idee, die Vorbereitungsphase doch zu genießen. Der Wetterbericht sagt für das Reiseziel Regen voraus. Bologna ist dafür die geeignetste Stadt. Die Laubengänge von Bologna entstanden fast spontan, wahrscheinlich im frühen Mittelalter, als Vorsprünge privater Gebäude auf öffentlichem Grund errichtet, um den Wohnraum zu vergrößern. Wir werden trockenen Fußes vorankommen. Mein Sohn, der die Stadt von einer Reise vor einiger Zeit kennt, schwärmt bei der Verabschiedung vom Platz am höchsten, schiefen Turm und vom Essen und den Märkten …

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Mein Reisegefährte hat Kunstkarten vorbereitet,
die wir als „Spuren“ hinterlassen können.
Worüber denken sie gerade nach? A che cosa sta pesando in questo momento?
Worin besteht ihr Schmerz? Qual e in tuo dolore?
Ich schreibe hier nicht über den Schmerz. Ich wende mich der Veränderung zu.

Welche Geschichten werden wir einander später erzählen?

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Der frühe Reisemorgen ist aufregend. Die Schnürsenkel meiner Schuhe sind fest ineinander verknotet. Ich arbeite mit zwei spitzen Gabeln, um sie aufzulösen. Der Kaffee schmeckt mir heute nicht. Qualitytime liegt wie ein unbeschriebenes Blatt vor mir

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Seit ich fliege,
sind die Sicherheitskontrollstellen zum ersten Mal mit freundlichem Personal besetzt. So geht alles viel leichter. Wir haben Zeit am Flughafen, noch (k)ein Ottakringer und einen Kaffee zu trinken – der Flug vergeht rasch und am Ankunftsflughafen wartet der erste italienische Kaffee auf uns. Jetzt schmeckt er. Busfahren, die ersten Eindrücke der Stadt. Die Unterkunft lässt einen Blick auf eine Straßenkreuzung, den ich sofort liebgewinne. Dieser Blick wird mir in sehr guter Erinnerung bleiben, das weiß ich jetzt schon.

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Bologna, die Rote und Bologna, die Fette,
das sieht man bereits am ersten Tag. Unglaublich gutes Essen – leider kann man nicht so viel davon nehmen, wie man gerne möchte. Wir essen sehr spät zu Mittag. Einfach, am Markt. Mit den besten Fischzutaten, direkt vom Fischhändler nebenan. Ribola Chialla und Friulano dazu. Die Stadt ist nicht zu vergleichen mit Venedig, dort weist uns ja der Tourismus in die Schranken. Hier in Bologna kann man auch leben.

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Torre del Orologio, Piazza Maggiore, Basilika San Petronio, Gewürzmarkt.
Für mich im Mittelpunkt: das Uhrwerk und ein Fensterbrett als Sonnenuhr. Tauben. Eine Abendsonne und fahles Licht. Der Aufstieg auf den Uhrturm, um über die Stadt zu blicken, ist leicht und schön steil. Von oben wirkt die Stadt kompakt, massiv, die Häuser im Stadtkern sind mit roten Ziegeln gedeckt. Der erste Eindruck übertrifft meine Erwartungen. Das hat einen beglückenden Effekt. Vom Uhrturm aus sehen wir sogar das Stadion und eine Figur, die hoch oben in den Lüften schwebt – wahrscheinlich ein Engel. Er kommt mir surreal vor, so mitten im Himmel platziert, ohne erkennbaren Zweck, außer der Schönheit zu dienen. Wir haben Glück, die Sonne kommt raus. Ich bin jetzt schon müde, aber vielleicht trinken wir doch noch ein Glas Wein … nicht nur Tee. Am Ende des Tages sind wir an die 12 Kilometer weit gegangen.

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Im Theatro Anatomica fühle ich mich vorerst wohl.
Ein ganz mit Holz ausgekleideter Raum schafft Geborgenheit. Die Holzstufen im Saal sind abgenutzt, und ich stelle mir eine Leiche vor, wie sie da in der Mitte auf dem Seziertisch liegt, zur Schau gestellt, umringt von Männern, die etwas sehen wollen, etwas lernen wollen oder es treibt sie noch etwas ganz anderes an, diesem Schauspiel beizuwohnen. Noch vor wenigen Jahrzehnten wäre es mir als Frau nicht möglich gewesen, hier drinnen zu sitzen. Ich stelle mir hier eine Supervisionssitzung im großen Stil vor, ein Treffen von Menschen, die sich für die Psyche des Menschen interessieren, von dem mir eine Freundin immer wieder erzählt. Ein ständiges Kommen und Gehen und Mitreden, ohne das Gesagte zu bewerten. Ich höre den Regen aufs Dach trommeln. In Florenz ist Hochwasser, südlich von Bologna auch. In einem nächsten Raum fällt mein Blick durch eine vergitterte Tür in einen elendslangen Gang der Bibliothek.

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Am Abend tummeln sich viele Menschen
vor und in den Gassenlokalen. Obwohl es regnet. Wir gehen trockenen Fußes durch die Laubengänge zurück in unser Quartier. Vorher trinken wir richtig gut in der Osteria del Sole. Hier ist es üblich, das Essen selbst mitzubringen und nur die Getränke in Selbstbedienung zu holen. Die Bude ist gedroschen voll. Nachdem wir das System durchschaut haben, besorgen wir uns in der Fleischhauerei und beim Bäcker nebenan eine Kleinigkeit zu essen und tun bei diesem bunten Treiben mit. Mir fällt ein, dass die Wiener Heurigenlokale in ihrer Ursprünglichkeit auch so organisiert waren. Zum Rauchen geht man vor die Tür. Dort ist der Platz sehr knapp und so stehen alle Raucher in der Tür. Chi non bene fuori … steht auf einem Schild an der Tür – wir befinden uns also in einem Lokal für die Nicht-Wohlhabenden.

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Ein Brandteigkrapferl
mit einem knochentrockenen Prosecco im besten Sinne genießen wir im Cafe Gamberini. Die Vitrine mit den süßen und pikanten Bäckereien ist eine Augenweide. Ich denke laut nach und frage mich, was mit den appetitlich angerichteten Häppchen nach Dienstschluss geschieht? So etwas kann man doch nicht wegschmeißen. Aber haltbar ist das Ganze auch nicht … Zwei Tage später bekomme ich durch Zufall die Antwort geliefert: In der letzten Stunde vor Dienstschluss werden die nicht verkauften kleinen Köstlichkeiten auf 4 großen Etageren und 7 Tabletts an der Theke angeboten (Minibrötchen, Chicettis, Pastetchen, Balls, Frittiertes, …) und jeder Gast darf sich davon nehmen. Wieder ein „System“, das mir sehr imponiert.  Wie einige andere Touristinnen bin ich von diesem Angebot freudig überrascht. Andere wissen davon: Neben mir setzt sich kurz vor der Sperrstunde eine feine Lady in hochbetagtem Alter, bestellt sich ein Glas Prosecco, nimmt sich ausführlich von den Appetizern, trinkt noch ein Glas Prosecco und geht dann wieder, nachdem sie ein ordentliches Trinkgeld hinterlassen hat. Passend zum Ambiente hat sie sich fein herausgeputzt: gefärbte Fingernägel, gefärbte Lippen, Schmuck an Fingern, Ohren und um den Hals.
Ich hingegen überlege mir, ob es Sinn macht, für irgendein Fest solche Etageren zu töpfern? Ganz schlicht in der Ausführung, damit die Speisen wirken können? Aber, wer bereitet dann bloß die ganzen Köstlichkeiten vor? Ich bin begeistert, auch wenn der Anblick der Bar im Vergleich zu den Obdachlosen draußen auf der Straße sehr dekadent ist. Es regnet.

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Das Beste kommt noch: das Museo Morandi.
Ein bildender Künstler, der mich an Christine Lavant erinnert, nachdem ich etwas über ihn erfahren und vor allem seine Bilder im Original gesehen habe. Sehr zurückgezogen machte er unbeirrt sein Ding. Stillleben bis hin zur Abstraktion, ohne laut zu werden. Zurückhaltend und haltend. Man kann sich darin verlieren und wird doch getragen von ihm, von dem Leben, das er geführt haben mag, das sehr asketisch schien… Es ist auch ein Glück, seine Bilder im Original zu sehen. Seine Krüge und Dosen. Die zarten Pastellfarben. Grafik und Malerei. Frühe und späte Werke. Ein Himmel. Eine Stromleitung, die ihn teilt. Ein Haus.
Das Museum befindet sich in einer verlassenen städtischen Bäckerei, dem forno del pane di Bologna. In einem Raum des Museums läuft ein Film über die Teppichherstellung in dieser Gegend in früheren Zeiten. Auch er zieht mich in seinen Bann. Eine Künstlerin hat ihn in Schwarzweiß mit ihrer Mutter als Hauptfigur gedreht. Er zeigt diese Frau bei verschiedenen halbmechanischen Tätigkeiten an großen Maschinen. Ständig flimmert eine leichte Staubschicht durch den Film. Die Mutter hat lange, lackierte Fingernägel und bewegt sich dennoch mutig zwischen Maschinen und Wolle.
Wir kaufen einen Morandi-Katalog. Ein darin abgebildetes Foto zeigt einen langen Trauerzug durch die Via Sant Alo, die Straße, an deren Ende die beiden Türme stehen. Das Foto ist ein beeindruckendes Zeugnis von Morandis Beliebtheit in der Heimatstadt.

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Wir essen frisches Brot vom Markt,
frische Salami vom Markt. Ein gekochtes Ei. Wir reden über Morandi. Und seine Einfachheit, seine Suche nach Einfachheit. In der Stadt fand er diese Schlichtheit wohl nicht, sie ist üppig und stark und reich an Ornamenten. Es macht Freude, zuzuschauen, wie in den Auslagen Nudeln per Hand hergestellt werden, es macht Freude, die vielen verführerischen Brötchen, Speisen to go und Süßigkeiten anzuschauen. Es scheint so, dass man es sich in Bologna nicht erlaubt, etwas nicht Gutes aus der Hand zu geben. Dahinter steckt viel eintönige Kleinarbeit.

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Bologna, die Gelehrte. Wir freuen uns über die vielen Lorbeerkränze und die noch schöneren Blumensträuße, die die frisch gebackenen DoktorandInnen bekommen haben und nun stolz in Händen tragen. Sie sind in der Stadt unterwegs, um mit ihren Familien zu feiern. Der schönste Strauß ist der mit Artischocken, Spargel, Radicchio und Lorbeer. Die junge Frau, die ihn bekommt, ist außergewöhnlich gekleidet. Obwohl sie mindestens 180 cm groß ist, trägt sie Clogsschlapfen mit sehr hohen Absätzen.

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Schade, dass mein Tablet nicht sehen kann! Wir sitzen vor den beiden schiefen Türmen, Le dui Torre, in der Via Rizzoli zwischen den Arkaden und ich versuche, diesen Eindruck festzuhalten. Die Türme reißen meinen Blick immer wieder nach oben. Mitten in der kleinen Fußgängerzone hat ein Künstler eine Poesiebox installiert. Ich nehme ein Gedicht heraus. Es ist auf ein weißes Blatt geschrieben, zusammengerollt, mit einem kurzen roten Band zusammengebunden. Der Künstler heißt Antonio Melis:

Nell’aria sobria
di pensieri non pensati…
Medito un mondo, liberarsi nella sua natura semplice…
improvvisa…
gli oceani salgono
la superficie del mondo
abbandonato da tiranni e sudditi
il divino ha il potere di far morire e rinascere le anime in pena,
su questa terra…
vedo un dipinto di arcobaleno riflettere le vite risorte degli
uomini
in virtù del coraggio…

In der nüchternen Luft
Von ungedachten Gedanken…
Ich meditiere eine Welt,
befreie mich in ihrer einfachen Natur …
Plötzlich…
Die Ozeane steigen
Die Oberfläche der Welt
Verlassen von Tyrannen und Untertanen
Das Göttliche hat die Macht, Seelen in Trauer sterben und wiedergeboren zu lassen,
Auf dieser Erde…
Ich sehe ein Regenbogengemälde, das das auferstehene Leben der
Männer
Aufgrund von Mut…

Der Künstler kommt auf uns zu, spricht uns an, fragt, wo wir herkommen, erwähnt, dass er heute schon mit Leuten aus Österreich gesprochen hat. Heute sind viele Menschen unterwegs. Vielleicht bleiben sie auf dem Weg nach Florenz hier hängen, weil es wegen des Hochwassers nicht ratsam ist, dorthin zu fahren?

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Klamotten sind hier wichtig.
So wie fast überall in Italien. Heuer trägt man weite Hosen – ich kenne sie von New York im Vorjahr: da gab es auffallend viele weite Jeans zu sehen. Wir sehen jede Menge junger Frauen mit einem Hang zum Tussihaften.
Ich sehe eine Frau, sie trägt ein langes T-Shirt, ein kurzes Leiberl drüber und ein warmes Kleid ohne Ärmel, und dann noch einen ärmellosen Mantel. Alles in dezenten Farben.
Eine andere Frau trägt ein buntes, kurzärmeliges Kleid, darunter ein langärmeliges Shirt, eine gestrickte Kette, eine sehr bunte Tasche. Ich sehe eine sehr, sehr weite Hose. Das alles gefällt mir.

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Rot, orange, braun, ziegelfarben. So würde ich die Stadt in Farbe beschreiben. Ein Kontrast dazu: Eine Bettlerin. Ihr Gesicht ist weiß geschminkt, sie trägt weiße Kleidung und sieht aus wie eine Bäckersfrau. Sie spricht kein Wort, macht einen pantomimischen Gruß und hält dann die offene Hand hin, um Almosen zu empfangen.
Es gibt auffallend viele Büchereien in dieser Stadt und auch einige Männer mit Hut. Die Arkaden lassen alle Menschen mit der gleichen Würde durch die Straßen gehen. Man hat ein erhabenes Gefühl, wenn man durch diese Gänge geht, die sich manchmal über zwei Stockwerke erstrecken. Die nach oben strebenden Bögen und Säulen lenken, genauso wie die Türme, den Blick nach oben. Unter den Arkaden ist es kälter als draußen auf der Straße, das sollte man bedenken, wenn man sich einen Platz zum Sitzen und Verweilen sucht.

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In einer kleinen Kapelle
treffe ich auf eine Nonne, die sich in heller Aufregung mit einem (vermutlich) Obdachlosen unterhält. Es sieht so aus, als hätte er hier übernachtet, zumindest riecht es danach. Wie und ob sie ihn überzeugen kann, diesen warmen Ort zu verlassen, erfahre ich nicht mehr, es zieht mich weiter.

Über der Kirche des Heiligen Franziskus hat sich ein Regenbogen gebildet. Auf dem Platz davor spielen Kinder Fußball, trotz des leichten Regens. Ich koste vom Eis, das hier besonders professionell angeboten wird. Den Hinweis auf diesen Laden, mit dem besten Eis der Stadt, habe ich in von einem deutschen Podcaster gehört. Vermutlich lügt er nicht.

In der Kirche des Heiligen Bartholomä, gleich neben dem höchsten Turm, beim heiligen Josef, zünden wir zwei Kerzen für uns an. Diese Kirche war bisher die schönste. Weil sie im Inneren dunkel ist und das Gold dann besser wirkt. Alle Kirchen – und derer gibt es viele – sind sehr groß und relativ ruhig eingerichtet. Die Stile sind zum Teil sehr gemischt – eh klar – vom Romanischen bis in den Barock.

Die Basilika San Petronio mit ihrer aufwendigen Backsteinfassade schmückt den Hauptplatz Sich an einem Brunnen zu verabreden ist sehr poetisch, poetischer, als zu sagen, wir treffen uns in der Straße XY/ Ecke Soundso.

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In unmittelbarer Nähe des Neptunbrunnens
sehe ich einige Menschen, die ihr Ohr an das Gewölbe legen. Ich spreche eine Frau daraufhin an und erfahre, dass es sich um ein besonderes Klangspiel handelt, das die Stimme wie ein schnurloses Telefon von einer Ecke in die andere leitet. Später lese ich nach, dass Mayors Vault zu einem der sieben Geheimnisse Bologna zählt.

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Wir bleiben bis zur Sperrstunde in der Osteria del Sole:
Der Oberkellner läuft mit einem selbstgebastelten Schild herum, auf dem ein Kondom klebt, darunter steht: Sperrstunde! Ora di chiusura! Geht ficken!

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Sonntagsausflug nach Florenz.
Das klingt gut! Unsere Anreise mit dem Zug klappt sehr gut – sowohl hin als auch zurück. Hin brauchen wir knapp 35 Minuten – der Zug fährt ein paar Kilometer mit 300 km/h! – Zurück fahren wir mit dem Regionalzug ca. 1 1/2 Stunden.

Santa Maria del Fiore,  Ponte Vecchio (älteste Brücke Europas), Brunelleschi-Kuppel, das Babtisterium St. Giovanni mit dem Goldenen Tor – geschaffen von Lorenzo Ghiberti – alttestamentarische Szenen an der Ostseite, Uffizien, Pallazo Veggio, …  an all diesen Sehenswürdigkeiten schlendern wir vorbei. Um hineinzukommen, müsste man für manche Räume Wochen vorher einen „Timeslot“ buchen. Florenz ist ein Museum.

In einem Café vor dem Dogenpalast lassen wir die Stadt auf uns wirken. Mit dem Einsermenü: Bier, Grappa, Espresso.

Wir verbringen auch hier viel Zeit auf dem Markt. Mit drei wunderbaren Brötchen. Ich soll die jeweils 4 Köche beschreiben, die mit Professionalität und Leichtigkeit, Freude und Stolz zeigen. Sie bereiten die angebotenen Speisen in der Schauküche zu. Die Köche schauen zum Anbeißen aus.

Florenz protzt. Diese machtgierigen Dogen und Päpste vergangener Tage kann ich mir nicht wegdenken. Sie verstellen die Künstler, obwohl von denen natürlich mehr bleibt als von den Machthabern, und von den Frauen ist hier gar nichts zu sehen. Eine neuere Figur steht vor den Uffizien, eine riesengroße Bronzefigur einer Frau aus diesem Jahrtausend, die ein Handy in Händen hält. Naja….kommt nicht durch, aber immerhin.

Bologna ist mehr meine Stadt (entschuldige, Florenz, natürlich habe ich dich und deinen geistigen Reichtum nicht erfassen können … ). Auf dem Heimweg vom Bahnhof fällt auf, dass trotz der vielen Straßenlokale das meiste Essen wohl vom Lieferservice gebracht wird. Sogar von MacDonalds wird geliefert.

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Ich schaue mir den preisgekrönten Film No Other Land in einem Kino in der Innenstadt an. In Originalsprache (hebräisch, arabisch) mit italienischen Untertiteln. Ich langweile mich keine Sekunde lang, obwohl ich die Worte nicht verstehe. Ein Dokumentarfilm, der im Westjordanland spielt. Man muss ihn, obwohl er mich fasziniert hat, nicht gesehen haben, er zeigt die Sinnlosigkeit dieses Landes. Aber, wo geht es schon sinnvoll zu? In Amerika? Nach so einem Film kann man nur Nestroy zitieren. „Mein einziger Trost ist die Verzweiflung“.

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Es gibt kein Meer in Bologna,
ich kann keine Muscheln am Strand sammeln.

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Vor der Abreise kaufen wir a
m frühen Morgen auf dem Markt ein. Artischocken. Radicchio. Spargel, Käse. Zitronen, Salami. Das sind meine Mitbringsel. Sogar wilden Brokkoli nehme mit, die wilden Mohnblätter lasse ich liegen. Alles sieht ähnlich aus wie in Galipoli im Jänner – allerdings ist hier alles „schöner“ fürs Auge hergerichtet. Es gibt unglaublich viel Fisch und Meerestiere zu sehen und es ist mir ein Vergnügen, meinen Reisegefährten über Fisch reden zu hören! Die Unterscheidung zwischen Orangen zum Essen und Orangen zum Auspressen schmeckt man. Ich teste es. Tatsächlich kaufe ich sehr viel gutes, frisches Zeugs. Es erfüllt mich mit Freude, dass ich Gemüse mit nach Hause nehmen, das ich später dann die Reise einkochen kann. Das alles wird uns daheim noch wochenlang erfreuen.

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Es ist gut, dass noch etwas offen bleibt
… Hinter dem Bahnhof liegt die monumentale Church of de Secret Heart Of Jesus. Ich esse noch einmal Tagliatelle Bolognese und wir trinken einen Grappa in einer Spelunke. Gut schmeckt es!

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Mit der Trenitalia zu
fahren, das ist richtig komfortabel. Von Bologna über Ferrara, Padua, … nach Mestre. Kurz hinter Ferrara überqueren wir den Fluss Po. Die flachen Felder sind vom Regen durchtränkt, selbst die kleinen Kanäle voller Wasser. Hier wird bereits Spargel gestochen. Zu Hause werde ich Bärlauch pflücken. Bärlauchnudeln kochen, Bärlauchschnitzel, Bärlauchcremesuppe.

Bei Padua denke ich automatisch an den heilige Antonius, der für die verlorenen Dinge steht, der uns hilft, das Verlorene wieder zu finden. Und ich denke an Bodo Hell. Er hat ihn oft in seinen Texten erwähnt und ist nun selbst verloren gegangen. Es klingt wie Musik in meinen Ohren, wenn die Chris Lohner der Italienischen Bahn ansagt: Venezia Santa Lucia!

Die vergangenen Tage zieht gleichzeitig mit der norditalienischen Landschaft am Fenster vorbei. Ein Industriegebiet vor Pordenone, ein ungepflegter, riesiger Weingarten mit Weingartenhütte. Viel Müll und Traktorspuren zwischen den Zeilen. Der Boden bei den Weinstöcken ist aufgebrochen, er ist steinig, die Erde  dunkelbraun. Dazwischen weiden ein paar Kühe.

Wir überqueren den Piave, den breiten, türkisfarbenen Fluss. Nach den vergangenen Regentagen ist das Flussbett gut gefüllt. Der Zug trägt uns. Ich drücke meiner Tochter die Daumen für einen Vitiforst-Vortrag, den sie heute hält.

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Im M9
in Mestre zeigen sie eine Ausstellung über „gerettete Kunst“/Arte Salvata. Das Museum hat sich mit dieser Ausstellung richtig herausgeputzt, wir sehen Bilder, die vor dem Anschlag 1944 in Le Havre aus dem Museum für Moderne Kunst gerettet wurden. Mein Reisegefährte ist vor allem von den beiden Monetbildern begeistert: eine Ansicht aus der Serie über das Londoner Parlament und ein Landschaftsbild mit Sonne, Busch und Wiese. Monet konnte besonders gut mit Farben umgehen, meint er. Blickfang des Ausstellungsplakats ist ein Mädchenporträt von Renoir. Eines meiner Lieblingsbilder ist von Pierre Bonnard. Auf ihm scheint alles verrückt zu sein: ein Tisch, darauf zwei Tischdecken und ein Tablett mit ein paar leeren Gefäßen. Ein Fenster, durch das man auf ein Geländer schaut, dahinter Wasser und ein Boot. Ganz unten rechts in der Ecke, nur schemenhaft zu erkennen, ein Mädchenkopf.

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Der Zug Venedig-Wien hält in Pordenone. Mein Reisegefährte zeigt mir auf seinem Handy die Bilder der Live-Kamera, die auf den Hauptplatz von Bologna gerichtet ist. Er liebt es, jeden Tag die Live-Kameras seiner Lieblingsdestinationen zu sehen. So vermischen sich Traum und Wirklichkeit. Nächster Halt: Udine. Italienisch lernen wäre eine Option.
Wir überqueren den Tagliamento, den zweiten großen Fluss, der aus den Bergen Friauls herabfließt, türkis und wieder in einem sehr breiten Flussbett.
Der Grenzberg zwischen Arnoldstein und Italien heißt Ofen. Im Friaul mit dem Zug Richtung Villach zu fahren, ist ein Vergnügen. Die Berge sind schon da, diesmal mit Schnee bedeckt. Ein Gedanke geht mir durch den Kopf: Unbeirrt sein. Das ist sehr oft das Wichtigste.

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Sohn: Wie ist die Mama so, wenn sie reist?
Reisegefährte: Wie eine Sechzehnjährige!

Verrückt

1
Durch die Stadt gehen und mich dabei streng an diese Vorgaben halten: 1 x rechts abbiegen, danach 2 x links abbiegen – und das solange es geht. Oder mich einfach treiben lassen? Das ist bedeutend schwieriger. Am einfachsten finde ich den Vorschlag: Picknick im Wohnzimmer!

2
Ich belausche ungewollt das Gespräch eines Ehepaares, das am Tisch neben mir mit Blick auf den See sitzt.
Sie: Siehst du den Schwan da hinten? Der brütet da.
Er: Nein, der sitzt einfach so da
Sie: Woher willst du das wissen?
Er: Weil es ungewöhnlich wäre, dass hier ein Schwan brütet.
Sie: Du weißt immer alles besser!“
_
_

Sie: Weshalb sprichst du nicht?
Er: Weil ich nicht sprechen will.
Sie: Du willst nur mit mir nicht sprechen! Nie willst du mit mir reden.
Er: Nein, ich will mit der ganzen Welt nicht sprechen!
_
_

Sie: Wir hätten nicht hierher fahren sollen. Es gefällt dir hier nicht. Gib es zu.
_

Sie: Hätten wir nach Mistelbach fahren sollen? Oder nach Gaweinstal? Wäre dir das lieber gewesen?
_

Sie: Ich merke es doch. Ich habe es vorher schon gespürt, es war ein Fehler, hierher zu fahren. Es gefällt dir hier nicht.

Er geht, kommt mit einem Stapel Zeitungen wieder und legt ihr ein paar davon hin.
Sie: Danke dir. Wie gut du dich kümmerst!

Wachau


1
Ein aus der Zeit gefallenes Haus mit dicken Mauern, das uns vom blasmusikumwobenen Sturmfest abschirmt, beherbergt uns für zwei Nächte. Ein bisschen Lust auf Zuhören haben wir dann doch. Wir stellen fest, dass die Einheimischen alle gleich aussehen, auch die Kinder. Und sie sind freundlicher als ihr Ruf.

Auf meiner Wanderung sehe ich die Schäden, die der Regen angerichtet hat. Zum Beispiel sind diese für die Wachau so typischen Steinmäuerchen, die die Weinterrassen bilden, teilweise durch den Starkregen eingebrochen und haben Drähte, Steher und Reben mitgerissen. An vielen Stellen sehe ich noch Schlammspuren.

Ich freue mich sehr über den Champignongfund, putze die Pilze gleich und schau dann doch noch einmal im Internet nach, weil ich mir bei einigen mit der Bestimmung nicht sicher bin. Und dann: Ja, es haben sich da wohl ein paar Karbolchampignons daruntergemischt. Die sind giftig. Also übergebe ich meinen so knackig-frischen Fund wieder der Wiese.

Das Gehen tut mir gut. Die Kirche von St. Michael lädt mich zu keiner ausführlichen Rast ein. Der Heurige nebenan schon. Zumindest zu einem Achterl Weißen.

In meinem Buch lese ich von den Geräuschen, die ein Liebespaar im Nebenzimmer macht, und hier in der Wachau erlebe ich es in Wirklichkeit.  Realität und Phantasie verschwimmen. Genau wie beim Lesen der Biografie von Christine Lavant. So vieles erinnert mich an sie. Zum Beispiel, wie sehr sie die Einfachheit ihres Aufwachsens geprägt hat. Lavant blieb zeitlebens der Lyrik treu, um sich gegen Angriffe der Menschen aus dem Dorf zu widersetzten. Die Prosa war oft zu verständlich, und die Leute brüskierten sich, wenn sie sich in ihren Texten wiederzufinden glaubten. Spaziergänge waren nur nachts möglich. Tagsüber fürchtete sie sich vor der Verleumdung, sie sei verrückt und faul.

Während der Wanderung finde ich eine Schraubenmutter auf dem Weg liegen. Ich hebe sie auf und nehme sie zu mir. Christine Lavants Mutter hat für andere genäht und gestrickt (oft für Gottes Lohn). Sie war Beichtmutter für viele Kundinnen, die sich da ausgeweint und ausgekotzt haben und dann verrichtete Dinge, mit einem neuen Gewand und einer reinen Seele von dannen gezogen sind. In der Nähstube unserer Mutter erlebte ich Ähnliches. Ähnliches habe ich in der Schneiderei meiner Mutter erlebt. Kein Wunder also, dass es mir seltsam vorkommt, dass es mittlerweile fast 160 Euro kostet, sich mit jemandem zusammenzusetzen und über Seelisches zu reden. Von einem neuen Gewand ist dabei auch überhaupt keine Rede.

Das Wachaumuseum tut sich vor unserer Quartiertür auf. Es befindet sich in einem mächtige Gebäude, dem Teisenhoferhof. Die Frau an der Kassa gibt uns eine gastfreundliche Einführung.  Sie erzählt von der Zeit Ende der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts, als die neue Wachauerstraße gebaut wurde. Auffallend viele Bilder des Wachauer Heimatmalers Erich Giese hängen an den Wänden. Im Laufe des Urlaubs stelle ich fest, dass viele seiner Motive auf Weinetiketten oder als Raumschmuck in den unterschiedlichsten Räumlichkeiten verwendet werden. Am besten gefallen mir die Bleistiftzeichnungen aus seiner frühen Zeit und ein kleinformatiges Aquarell, auf dem Zermatt zu sehen ist.

2
Die Minibar am Ostufer des größten Nexinger Teiches ist eröffnet. Wir beobachten einen Fledermaustanz am Abendhimmel. Außer den Fledermäusen ist niemand da. Sie kommen uns sehr nahe.

3
Ich nehme mich hoffentlich nicht allzu wichtig und lache mich ab und zu kräftig über all meine Unzulänglichkeiten aus.

4
Es kommt auf die Idee an und auf das Wissen, dass Worte Konsequenzen haben.

5
Ein altes, weises Wort (?): Am besten ist es, niemanden zu lieben.

 

Brille tragen

1
Ein paar Einblicke in Galerien im ersten Bezirk sind uns gewährt. Hohe, weiße Räume mit ausgewählter Kunst an den Wänden. Ich kann mich heute nicht auf eine neue, fremde Biografie einlassen. Es ist ähnlich, wie in einem Buch zu lesen. Es lenkt ab. Von der Stille im Rosengarten, die ja immer Saison hat. Der Franziskanerplatz, das Kleine Café sind die Entdeckung des Tages. Der Inhaber des Kaffeehauses ist ein Schauspieler, der im Film „Before sunrise“ mitgespielt hat, so wie sein Café. In der Jesuitenkirche binde ich mir die Schnürsenkel meiner roten Stiefel zu. Die Herbstsonne und ein leichter Wind machen Wien bezaubernd – wir gehen zufrieden durch die kleine Allee im Innenhof des AKH wieder zurück zur U-Bahn und fahren nach Hause. Das tu ich gern, nach Hause fahren, wenn ich weiß, daheim ist es warm.

2
Die Ausbildung zur Lehrerin geht völlig an der Praxis vorbei, sagt die Lehramtsanwärterin, es gibt kein Handwerkszeug für die Aufgaben, die auf sie zukommen. Für Mathe vielleicht am ehesten noch, aber sonst schon gar nixi. Sie sammelt lustige Brillen und anschauliche Bilder: „Diese schicken Eltern von den Kindern auf dem Land sind unausstehlich. Da fühle ich mich doch in den Brennpunktschulen der Großstadt viel wohler! Und das Meer in Porto hat bis zu 35 Meter hohe Wellen!

3
Wie man eine gute Ehefrau ist: Mindestens 90 Prozent der Dinge, die einen nerven, hinter sich lassen. Daran arbeite ich. Ich bin bei etwa neun Prozent angelangt.Und die Frage, ob ich eine gute Ehefrau sein will, sollte ich mir wohl nicht mehr stellen.

4
Hoffentlich kommt die rosa Brille rechtzeitig an, die ich ihm zum Geburtstag bestellt habe.

5
Ich überlege, die eigenen Kinder, Männer und Frauen wieder viel mehr zu berühren, als Selbstverständlichkeit. Ich überlege, Monologe zu halten und anderen zuzuhören, die monologisieren, ausführlich über Kunst zu sprechen und dann zu tun, wofür wir auf der Welt sind.

Semmering

1
Der Sommer fängt so an: Sarah Kirsch, Tagebuch 1990.
Und wir halten Sommerfrische.

2
Dieses Weltkulturerbe „Semmering-Bahn“ hat es uns angetan. Und der Regen und das Faulenzen. Landschaft fällt uns zu und die alten Villen. Kunst fällt uns nicht zu. KeineR von uns hat Lust darauf, sich eine Lesung anzuhören.

3
Jene Gebäude, die den Skifahrern zur Verfügung stehen, sind schrecklich anzusehen: Talstation. Bergstation. Essensbuden. Und dazwischen die Pisten, die im Sommer zur Radfahrstrecke umfunktioniert werden. Der Berg voller Wunden, Krusten, Narben. Nur der Wasserteich für die Schneekanone hat Versöhnliches an sich.

4
„Auch wir hinterlassen Spuren. Von Venedig bis New York“

5
Panhans und die Plakate von anno dazumal, die diese Gegend bewerben, sind einmalig. Das Bahnhofmuseum wir liebevoll von Ehrenamtlichen betreut. Sie sind schon etwas gebrechlich und zerknittert. Das passt gut zur Nostalgie, die in der ganzen Geschichte der Semmering-Bahn steckt. In einer Demokratie wäre so ein Bau nicht möglich!

6
Es zwei Frauen recht zu machen, das ist nicht einfach.

7
Alle langgedienten Paare schweigen, wenn sie zu zweit im Restaurant sitzen. Oder sie schauen auf ihre Handys. Oder einer von ihnen schaut aufs Handy. Und, hast Du morgen schon etwas vor?

8
Sarah schreibt: Das Licht von Alpha Centauri (der Stern, der uns am nächsten ist) braucht fünf Jahre, bis wir es sehen können. Das heißt, sein Licht, das jetzt bei uns ankommt, ist gestartet, als ich Dich das erste Mal geküsst habe.

9
Im Nationalpark Kalkalpen haben Forscher im Jahr 2023 einen sensationellen Fund gemacht: den Rothalsigen Düsterkäfer, eine Urwaldreliktart! Es ist ein schwarzer Käfer mit rotem Hals.

10
Ich fühle mich jedenfalls wehmütig, wenn ich meinen Kalender für kommende Woche ansehe. Er ist bumsvoll. Entweder ich habe sehr viel zu tun oder ich bin krank und mache mir Sorgen, dass ich vereinsame und am Sinn des Lebens vorbei dämmere. Kann ich mich im Schreiben zeigen und verbunden sein mit den Menschen, die mir am Herzen liegen und jenen, die ich unbedingt noch kennenlernen möchte?

Triest

1
Ich habe noch nie in meinem Leben drei Stunden im Stau gestanden. Man verfällt dabei in eine selbstschützende Lethargie.

2
Der „Edammer“ auf dem Karsthügel, der zum Meer hin abfällt,  ist immer noch da. Er scheint unverwüstlich. Genauso wie die Spelunke mit dem Kunstgrasteppich auf der schmalen Mole.

3
Bei der Ankunft liegt ein Kreuzfahrtschiff im Hafen. Das entrüstet mich. Das freundliche Personal im Hotel Vis á Vis macht dieses Ärgernis wett. Eine Stunde später ist das Schiff verschwunden. Vielleicht habe ich mir das alles auch nur eingebildet.

4
Der Blick aus dem Hotelzimmerfenster fällt auf in eine schmale Gasse. Dort ist der Schriftzug „Ulysses“ angebracht. Eine poetische Spur ist gelegt.

5
Ein Spaziergang führt bergauf. Wir kommen ins Schwitzen und werden mit dem Ausblick auf den Hafen und das Meer belohnt. In der Kirche Maria Maggiore lauschen wir für einige Minuten den für uns unverständlichen Worten eines Priesters, der die Messe liest. Die Atmosphäre ist beruhigend. Immer wieder baue ich mir einen Leuchtturm aus den zum Teil schrecklichen Bausteinen der katholischen Kirche, die mir zur Verfügung stehen. Über diese Tatsache möchte ich nicht mehr viel nachdenken.

6
Der Mann in der Vinothek füllt uns für 3,5 Euro Wein aus der Zapfanlage ab. Das geht hier auch. Er schmeckt uns sehr gut, der Friulano, der Ribolla Gialla und der Prosecco. Selbst einige Wochen später wieder daheim im Weinviertel hat er nichts von seiner Frische eingebüßt!

7
Kurz vor Miramare finden wir einen Parkplatz. Auf der Promenade tummeln sich die Badegäste. Wie (fast) immer strahlt die Sonne auf die Schlossmauern. Spektakuläre Architektur. Ich schwimme eine Runde und schaue mir Triest vom Wasser aus an. Viel Stadt ist da zu sehen.

8
Wir schöpfen wieder einmal aus dem Vollen. Mein Reisegefährte legt den großen Bogen Papier, auf dem das Periodensystem abgebildet ist, auf dem Boden aus. Ein weiterer Schritt auf der poetischen Spur dieser Stadt. Ich habe mir das so sehr gewünscht, wieder einmal hier zu sein! Man kann dazu nichts beitragen, dass das eigene Leben manchmal wie eine Operette daherkommt. Einfach ignorieren!

9
Aquileia ist wie aus der Zeit gefallen. Wir staunen über die Zedern des Libanons, die im Garten des Archäologischen Museums stehen. Eine mit massivem Mittelstamm und weit ausladenden Ästen, die gestützt werden. Die andere mit 7 Stämmen, die aus einem Wurzelstock wachsen. Auf jeden Fall gefallen mir die Bäume mindestens so gut wie die Mosaike, Grabbeigaben und Statuen. Goldringe fliegen mir zu.
Was ist nicht poetisch hier im Friaul? Die Politik? Ich denke immer wieder an Grado, es liegt in unmittelbarer Nähe.

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Unsere Agrotourismo – Zimmer – Vermieterin heißt Alissa und ist blutjung. Im Emailverkehr hat sie immer mit Luis unterschrieben, mit dem Namen ihres im Februar verstorbenen Vaters. Jetzt führt sie den Laden.

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Grappa schmeckt überall gut. Am besten nach dem Essen und Cividale del Friulano hält, was der Reiseführer verspricht. Kleines Städtchen mit viel Space für Schönheit. Der Spaziergang führt zum Wasser. Der Fluss nennt sich Natisone. An die 11. 000 EinwohnerInnen leben hier. Ein Hund wird im Kinderwagen vorbeigefahren. Die Hundebesitzer fotografiert die Szene.

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Unter dem Dom von Cividale del Friuli hängen einer Menge Kränze aus Efeu und Trockenblumen. Sträußen aus wilder Karde und Girlanden schmücken die Gassen und Laubengänge für das Fest am Wochenende. Die zwei Damen in der Bar gehen sogar zum Fluss hinunter, um frisches Grünzeug dafür zu sammeln. Sie tragen eng geschnittene Blusen mit tiefen Ausschnitten und stimmen sich und die Gäste auf das Fest ein. In der Pizzeria wird den ganzen Tag gebacken und über die Straße verkauft.
Wir sehen immer wieder Männer, die für das Fest vorbereiten – wahrscheinlich schon seit Tagen. Schilder montieren, Fahnen hissen, Sand aufstreuen, Buden dekorieren. Besprechungen abhalten. Der Alkohol fließt und die Milch in der Milchflasche, auf die man zu Hause wahrscheinlich schon seit Stunden wartet, wird sauer. Irgendwie denke ich an das Dörfchen Erdpreß, da gab es früher auch einmal ein Fest, mit legendärem Herrichten.

13
Auf einem Bein zu stehen, das ist nicht leicht.

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Das Werner Berg Museum in Bleiburg liegt auf dem Weg. In ihm tut sich eine neue Welt auf. Die Welt der Christine Lavant. Dass ich eine empfindsame Frau bin, das ehrt mich. Man muss sich mit mir nicht abrackern. Drehe die Herzspindel. Ein Kreis schließt sich.

backen


1
Für Sonntag bereitet sie einen Kuchen zu. Dazu gibt sie die benötigten Zutaten in die elektrische Küchenmaschine. Dabei passiert ihr das Missgeschick, dass der Quirl nicht richtig einrastet. So verteilen sich Zucker, Vanille, Zitronenschale und Butter innerhalb kürzester Zeit in der ganzen Küche. Daraufhin bricht sie in schallendes Gelächter aus.

2
Heuer gibt es so viele Kirschen ohne Würmer wie lange nicht. Die Freundin backt schon den achten Kirschkuchen der Saison.

3
Ein rund zehnjähriger Junge sitzt mit seinen Eltern in einem Wirtshaus in der Josefstadt. Nach dem Verzehren des Mittagsmenüs steht er auf, holt sich drei Zeitungen und beginnt, eine nach der anderen zu lesen. Seine Eltern hängen die ganze Zeit über am Handy.

4
Ich schaue in den Spiegel und sage mir: Mein Leben ist jetzt ein anderes geworden. Ich definiere mich nicht mehr durch meine Arbeit. Ich lebe, ich genieße, ich nehme an, was kommt und mache das Beste draus.

5
Wir sollten aus uns herausgehe, Gaben geben, freiwillig und obligatorisch, denn darin liegt kein Risiko. MARCEL MAUSS

New York

1
Die Reise beginnt, als ich am Morgen in Niedersulz in den Bus nach New York steige. Die Nachbarin, die zufällig an der Bushaltestelle vorbeikommt, fragt mich, wohin ich fahre. „Nach New York“, sage ich. Der Busfahrer spricht gebrochen Deutsch. So fühle ich mich schon während der Fahrt wie im Ausland. Der Chauffeur ist freundlich und bringt mich mit wenigen Zwischenstopps nach Dürnkrut. Die Nordbahn führt an der March vorbei. Stillfried. Auland. Gänserndorf. Wien, Rennweg, Schwechat. Für mich ist diese Reise der erste Flug über den Atlantik. Um 19 Uhr am Abend steigen wir aus dem Flugzeug und warten auf unser Taxi. Das ungemütliche Prozedere an den Flughäfen wird einem natürlich auch vertrauter, je öfter man fliegt – aber es ist auch wahr, wegen ein paar Vollidioten muss sich die ganze Welt an den Kontrollen entblößen. Dieses unwürdige Spiel müssen wir in Kauf nehmen. Wir nehmen ja auch den großen Luxus in Kauf, relativ einfach, ein paar tausend Kilometer in wenigen Stunden hinter uns zu lassen.

Das Empire State Building erscheint mit allem, was an Himmelstrebendem drumherum steht, gar nicht so hoch.

Am ersten Abend in der Stadt – eigentlich ist es schon 4 Uhr in der Früh – schneien wir in eine kleine Jazz-Bar, nahe unserer Unterkunft. Vier Musiker spielen hauptsächlich für sich und ein bisschen für uns. Es klingt perfekt. Genauso perfekt, wie der Cocktail schmeckt, den wir serviert bekommen. Er hat etwas mit Hemingway zu tun und schmeckt bekömmlich sauer. Ich brauche all meine Energie, um die vielen Unbekannten zu erkunden. Willkommen in Midtown.

2
Das allein ist der große Traum von dieser Stadt: die Freiheit, zu werden, wer man sein will.
Das Zitat, von dem ich nicht mehr weiß, wer es ist, hat Anziehungskraft.
Im Museum of Modern Art zaubert mir die Videoarbeit der Amerikanerin Shana Moulton ein Lächeln auf die Lippen. Sie nennt das Video Meta/Physical Therapie (2023/24) und reiht darin Szenen der „Selbstfindung“ und deren Scheitern aneinander. Fast nichts gelingt. Helle Farben und fröhliche Musik bilden den Kontrast.

… Werke von Frida Kahlo und Louise Borgeois, die ich noch nie im Original gesehen habe.
… Eduard Hoppers Tankstelle
… Lord Rosses Riesenteleskop – ein Doppelnebel wie in van Goghs Sternennacht
… so viel Picasso und Cezanne und Modrean … und sogar Kokoschka und Schiele und Klimt und die Wiener Schule
…sich ein Gedicht vorlesen lassen (von Nick Cave oder John Cage oder Frank Zappa oder John Ashbery…), wenn man folgende Nummer wählt: +1(917)994 8949
…die wunderbaren Ausblicke – zuerst in den kleinen Garten und von Stockwerk zu Stockwerk immer imposanter und verrückter
…im Garten des Museums: ein kleiner Springbrunnen, den mein Reisebegleiter lapidar als „Wasserrohrbruch“ bezeichnet.

3
Wir nehmen uns vor, noch einmal dorthin zu gehen, wo Hoppes Figur gerade tanzt.

4
Seine Ausstellungen sind das Ergebnis strenger Säuberungen, bei denen er die Arbeiten auf das reduziert, was er für wesentlich hält.

5
Ich bemerke meine Konzentration auf das Außen. Ich sammle, was ich kriegen kann. Heute krieg ich die Skulptur von Gertrude Stein im Bryant Park. Stein sieht aus wie ein Buddha im Sitz der Weisheit. Und daneben: Rose ist eine Rose ist eine Rose.

Ich sitze am Fenster eines Bistros am Rande des Parks. Der Park ist klein im Verhältnis zu den Häusern, die ihn umgeben. An den Bäumen, die grad dabei sind, Blätter auszutreiben, sieht man, wie hoch die Häuser nebenan sind.

Wahrscheinlich hat hier jeder Park etwas Märchenhaftes. Der Kontrast zum Betonmeer ist groß. Eine Stadt voller Häuserberge. Häuserschluchten. Der Blick geht immer nach oben. Der Nacken wird steif. Der Bryant Park wirkt weich, zart. Wir besuchen die Publik Library und stoßen auf ein Gemälde von Mihály von Munkácsy, das den erblindeten Poeten John Milton zeigt, wie er seiner Tochter diktiert. Die Stuckaturen sind aus geschnitztem Marmor, die Tische sind aus schwerem Holz, die Böden sind dunkel.

6
Meine Schwester erinnert mich daran, dass Maria Lassnig einige Jahre in New York gelebt hat, Jahre, die für sie und ihre Arbeit von großer Bedeutung waren. Meine andere Schwester bemerkt das Foto von Gertrude Stein, das sie im Fotoblog entdeckt hat.

7
Im österreichischen Kulturinstitut kann man ausstellen, hat mir eine Freundin erzählt.

8
Wie das klingt! „Heute nehmen wir die 5th Avenue, nicht die 6th”

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Die Putzfrau weckt mich während des Mittagsschlafes auf. Hier werden die Zimmer also auch erst am Nachmittag zusammengeräumt. Die sechs Stunden Zeitverschiebung merke ich heute noch nicht. Ich orientiere mich mehr am Licht, also an der Sonne, als an der Uhrzeit.

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Ich höre im chaotischen Klangteppich, der mich umfängt, was ich nicht sehe. Zum Beispiel 170 verschiedene Sprachen.

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Und ohne dieses Spielzeuggeld geht gar nichts? Wie weit hat es die Menschheit denn gebracht! O mein Gott! Wer nicht zahlen kann, muss gehen! Unten ist der Dreck und oben ist das Geld.

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Hast du Angst auszubrechen?

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New York ist voller Romantiker. Andere würden wahrscheinlich gar nicht erst hierher kommen. Jeden Moment kann etwas Außergewöhnliches passieren, und nicht jede Überraschung verändert das Leben. Oft ist das Überraschende nur eine Geschichte. New York ist natürlich auch eine Abstraktion (Geld, Gier, Krise, Luxus, Werbung, Mode, MusikMusikMusik, Superlative…).

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Die Hässlichkeit der Stadt ist wunderbar.

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Mehr oder weniger Ausschlafen im Hendricks in der 38th Straße. Das Zimmer liegt im 15. Stockwerk. Von Lärm war heute Nacht keine Spur.

Wir frühstücken in einer kleinen Bäckerei, die meisten Leute holen sich Kaffee und einen Snack und essen im Gehen. Wir schauen uns ein paar markets an. Es wird alles gekocht und angeboten und mitgenommen – nach Hause, ins Hotelzimmer, auf die Straße. Aus den Kanaldeckeln steigt Dampf auf. Es hat 10 Grad, die Kleiderfarbe der New Yorker*innen ist schwarz. Auf der Straße lernt man, wie die Menschen sind. Acht Millionen Menschen sind ein öffentliches Geheimnis, die Straße, das ist der riesige öffentliches Raum New Yorks.

Alle, die nur können, nutzen ihn. Die Menschen sind zuvorkommend und freundlich. Die Menschen halten sich an Regeln. Man hält sich an Regeln. Dazu gibt es viel mehr Ordnungshüter*innen als in Europa – allerdings sind sie viel freundlicher als bei uns und mahnen dezent, wenn jemand an falscher Stelle Alkohol trinkt oder raucht. Ist es schlimm, das als angenehm zu empfinden, diese öffentliche Zurückhaltung?

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Naturgemäß gehe ich, wenn es zwei Richtungen gibt, zu 100 Prozent in die falsche. Das ist nicht gut und meistens nicht lebensgefährlich, wenn jemand da ist, der sich auskennt.

Wir gehen den Broadway entlang – am Madison Square Garden kriegt man die Augen kaum zu. Im Garten blühen die verschiedensten Bäume. Es ist Frühling und wir tragen Winterzeugs. Wir finden den Metropolitan Life Tower, der an den Campanile am Markusplatz erinnert. Wir finden das Denkmal des Senators Roscoe Conkling, der bei dem großen Schneesturm 1888 ums Leben kam, wir finden das Holocaust-Denkmal an der Fassade des Berufungsgerichts. Wir sehen eine alte Uhr an einer Hausfront und ein paar Eichkätzchen. Wir sehen das Flatiron Building, eingerüstet, weil es sich einer Restaurierung unterziehen muss, wir sehen eine LED-Lampen-Animation von T-Mobile, die meinen Reisegefährten daran erinnert, dass auch er so etwas Ähnliches in seiner Firma für betriebsinterne Präsentationen installieren möchte.

Wir gehen die Madison Avenue wieder runter und finden eine „little church of transfiguration“.  Der 30-stöckige Turm daneben ist wahrscheinlich nicht mehr wert als dieses winzige Fleckchen Erde – zwei dezente Kapellen ein Pfarrhaus, ein englischer Garten. Das passt sehr gut zusammen.

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Heute serviert man uns in einer Zuckerbäckerei ein unübertrefflich salziges Beigel zum Frühstück. Der Spaziergang zum Times Square führt an den großen Musikhallen am Broadway vorbei. Nichts lockt uns hinein. Die Reklamewände leuchten grell. H&M. M&M’s. Die zwei Touren auf den Hop on/Hop off Bussen geben einen informativen Überblick. Sollte ich so etwas auch in Wien einmal angehen?

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Ich bin beeindruckt von Little Island, dem Blackbird im Intrepid Museum in der 12th Avenue und dem Friedhof bei der Dreifaltigkeitskirche.

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Der Sound der Stadt und die unaufgeregte Freundlichkeit der Menschen, das alles zusammen löst bei meinem Reisebegleiter einen Kulturschock aus.

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Wir laufen an einem Pop-up-Store mit lustigen Klamotten vorbei. Wir essen von Papptellern und trinken aus Pappbechern. Die Suppe zum Mittagessen wärmt.

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Draußen sein. Keine Kopfschmerzen haben.

Ich packe zu viele Dinge in einen Tag.

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In New York ist man unerschrocken gegenüber schlechtem oder kaltem Wetter. Das Klischee der dicken Menschen hat sich noch nicht bestätigt. Das Klischee des Gigantismus schon.

Trotzdem bin ich überrascht darüber, dass auch hier nur „Welt“ gespielt wird und bis auf die Häusergebirgslandschaft alles sehr vertraut wirkt. Es mag an der nicht allzu fremden Sprache liegen und daran, dass die Menschen eine sehr unkomplizierte Höflichkeit an den Tag legen – egal, ob in den Geschäften, bei den Warteschlangen oder im Straßenverkehr. Ohne mürrische Laune. Das ist wohltuend. So kann man auch mit dem Tempo auf den Straßen gut leben. Oder habe ich schon so viele Ami-Serien gesehen, dass sich Vertrauen einstellt?

Der Ausblick auf den Bryantpark berührt mich. Heute bin ich schon zum dritten Mal oben am Fenster des Supermarkets. Es fühlt sich schon so wie Heimkommen an. Besonders gut tut das nach einer Busfahrt, bei der uns der kalte Wind um die Ohren bläst. Der Blick fällt auf das nachmittägliche Treiben im Bryantpark. Mein Blick fällt wieder auf die New York Public Library. Ist hier der Frieden zu Hause? Alles ist still. Kaffee wird in Pappbechern serviert. Randvoll. So ist es hier überall.

Ein Viertel der Autos auf der Straße sind Taxis.

Ich sehe Rikschas an mir vorbeifahren. Kein öffentliches Bier. Mein Mitfahrer versucht trotzdem, das Verbotene mit Inbrunst zu tun. So versteckt, wie es hier wohl viele tun.

Kinder holen Buntstifte und Blätter zum Ausmalen. Das kleine Mädchen holt sich das Blatt mit der Freiheitsstatue, der kleine Junge die Brooklyn Bridge. Obwohl der Mensch hier bei so viel Kunst, Architektur und Stadt sehr klein wird, wirkt er dann umso mehr, wenn er sich äußert. In Form von Musik. Oder beim Ausmalen einer Freiheitsstatue.

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Vor mir läuft eine schwarze Taube mit roten Füßen.

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Die friedliche Stimmung findet sich auch im Oculus wieder. Sie geht vor allem von vier Menschen aus, die zusammen musizieren. Plötzlich sind auch alle Menschen hell und weiß, wie das Gebäude. Alles wirkt leicht komponiert – die Farben, die Formen, die Beziehungen. Wir reden immer davon, wie man Altes mit Neuem verbinden kann – das können sie hier. In dieser Stadt gehen Alt und Neu organisch ineinander über. Die Architekt*innen müssen Genies sein. Und große Ästheten.

Der Weg führt uns weiter zu den zwei Twin-Tower Gruben, eine mit Wasserspiel eine ohne. Jene, die ganz stillsteht, wird dem Zweck gerechter, jene mit dem Glitzern des Springbrunnens verbreitet zusammen mit dem neuen 500 Meter hohen Worldtradcenter und dem zarten Oculus Hoffnung.

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Mein Reisegefährte hält nicht viel von Georgia O’Keeffe, glaube ich.

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Natürlich kaufen wir eine Subwaycard. Und mit der U-Bahn zu fahren ist ein Vergnügen. Jedenfalls tagsüber. Die Inneneinrichtung der Subway ist unterwäscheblau und mit viel Silbermetallic-Aluminium versehen. Der Boden ist schwarz, die Wände grau. Alles solide und schlicht. Unkompliziert fährt man mit hoher Geschwindigkeit größtenteils unterirdisch durch die Stadt. Viel genutzt und demokratisch. Ich bin beeindruckt. Wenn man oben auf der Straße geht, spürt man deutlich, wie die Straße vibriert, wenn der Zug durchfährt. Selbst im Coffeeshop vibriert der Tisch.

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Mein Reisegefährte ist genauso rastlos wie ich. Wir wollen nichts verpassen. Aber ich weiß nicht, ob ich den Joint, den ich mir gestern gekauft habe, noch rauchen kann. Rauchen und Trinken in der Öffentlichkeit ist hier eigentlich nicht erlaubt. Die Amerikaner sind da sehr streng.

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Es ist 17 Uhr und ich bin schon wieder wie erschlagen von den vielen Eindrücken. Central Park. Guggenheim Museum. Die große Ausstellungshalle wird gerade umgebaut und für eine neue Ausstellung vorbereitet. Das ist vorerst einmal enttäuschend, weil dadurch besondere Räume nicht zugänglich sind. Es ist nicht ungewöhnlich, ein sehr schönes Bild zu sehen und davon begeistert zu sein. Ich sehe zum ersten Mal „Eine bügelnde Frau“ von Pablo Picasso. Ich bin beeindruckt von den Bilderrahmen, die zu den Bildern ausgewählt sind. Monet. Und noch einmal ein Bild von Van Gogh – kurz vor seinem Tod gemalt. Es prangt an der Wand, tubengrob und charismatisch von einem absoluten Könner dahingeworfen. Ein stilles Landschaftsbild von Pizarro. Auch das spricht mich an in dieser tobenden Großstadt.

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Es war alles ganz albern, aber es gefiel mir. Ruhm, wie bescheiden er auch sein mag, geht unweigerlich mit Neid und Grausamkeit einher.

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Unerwartet kommen wir in der St. Pauls Chapell in den Genuss eines Konzertes. Der Bandleader Billy Hart ist 83 Jahre alt. Ein schöner Grand Sir auf dem Schlagzeug. Wir trauen unseren Ohren nicht. Perfekter Jazz. „That’s New York!“, sagt ein Mann lachend und kopfschüttelnd vor Staunen, als er das Konzert verlässt und freut sich. Mit 100 anderen.

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Am Grand Central hören wir wieder einer Band zu. Sie spielt viel dreckiger als die Truppe in der Kirche. Eine Traube von Passant*innen trifft sich, swingt mit. Viele werfen Geld in den aufgestellten Topf. Heute, am Montag, merkt man, dass die Stadt wohl nie schläft. Die Straßen sind voll. Und der Großteil der Menschen besteht nicht aus Touristinnen.

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Die Pflanzen in den Parks und Gärten sehen aus, als wären sie genmanipuliert. Die Tulpen stehen stramm. Sie sind viel höher und größer als in Europa. Das Gleiche gilt für die Maiglöckchen. Nur die Knoblauchrauke wächst so, wie ich sie kenne.

Der Central Park ist natürlich ein Kunstwerk und kein Park. Eine Parkanlage, an der an jeder Ecken herumgeschnipselt und gepflanzt und getan wird. Die Schildkröten am Jacky Kennedy Water liegen in der Sonne am schrägen Betonufer. Sie wärmen sich auf. Die amerikanischen Rotkehlchen (Amerikanische Wanderdrossel) sind doppelt so groß wie die europäischen. Alles ist groß und doch nicht so groß, wie ich es mir vorgestellt habe. Anders groß. Die Blumenbeete, die hier überall unter den Bäumchen gepflanzt sind, sehen aus wie kleine Gräber. Sie sind auch so eingefasst mit einem massiven schwarzen Metallzaun.

Die weitgehenden leeren Räume funkeln von ihren heftigen Säuberungsaktionen. Eine durchscheinende Glasvase steht auf einem schlichten Tisch, den sie gebaut und dunkeltürkis lackiert hat.. In der Vase stehen zwanzig knallrote Tulpen.

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Ich lese „Was wir liebten“ von Siri Huustvedt, der Frau von Paul Auster. Ich gehe in den Straßen spazieren, die im Buch beschrieben werden. Es ist ein großes Glücksgefühl, das zu können, mir das zu gönnen. Paul Auster stirbt genau dieser Tage.

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Die Stadt schafft es, mich vollkommen aus meinem Alltag herauszureißen. Das Schöne an dieser Reise ist zudem, dass sie mich viel weniger müde macht, als meine Arbeitswochen daheim während eines ganz normalen Tages. Da gibt es keine leeren Phasen. Immer ist irgendetwas, ein Termin, eine ausstehende Aktion. Hier kann ich ausschlafen und sogar etwas herumkugeln im Bett am Morgen und noch so tun, als ob ich alle Zeit der Welt hätte. Ich sollte an meinem Alltag was ändern, dass ich zu mehr Ruhe komme.

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In einem koscheren Supermarkt entdecke ich einen echten Sederteller. Er wird dort zum Verkauf angeboten und sieht fast so aus, wie wir ihn damals zu Gründonnerstag für die Schulkolleg*innen unserer Kinder vorbereitet haben! Wie lange ist das her!17

Die Schiffstour auf dem Hudson hat ihren überwältigenden Augenblick, als wir an der Freiheitsstatue vorbeifahren, obwohl ich vorhatte, mir dabei nichts Großartiges zu denken.

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Ich muss immer daran denken, dass die New Yorker*innen gar nicht am Wasser sein wollen. Auf der Manhattan Bridge sind wir am Wasser, aber wir sehen es nicht, wir fühlen es vielleicht. Brooklyn. Wie klangvoll der Name. Verheißungsvoll. Wir sitzen in einem Café am Verkehrsstrom. Wir entdecken eine kleine Ecke mit gelben Tischen und Sesseln, die so einladend wirken, dass ich mich setzen möchte.  Wir hören das Rauschen von der Manhattan Bridge – es ist kein Lärm, es wirkt wie Musik, Klang, Rhythmus. Man sieht hier keine abgefuckten Autos. Und jedes Auto ist pikobello sauber. Die LKWs sind eine Augenweide. Jene mit den Schweineschnauzen vor allem. Großzügig schöne Menschen gehen vorbei. Die Sex and the City Frauen sehe ich nicht.

Eine Frau in Morgenmantel und Schlapfen holt sich ihr Frühstück. Jedes Eckerl an der Straße wird genutzt, um sich hinzusetzen und zu arbeiten oder einen Kaffee zu trinken. Die Manhattan Bridge ist zweistöckig. Wir hören einen unverwechselbaren Sound aus Zug-Schienenpoltern, Autos, Radfahrer*innen und Fußgänger*innen, die auf der Brücke unterwegs sind.

Mein Reisegefährte gibt sich bei der Kaffeebestellung als Jose aus. Das ist ein Name, den jeder leicht aussprechen kann. Es ist wichtig, wenn man aufgerufen wird, das Bestellte abzuholen. Der Bio -Supermarkt gleich bei der York Station in Brooklyn lockt mich mit einem Wrap. Der Teig ist hauchdünn und dick mit heißen Köstlichkeiten gefüllt. Es schmeckt mir vorzüglich und macht den kalten Wind erträglich. Der Flohmarkt unter der Manhattan Bridge überfordert mit seinem großen Angebot. Und doch ist es anregend, ihn entdeckt zu haben. Aus einem der Lautsprecher hören wir den jungen Michael Jackson.

Mein Reisegefährte verliebt sich in die kleine Galerie. Ein Raum wie eine Bibliothek, wie ein Café, wie eine „mothers kitchen“, wie ein schöner Ausstellungsraum, wie ein kleiner Laden.

An der Brooklyn bridge am Abend:

Mein Reisegefährte sieht eine Fledermaus in einem Baum hängen. Es stellt sich heraus, dass es ein kaputtes Plastikteil, vielleicht ein schwarzer Luftballon ist.

Kulcsar bedeutet Schließer oder Schlüssel.

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Man isst hier mit Vorliebe gekochte Eier.

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Wir besuchen den Prospekt Park. Rusten. Wasser. Große Grünflächen. Baseballkinder. Wieder viele orthodoxe Juden, sie fallen am meisten auf in den bunt durchmischten Menschengruppen, die im Park das Grün suchen.

Nahe des Parks finden wir ein Lokal, das typisch amerikanisch anmutet. Der Burger ist mit viel gutem Fleisch gefüllt und die French Chips schmecken knusprig. Frisch herausgebrutzelt eben. Die Musik im Lokal berührt mich. Es ist Freitagnachmittagstimmung. Meinem Reisegefährtne gefällt diese Atmosphäre. Es scheinen Einheimische zu sein, die sich hier einfinden. Manche unterhalten sich über die Tische hinweg. Wir hören nur amerikanisches Englisch. Dieses tief sitzende Grummeln. Leas Hosengeschenk an mich – diese Glitzerdinger – die gefallen den Leuten hier. Die Kellnerin und ein weiblicher Gast sagen zu mir: „I love it!“.

„snuggle up und all seating is communal und  you gave me cash!“, lese ich auf kleinen Tafeln, die an der Wand hängen.

Die Dollarscheine ähneln einander. Es ist nicht auszumachen, welchen ich grad in der Hand halte, wenn ich nicht genau hinsehe.

In den Außenbezirken nimmt man das mit dem Alkohol nicht mehr so ernst.

Kombucha ersetzt mir Alkohol. Dieses fermentierte Zeugs. Auch das wird hier in Dosen verkauft – nicht aus der Flasche. Und man darf nur sehr verhalten beobachten, also lass ich mich nicht beim Beobachten erwischen. Es ist allerdings klar, dass man umgekehrt auch beobachtet wird – richtig dörflich. „I like your pants“, hör ich noch einmal.

Zusammenkuscheln!
Alle Sitzgelegenheiten gehören allen!

39
Ich mag diese kleine Szene. Ob meine Erinnerung genau stimmt oder nicht, sie hat eine Schärfe, wie nichts von dem, was ich mir heute ansehe.

40
Ich bin allein unterwegs mit der Linie F, die ab und zu auch nach oben fährt. Wie durch einen Guckkasten blicke ich zurück auf die Wolkenkratzer von Manhattan. Und hier: Weniger hohe Häuser – viele palazzoartige Gebäude, die wieder an Venedig erinnern. Auf der Linie F liegt der Greenwood Friedhof – ich sehe ihn durch das Fenster. Die Station heißt Ft Hamilton. Die nächste Church Avenue. Die Endstation: Coney Island. Kaum jemand fährt heute da raus. Es gehört sich wohl nur am Wochenende. Überall laufen Klimaanlagen. Es fühlt sich so frei an, mit der Subway durch die Stadt zu fahren. „Raus aufs Land“. Coney Island ist 1 ½ Stunden vom Briant Park entfernt.

Ich denke, es ist zum Teil Neid, dass Amerika nicht beliebter ist. Dass New York so ein komisches Image hat. Diese Reise macht uns neugierig auf die Menschen und die Welt, in der sie leben Es dürfte gut sein, nicht alles einem Sozialstaat zu überlassen. Es dürfte die Menschen anspornen, selbst etwas zu tun. Amerika steht auf den Schultern vieler Sklavinnen und Sklaven? Vieler arbeitender Menschen? Vieler fleißiger Menschen? Vieler kreativer Menschen? Tragen hier alle Waffen?

Mir scheint ich bin bald die Einzige, die bis zur Endstation fährt. Es zieht mich zum Atlantik, weil er so nahe ist. Kalt, windig, salzig, sandig und sonnig ist‘s da. Eine Meile der Vergnügungen. Die Saison beginnt erst in einigen Wochen, mit etwas wärmerem Wetter. Ich schaue auf eine vorgelagerte Insel, dem Breezy Point, die allein schon deshalb anziehend wirkt, weil man angeblich sehr schwer hingelangt. Am Strand beobachte ich ein Schiff, das direkt auf mich zufährt. Dieser Anblick erinnert mich an einen dystopischen Film, den mir ein Arbeitskollege empfohlen hat. Leave the world behind. Es hat mich damals erschaudern lassen. Das Schiff fuhr mit hoher Geschwindigkeit auf einen Strand zu. Die Menschen konnten sich im letzten Moment retten, weil sie erst sehr spät merkten, dass das Schiff nicht vor Anker ging, sondern mit voller Wucht an Land fuhr. So fühle ich mich jetzt hier am Strand von Coney Island. Aber nur kurz.

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Es entströmte ihm eine raumgreifende Intensität. Ich kämpfe um Raum, ersinne mir scharfsinnige und gedankenreiche Kommentare und sage sie immer viel zu spät.

42
Zum Ausklang in Brooklyn suchen wir zwei Bars aus. Eine für junges Publikum. Ich trinke einen Dirty Martini, ohne zu wissen, was das ist. Martini mit Gin und einer Olive. Und Salz. Schmeckt furchtbar. Der Negroni in der Bar nebenan ist für Erwachsene. Hier hinterlassen wir Postkarten von uns.

Martini dirty: nie wieder, auch wenn sich nach dessen Genuss die Stimmung klärte.

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Die US-amerikanischen Menschen mit schwarzer Hautfarbe sehen sehr gut aus. Zumindest jene, die nicht zu viel Junk-Food in sich inhalieren. Und wie gut sieht ein Silberring mit Steinchen an einem dunklen Finger aus! Ich sehe ihn an einem Mann in der U-Bahn. Ich bin es nicht gewohnt, mit vielen Menschen verschiedener Hautfarbe unterwegs zu sein.

44
Per E-Mail kommt die Nachricht, dass unser Buch in Wien fertig ist. Und ich verliere einen liebgewonnenen Goldanhänger. Mein Reisegefährte meint dazu, dass sich vielleicht jemand über dieses Schmuckstück freuen würde, und nun trägt es eine Frau hier in New York. Sofort bin ich mit dem Verlust versöhnt.

45
In fünf Jahren schuf sie über zweihundert Kästen. Sie baut Märchenkästen. Jeder enthält eine Geschichte.

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Ich bitte sie, für die Ausstellung einen Essay zu schreiben. Der Essay wird bei der Vernissage in gehefteter Form verteilt.

47
Ein Bild verwirklicht sich erst in dem Augenblick, da es gesehen wird.

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Im Park wird Regenbogengymnastik mit bunten Tüchern gemacht. Die Sonne brennt heute zum ersten Mal vom Himmel herunter. Wir sitzen am Brunnen und schauen dem bunten Treiben zu.

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In der Nacht schlafe ich tief. Die Stadt ist aus dem Bett vernommen nicht laut.

50
Der Ausflug in die Bronx zeigt ein völlig anderes Stadtbild. Spanisch scheint die Hauptsprache zu sein, der Großteil der Bevölkerung ist schwarz oder dunkelhäutig. Wir sehen uns für eine Viertelstunde das NY Yankees Stadion an – das mache ich meinem Sohn zuliebe.

Wenn man von der Subwaystation rauf kommt, ist eine Überraschung sicher. In dieser Stadt tut sich immer eine neue Welt auf. In der Bronx ist es die Stahlkonstruktion, die die Hochbahn trägt. Monumental und doch leicht, weil sie so viele Zwischenräume zwischen den Eisengerippen lässt.

51
So viele U-Bahnstationen tragen Namen, die ich in irgendeiner Sequenz in einem Reiseführer gesehen habe. Überall könnte ich aussteigen. Und etwas sehen, was ich noch nie gesehen habe.

52
Ich habe ein gutes Gefühl dabei, für die Menschen daheim zu shoppen:

In einer ziemlich cool abgefuckten Straße kaufen wir für die Tochter die gewünschte Jean. Dass sie ihr nicht ganz genau passen wird, nehme ich in Kauf. Das Brooklyn Nets Leiberl für den Sohn finden wir ein paar Straßen weiter, auf dem Weg zu jenem Platz, von dem der Reiseführer behauptet, dass es dort Hühner gibt. Wir finden den Platz! Die Hühner finden wir nicht. Es stört uns nicht. Die Geräuschkulisse allein macht glücklich. Eine Frau sitzt auf einer Parkbank und telefoniert selbst dann noch, als wir nach einer großen Runde wieder zum Hühnerplatz zurückkommen und ein Mittagessen zu uns nehmen. Ein Eiswagen fährt vor, macht Halt und lädt mit dem typischen Song zum Eiskauf ein. Wieder ein paar Viertelstunden später und ein paar Straßen weiter steht er wieder da und endlich kaufen wir Eis, obwohl es gerade zu regnen beginnt. Wir passieren einen Waschsalon und viele kleine Obststandeln, an denen Kakteen und Maniok angeboten werden.

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Meine Tochter möchte, dass ich ihr eine Scent-message, eine Duftnachricht, aus dieser Stadt schicke.

Wonach riecht New York?
Es riecht vor allem nach Gras.
In der Bronx riecht es hie und da nach Urin, nach abgestandenem Fett, nach Motoröl.
Ab und zu riecht es nach Gegrilltem und relativ wenig nach Abgasen – viele Autos fahren elektrisch. Einmal nur, am East River, riecht es nach salzigem Meer (in Queens) und im MuMA in Queens – riecht‘s nach Farbe. In den Parks von Manhattan riecht es nach blühenden Bäumen. Nur zweimal während der Reise trinke ich Wein, der Sauvignon Blanc riecht nach Sauvignon Blanc. In der Subway und in Innenräumen (Hotel/Bars/Einkaufshäusern/Galerien und Museen) laufen meistens Klimaanlagen – da riecht es nach kühlem Staub.

Mein Reisegefährte weist mich auf den Jim Jamusch Film Ghost Dog hin. In ihm spielt ein Eiswagen eine zentrale Rolle. Es macht mich glücklich, zu wissen, dass ich jetzt in der Bronx sitze und diese Luft atme. Weil ich weiß, da werde ich ziemlich sicher so nicht wieder herkommen. Auf der Rückfahrt freundet sich mein Reisegefährte mit zwei jungen Mädchen an. Sie sind mit ihrer Mutter und zwei weiteren Geschwistern unterwegs und lachen hell und klar, während sie mit dem neuen Freund Grimassen schneiden.  Sie steigen eine Station vor uns aus und winken aufgeregt zum Abschied.

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Diese kinderlosen Stunden, in denen jeder von uns seiner Arbeit nachging, erinnern mich heute an kollektives Träumen.

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Nachdem wir nun vier der fünf Stadtteile bereist haben, bekomme ich ein Gefühl dafür, dass hier 9 Millionen Menschen leben und das auf gar nicht allzu großem Raum.

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Unser Hotel befindet sich im Garment District. Wir laufen an zig Knopf-, Stoff- und Paillettenläden vorbei. Ich frage mich, wo die ganzen Schneider*nnen sitzen und arbeiten.

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The Vessel ist einfach eine Treppe. Ein Treppenkunstwerk.

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Der Lincoln-Tunnel hat 1,8 Billionen gekostet?!

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Bei der Post kaufe ich 10 Briefmarken. Hier treffe ich den ersten unfreundlichen Menschen in dieser Stadt. Ich kaufe die Marken trotzdem. Zu Hause möchte ich sie als Reiseempfehlung an einige Menschen verschenken. Hier schreiben wir auch die Karten, die wir später als Flaschenpost in den Hudson werfen. Auf der Pear 76. Ob sie es bis zum Atlantik schafft?

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Der Highline Park wurde auf einer stillgelegten Eisenbahntrasse errichtet. Er erstreckt sich über viele Kilometer. Die Breite ist einer Bahntrasse angepasst – mal mehr, mal weniger. Es sieht sehr hübsch aus und natürlich sehr gepflegt, so wie (fast) alles hier. Kleine Hochbeete – die sind vermutlich zu mieten, um ein privates Gärtchen anzulegen, Blumenbeete, Sitzgelegenheiten und überall Aus- und Einblicke in die Stadt. Auch einige flachwurzelnde Bäume wurden gepflanzt. Ein Großteil von ihnen blüht jetzt. Leider müssen wir nach 500 Metern feststellen, dass der Weg (für weitere 500 Meter) wegen Reparaturarbeiten abgesperrt ist.

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Der Sauvignon Blanc in einer Bar in Queens.
Ein Gin Tonic auf dem Schiff.

Der Cocktail in der Winnies Jazzbar war schon wieder sehr gut.
Die drei Musiker des Abends sind es auch. Hier gibt es jeden Abend Jazztime. Die drei Burschen sind jung, der Bandleader sieht sehr skuril aus. Ich denke, das machen seine abstehenden Ohren. Er singt mit einer warmen, leichtfüßigen Stimme. Sein Klavierspiel ist virtuos. Mindestens einmal am Tag treffen wir auf eine Truppe die richtig gute Musik macht. An fast jeder Straßenecke groovt jemand, aber echt und gekonnt zum Beispiel … „we are family“ – während einer Demo der Arbeiter*innenbewegung  32BJ – SEIU . Es wird uns in Wien so langweilig sein, wenn wir zurückkommen!

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Demos kommen anscheinend des öfteren vor und gut an: vor der chinesischen Botschaft gegen die chinesische Regierung. Vor der Publik Library für Jesus Christus. Vor dem Supreme Court gegen Donald Trump. Die BlackLivesMatter-Bewegung in der Bronx.

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New York ist mir heute zu groß. Am Madison Garden, der Pennsylvania Station, herrscht dichtes Treiben.

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Mein Reisegefährte zeigt mir auf der Webcam vom Briant Park einen besonderen Blick auf den Hudson River. An dieser Stelle fand 2009 die Notlandung einer Inlandsmaschine statt. Aus den Aufnahmen dieser Kameras konnte rekonstruiert werden, was passiert ist. Das Flugzeug geriet in einen Schwarm von Flamingos oder Gänsen. Beide Triebwerke fielen wenige Minuten nach dem Start aus. Alle Menschen an Bord haben überlebt. Die Kameras sind geblieben. Wahrscheinlich ist ganz New York durchgescannt.

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Vom Hudson herauf zieht ein kalter Wind. Was in mir Innen vorgeht, kann ich nicht sagen. Das wird erst wieder daheim gehen, nach innen zu schauen. Zu sehen, was sich in mir abspielt. Wer ich bin und so. Wer ich nach dieser Reise sein werde.

Ich bin, weil du bist. Worauf es ankommt, ist, dass wir uns ständig mit anderen Menschen vermischen. In dieser Stadt probiere ich Vorstellungen von mir selbst an wie Kleider. Ich erfinde mich dauernd neu.

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Wir nehmen die Linie 7 nach Queens. Hier leben angeblich die Arbeiter und die Künstler. Wir besuchen die Außenstelle des MuMA. Viele Fläche, auf der wir zeitgenössische Kunst aus dem Vollen schöpfen. Und dann ist es fast still hier im Hof des Museums.

Wir setzen uns in die Installation „Space“ von James Turrell. Ein quadratischer Raum mit einer umlaufenden Sitzbank aus dunkelbraunem Holz. Im Plafond prangt ein großzügig ausgeschnittenes quadratisches Loch, das den Blick auf den Himmel freigibt. Durch diese Öffnung kommt frische Luft von draußen rein. Sie riecht nach Meeresbrise. In diesem Raum fällt besonders die Geräuschkulisse auf: Man hörte den Zug pfeifen – so ein Filmzugpfeifen, und man hörte den Wind. Mir scheint, der wichtigste Sinn in New York ist das Gehör. Die Stadt hat unzählige Geräusche, die sich an jeder Ecke zu einem neuen Klang verbinden.

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Ich habe gelesen, wer schreiben und vom Schreiben leben wollte, ging nach NY.

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Sie hat ein kleines Zimmer gemietet. Dort schreibt sie.

Sie liebt Straßen genauso wie Museen und läuft stundenlang in der Stadt herum und atmet den Müllgeruch ein.

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Die Stadt produziert sehr viel Müll. Der Bürgermeister kümmert sich schon. Aber das können wir in Mitteleuropa schon besser: Müll vermeiden und Müll sortieren. Wenigstens was 😉

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Auf dem Weg zum East River gehen wir an niedrigen Häusern vorbei, an einer weiteren öffentlichen Bibliothek und begegnen vielen orthodox-jüdischen Familien. Der Anblick dieser streng gelebten Glaubensrichtung (die Kleidung drückt wohl mehr als Folklore aus) ist mir unangenehm. “Williamsburg is not America“, sagt Esty, die Hauptdarstellerin in der Netflix-Serie „Unorthodox“. Über Williamsburg hinaus tragen die Menschen heuer Schlapfen. Oder Gummistiefel.

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Es ist kalt heute Morgen und sonnig.

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Ich möchte etwas über die Vögel schreiben, die zwischen diesen hohen Wolkenkratzern herumfliegen, nicht in großen Scharen, sondern meistens einzeln. Es sind Möwen und Spatzen. Oft erkenne allerdings nicht, um welche Art es sich handelt. Ich sehe Stare und Bussarde.

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Ein Lift bringt uns innerhalb von 20 Sekunden 100 Stockwerke rauf auf die Edge Plattform, ohne dass wir es merken.

Immer wieder werden wir darauf aufmerksam gemacht, dass wir „schneller“ machen sollen. Am lustigsten ist dieser Hinweis an den Subway-Eingangsboxen, an denen wir unsere Karte durchziehen müssen. Das darf nicht langsam gehen! Zügig durch und dann ist man drinnen! Mit „langsam“ bleibt man draußen. Auch den Weg zur Edge Aussichtsplattform sollte man so schnell wie möglich nehmen,  sonst stoppt alles. Oben ist alles wieder anders und man kann die höheren Gebäude von den niedrigeren unterscheiden. Eine Bildanimation erklärt uns die Hudson – River – Gebäudekomplexe, die Hudson Yards – wie sie mit dem Müll umgehen – er wird unterirdisch abtransportiert – dass sie mit Photovoltaik Strom erzeugen – dass ein Großteil des Regenwasser für die Bewässerung der Bepflanzung der Gärten rundum benutzt wird – dass viele neue Gärten angesiedelt werden, wir würden wohl eher Miniparks dazu sagen – dass es einen großen Generator für ein Blackout gibt –

Die Jeans sind in diesem besonderen Haus erstaunlich billig. Sie kosten um die 50 Euro. Natürlich gibt es auch Geschäfte, die keine Preise ausschildern. Und einen Laden für Hundezubehör. Der gleicht mehr einer Galerie, als einem Hundezubehörshop. Der Hund ist hier nicht Kinderersatz, sondern Kunstwerk.

Der Blick aus dieser Höhe auf den Central Park hat endlich den poetischen Zauber, den ich mir von diesem Park erhofft hatte.Die Poesie nimmt zu mit der Entfernung. Und sich inmitten des Häusergebirges einen doch relativ großen Grünraum zu leisten, schaut unverschämt aus. Von dieser Höhe gewinnt auch der schmale Park am linken Hudson – Ufer an Bedeutung. Das Grün verhält sich sehr weich zur Umgebung und die für NY so typischen Wassertanks sind ungezählt. Der Wolkenkratzer bewegt sich natürlich und meine Füße und Ohren gleichen es merkbar aus.

An exponierter Stelle macht ein junger Mann seiner Angebeteten einen Heiratsantrag. Hier ist man allerdings nicht allein. Es wird ihm applaudiert. Die zukünftige Braut weint.

Auf der Plattform trinke ich einen Pinot Noir aus Kalifornien, weil ich mir denke, ich sollte doch mal etwas Amerikanisches trinken. Ich überprüfe und stelle fest, dass ein aus Frankreich importierter Wein 1000 km weniger zurückgelegt hat als ein Wein aus Kalifornien!

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Ein ganz normales Leben mit ihm führen, das bedeutet, mit ihm auf Reisen zu sein. Mit ihm auf dem Weg zu sein. Interessant zu bleiben. Ich habe nichts im Talon, was er nicht schon kennt.

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Auf der Subwayfahrt nach Manhattan verschussle ich etwas mit meiner Metrocard – ich kommen nicht mehr rein zu den Bahngleisen. Eine freundliche Frau macht die Sicherheitstüren auf und die Sache ist bereinigt. Das möchte ich mir auch aneignen, in der Öffentlichkeit freundlicher und zuvorkommender zu sein. Das macht echt gute Stimmung. Während ich die Gesichter und Körper der anderen Fahrgäste aus den Augenwinkeln heraus sehe und nicht sehe, denke ich an eine warme Stube in Zweisamkeit. Ich rieche ihren Tabak- und Schweißgeruch, ihre Parfüms, und ihre Salben. Ich finde, Liebe gedeiht gut bei einer gewissen Distanz; sie verlangt ein ehrfürchtiges Getrenntsein, um zu bestehen. Ohne diesen nötigen Abstand werden die kleinsten körperlichen Äußerungen des anderen in der Vergrößerung abscheulich.

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Vince Giordano, der Bandleader der letzten Jazzpartie, der wir in „unserer“ Jazzbar zuhören, ist ein typischer Amerikaner, Dandy, Bassist, Sänger. Hier im kleinen Rahmen spielt er gemeinsam mit einem Pianisten, einem Trompeter und einem Klarinettisten. Darüber hinaus gibt es Abende, an denen wir eindeutig zu müde für den Besuch einer Jazzbar sind.

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Das nichtgespielte Hörbare

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Es ist kein Fernseher im Haus, und das führt uns zurück zu Unterhaltungsformen aus einer anderen Zeit. Jeden Abend nach dem Essen liest einer der Erwachsenen etwas vor, normalerweise ein Märchen.

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Ich kann viele Geschichten erzählen.

Dass wir uns das Konzert in der Verklärungskirche nicht anhören wollten, weil es wie ein Musical klang.
Dass es auch in Manhattan viele Obdachlose gibt.
Dass die Bepflanzungen in den Parks trotzt aller Echtheit künstlich aussehen, weil dahinter die Häuserblocks so hoch aufragen, dass selbst ein sehr kräftiger Baum wie ein Bonsai wirkt.
Dass die Selbstbedienungskassen in den Supermärkten auch nicht besser funktionieren, als bei uns daheim.
Dass ich sehr aufgedreht bin, weil diese hohen Häuser mich dazu zwingen, in die Höhe zu schauen und mich dadurch aufputschen.

Sind die vielen Autos eine Geschichte wert?
Sind die vielen Verkehrsampeln eine Geschichte wert?
Ist die gleichmäßige Blässe ihrer Winterhaut eine Geschichte wert?
Ist es Billy Joel wert, in den Madison Square Garden zu seinem Konzert zu gehen?

Vor allem aber erzählen die anderen:
… die vielen Männer, meist Schwarze, die am Flughafen Menschen im Rollstuhl von A nach B bringen
…die junge Mutter, vielleicht peruanischer oder chilenischer Abstammung, die in der U-Bahn verstohlen ihr Kind stillt, obwohl sie es bis zum Aussteigen aufschieben wollte
… die junge Frau mit asiatischem Aussehen, die auf ihrem Schoß ein dreistöckiges, in Hochzeitspapier eingewickeltes Paketarrangement hält. Sie trägt ein sehr kurzes, buntes Festtagskleidchen und auffälligen, bunten Schmuck in den Ohren.
Und:
Welche Geschichte erzählt der schlaksige, dunkelhäutige Mann, der mit heruntergelassener Hose seine Notdurft an der Metrostation direkt an der Straße verrichtet?
Was erzählt der Securitiyman, der am Ausgang der Publik Library lauthals und in Endlosschleife ruft: „Open your bags, come on, we are busy, open your bags ,…“?
Welche Geschichte erzählt uns die Frau des Klarinettisten an der Bar, die still in der Ecke sitzt und gespannt lauscht, was die Band da so treibt? Erst am Ende des Konzerts merken wir, in welcher Beziehung sie zu dem Musiker steht.
Welche Geschichte erzählt die stundenlang telefonierende Frau in der Bronx, die den Vormittag im kleinen Park vor der Polizeistation verbringt – nur unterbrochen von einem Gang zum Supermarkt?
Welche Geschichte erzählt die alte, demente Frau, die mit ihrer Tochter und zwei weiteren älteren Frauen zum Mittagessen in die Kneipe am Prospekt-Park kommt, oder besser gesagt, sie sitzt im Rollstuhl am Tisch, wird gefüttert und ganz unaufgeregt in das Tischgespräch einbezogen, obwohl sie sich verbal nicht beteiligen kann?

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Ich spreche ihn auf die verborgenen Erzählungen in seiner Arbeit an, und er sagt, für ihn seien Geschichten wie durch einen Körper fließendes Blut, Pfade eines Lebens.

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Mir fällt immer wieder ein, dass es eine der besonderen Reisen mit ihm ist. Gewesen sein wird. War. Es war einmal.

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Habe ich gesummt?

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Das Wissen, als Einzelne in der Fülle der Menschen etwas gestalten zu können, macht mich schwindelig, erzeugt einen unwiderstehlichen Sog. Dieses „Ich bin da. Ich bin einzigartig“, obwohl rund um mich viele verschiedenen Individuen unterwegs sind. Auf dieser Reise hat dieses Gefühl nichts Sakrales an sich, sondern etwas Humanistisches.

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Was ich empfinde, ist weder Hunger noch Durst noch sexuelles Verlangen. Es ist ein vages aber ständig nagendes Bedürfnis nach etwas Namenlosem und Unbekanntem. Ein Verlangen, in jemand anderem eine Passage zu öffnen, die noch weiter ins Alleinsein führt.

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Ein letztes Mal holen wir Suppe im Whole Goods Market. Mein Reisegefährte trinkt sein Bier aus einer Kiwisaftflasche. Ich trinke einen Cider aus einem Kaffeebecher. Wir legen zwei Kunstkarten von uns zwischen die Bücher im öffentlichen Bücherschrank im Bryant-Park. Die grüne Rasenfläche – im Winter wird sie als Eislaufplatz genutzt – wirkt wie eine große, grüne Meditationfläche – ist eine große, grüne Meditationsfläche.

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In Wahrheit haben wir doch alle einen Mann und eine Frau in uns. Schließlich sind wir aus einer Mutter und einem Vater entstanden.

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Auf der Fahrt zum Flughafen verlassen wir in Forest Hills die Subway und stoßen auf der Suche nach ein paar schönen Eindrücken auf die Forest Hills Gardens – eine von britischen Gärten inspirierte Siedlung. Die großen, freistehenden Häuser sind aus rotem Backstein gebaut. Es sieht idyllisch aus. Hier kaufe ich in einem Ramschladen zwei Reisesouvenirs. Ich erkenne keine Sprache der Menschen, die hier einkaufen.

An der Jamaica Station in Queens steigen wir in den selbstfahrenden/zweiwaggonigen Airtrain um. Die Jamaica Station ist der drittgrößte Bahnhof New Yorks und bedient unter anderem Long Island – den fünften Stadtteil, den wir nicht besucht haben. Etwa 500 Meter von der Station entfernt kaufen wir unser letztes Sandwich in einem Laden, in den ich normalerweise nicht alleine gehen würde. So etwas gibt es in Wien nicht. Eng, klein, vollgestopft. Die Kundschaft besteht aus jungen, dunkelhäutigen Männern. Ich werde freundlich bedient. Dass auch die Einkaufstasche kohlrabenschwarz ist, macht die Sache stimmig

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Alle Männer sind Gefangene ihres Schwanzes.

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Während des Fluges von JFK nach Wien schaue ich mir eine Doku über den Komponisten Ligeti an. Er wurde in Rumänien geboren, er ist Ungar und hat in Wien und Deutschland gelebt. Die Filmmusik im Odyssee-Film von Santly Kubick stammt von Ligeti. Ohne dass er es wusste, wurde sie verwendet. Seine Sonate für Bratsche, die gefällt mir sehr gut.

Wir fliegen mit 900 km/h über 11.000 Meter Höhe

Ich glaube, mein Lieblingsstadtteil ist Brooklyn. Da könnte ich mir vorstellen zu wohnen. In Manhattan ist das – nicht nur aus finanziellen Gründen – unmöglich. Zu krass. Die Bronx ist einfach am fremdesten – da hätte ich wohl ein bissl Angst, mich niederzulassen.

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Wie wird das Zurückkommen sein?
„Endlich“, sagt meine Tochter. Das tut auch gut.

Also, ich weiß nicht, ob New York für Amerika steht bzw. wie viel Amerika in New York steckt. Ich weiß, dass mir diese Stadt überraschend sehr gut gefällt. Wenn man kein Programm hat und am Morgen das Hotel verlässt, beginnt das schon, mit den Eindrücken.

Nach einer vollen Woche hat mich ein Sog erwischt, dem ich nachgebe. Die Stadt ist unwiderstehlich cool und ansprechend. Ich komme überhaupt nicht dazu, über etwas nachzudenken, weil so viele Ereignisse ungefragt auf mich einwirken. Es bleibt keine Zeit, um groß Pause zu machen, man will noch mehr. Und, es ist für jeden was dabei.

An jeder Ecke Livemusik vom Feinsten, gut und weniger gut angezogene Menschen, Design, Architektur, SEHR freundliche Menschen, viel Ordnung in der Unordnung, Kunst, Kunst, Kunst … das Essen ist auch nicht so schlecht, wie sein Ruf und die Preise sind nicht viel höher als in Wien – je nachdem wo man halt hingeht …

Vielleicht bin ich aber mittlerweile schon so konservativ, dass mir die Hochburg des Kapitalismus gefällt.

Natürlich freue ich mich darauf, wieder selber zu kochen 😉.

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Zu Hause angekommen, blüht der Holler, blühen die Akazien. Jetlag. In der ersten Nacht daheim lese ich die restlichen 2/3 von Siri Hustveeds New York Roman. Hier sind möglicherweise sehenswerte Orte und Straßennahmen aufgespannt. Im Radio höre ich, dass Patti Smith an der Penn Station einen jungen Musiker angesprochen hat, er solle fleißig sein, sie möge seine Musik. Sein Name ist Nik und sein neues Album heißt „Way To Be“. – Heute wird er auf Ö1 porträtiert.

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Nikolaus Dimmel und Alfred J. Noll sagen: „Zu viele Intellektuelle haben Europa im 2. Weltkrieg aus bekannten Gründen verlassen müssen. Die Menschen, die geblieben sind, haben so ein fürchterliches Kleinbürgertum entwickelt, das für die Demokratie nicht geschaffen ist“.

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Ich bemerke, die Leute sind hysterisch, wenn es um NY geht.

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Wie tun wir weiter?