Dürnstein


1
In Dürnstein lerne ich die flotteste Kellnerin der Saison kennen. Natürlich kommt sie aus Oberösterreich. Abends ist in Dürnstein „tote Hose“ und tagsüber Anlegestelle für 1000 Kreuzfahrtschiffe. Der Donaustrand ist steinig und sehr schön, die Kulisse auch. Ich trinke Schankwein vom Biobauern Schmidl. Er schmeckt mir hervorragend. Im Klosterkeller – dem einzigen Lokal, das in der „Stadt“ (mit Blick auf die Donau) noch offen hat, kostet 1/8 Wein genauso viel wie im „Liebstöckl“, einem einfacheren Summerside-Stand, ein SEHR gutes Abendessen. Und noch dazu diese erfrischende junge Kellnerin. Sie ist 23 Jahre alt und lebt in Weißenkirchen. Dort gibt es wenigstens eine Bar – und dieses Wochenende – das Rieslingfest. Dürnstein ist wie Hallstatt ohne Nachtlokale. Das müssen alle Chinesen und Japaner der Welt gesehen haben und wer etwas auf sich hält, heiratet hier. Zum Beispiel OMV-Generaldirektoren oder Nationalratsabgeordnete der ÖVP.

2
Stierschneider ist ein geläufiger Name in der Wachau. Wie muss das für Einheimische sein, hier zu wohnen? Alle finden es schön hier, mich inbegriffen. Alle wollen hier einmal Wein trinken. Aber, wer mag schon so viele Gäste? Herr Stierschneider macht Dienst in der Vinothek in Weissenkirchen. Er kennt das Weinviertel nur als Sekt-Grundwein-Gegend. (Er ist noch jung und wird noch dazulernen.) So viel zum Selbstverständnis der Wachauer Winzer. Die Domäne Wachau betrete ich barfuß, kaufe dort eine Flasche Wein, ein paar Schokotrüffel und Pesto. Somit bin ich für den Abend am Balkon in meiner Herberge bestens gerüstet.

3
Jetzt trudeln ein paar Einheimische in der „Summer Inside“ ein. Es bilden sich ein Frauen- und ein Männertisch. Das Lokal bleibt sympathisch. Auch wenn hier die Einheimischen nicht anders sind als im Dorf daheim.

4
Ich höre Bienenfresser über mir fliegen.

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Ich habe meine Zahnbürste zu Hause vergessen. Wie gut, dass gleich ein Spar in der Nähe ist. Und die Bushaltestelle.

6
Es ist schon ziemlich finster. Für morgen lege ich mir einen feinen Plan zurecht. Ich sitze auf dem Balkon meiner Pension und schaue auf die beleuchtete Ruine. Der große Wagen ist da. Ich bilde mir ein, es weht ein Wind von der Donau rauf. Die Luft ist angenehm warm-kühl. Und würzig. Wie der Wein. Am liebsten würde ich gar nicht schlafen gehen, um jeden Moment auszukosten.

7
Heute bedient mich ein britischer Kellner, der in den vergangenen Saisons in heißen Gegenden der Welt gejobbt hat. In der Wüste. Auf Korfu. In arabischen Ländern.

8
Ich ziehe mir aus Unachtsamkeit einen Bänderriss zu. Mir scheint, ich soll lernen, einfach dazusitzen und mit geschlossenen Augen in die Sonne zu schauen. Meine Beine machen nun schon seit längerer Zeit in unterschiedlichster Weise nicht mehr mit, wie mein Kopf es will. Jetzt ist es wirklich so weit. Ich muss schreiben. Weil ich nicht gehen kann. Wie wichtig mir das Gehen ist, sehe ich jetzt. Mit den gerissenen Bändern im Knöchel. Es ist gut, den Abbau des Körpers zu integrieren, den Fluss und die Suche nach Lebendigkeit anderswo zu suchen, als in einem funktionierenden Körper. Es ist gut, das Gehirn herauszufordern. Es ist nicht gut, in einer Traurigkeit zu verharren. Es ist gut, zu denken und etwas zu planen, an das ich glaube. Zum Beispiel?

9
Mich auf die eigene Erfahrung zu verlassen, das kann in die Irre führen, das kann den Blick auf die Welt verengen. Mich hingegen von der eigenen theoretischen und erfahrungspraktischen Verdummung freizumachen, ist Sisyphusarbeit. Denn dabei lerne ich auch gegen mich selbst. Neu zu sehen, zu hören, zu schauen, zu spüren, zu fühlen, nachzulesen, nachzudenken, zu untersuchen, was unter dem Raster liegt; das Übersehene, Überhörte, Flüchtige wahrzunehmen … all das verunsichert mich. Und das ist gut. Wer will schon immer nur das wiederkäuen, was er schon kennt. Das Unbestimmte liegt in der  Luft!

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Gibt es so etwas wie eine Urverbundenheit aller Menschen? Eine Ur-Liebe? Wir brauchen sie, um all die Paradoxien und Ambivalenzen um uns herum aushalten zu können.

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… um’s Leben bitten, dass es noch nicht endet …

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Der Donau ist ziemlich alles egal. Heute fließt sie dunkel. Sie duftet nach Erde. Sie imponiert mir.

 

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