KategorieAlle Sieben am Tisch

Putzen


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Mein Rivale Paulus schlägt zum Thema Annäherung vor: „Einander sehen wie in einem beschlagenen Spiegel“. Ausnahmsweise stimme ich ihm zu.

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… wenn eine Putzfrau erzählt, wie es ist, wenn man zum ersten Mal einen Toten sieht, oder wenn in der Urologie die Exhibitionisten die Decke lüften und stolz und fragend ihr Gemächt präsentieren, wenn man bei Komapatienten manchmal eine Kleinigkeit ändert, ein anderes Bild aufhängt, zum Beispiel, dass es vielleicht helfen könnte, wieder aufzuwachen, wenn man einen Menschen, dem man immer wieder begegnet, zu nahe an sich heranlässt und bei seinem Tod zu betroffen ist und sich schwört, nie wieder eine solche Nähe zuzulassen, dann …

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Es ist nie zu spät ein gutes Leben gehabt zu haben.

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Der Haushalt stürzt mich immer wieder kurzfristig in eine Krise. Ich lebe gerne ein bisschen sauber. Aber der Aufwand steht in keinem Verhältnis. Ich kann nicht immer umziehen, wenn es ans Putzen und Renovieren geht. Das kann ich mir noch weniger leisten, als darüber zu jammern.

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Viktor Frankl hat 9 Tage dafür gebraucht, um sein Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ zu schreiben.

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Du musst Vater und Mutter ehren? Einen Scheiß muss ich! Wenn schon, dann freiwillig. Ab dem – sagen wir – 20. Lebensjahr ist wohl jeder aus der Verantwortung für seine Rolle herausgewachsen. Sowohl Kinder als auch Eltern uswuswusw.

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Meine Welt wird immer kleiner. Meine Gedanken werden immer kleiner. Woraus schöpft eine Künstlerin?

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Drei Stunden – das scheint meine neue Aufmerksamkeitsspanne zu sein.9
Es ist nicht gut, wenn Du mit mir schimpfst. Es ist gut, wenn Du mich darin bestärkst auf Abwegen zu wandeln. Oder im Gehen in meine Keramikwerkstatt. Ich möchte mir Zeit dafür freihalten, ein bisschen was von der Erde zu sehen, oder vom Flecken Welt, der um mich liegt; ihn nicht nur reinigen und versuchen, möglichst instand zu halten, sondern ihn lieben.

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Es ist nicht gut, wenn Du mit mir schimpfst. Es ist gut, wenn Du mich darin bestärkst auf Abwegen zu wandeln. Oder im Gehen in meine Keramikwerkstatt. Ich möchte mir Zeit dafür freihalten, ein bisschen was von der Erde zu sehen, oder vom Flecken Welt, der mich umgibt; ihn nicht nur reinigen und versuchen, möglichst instand zu halten, sondern ihn lieben.

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So, der diesjährige Bachmannpreis geht an eine Frau, die einen Text über das Putzen geschrieben hat. „Er putzt.“

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Bringen einzelne die Welt weiter oder doch die Vielen?

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Freudvolle Kreisläufe des Teilens und Anteilnehmens bilden…

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Ich bin mit genügend Talent ausgestattet, und habe nicht allzu viel daraus gemacht. An manchen Tagen ist das meine Conclusio. Das sind zugleich jene Tage, an denen Langsamkeit nicht zählt und Unsicherheit nicht zählt.
Zufriedenheit zählt nicht. Kranksein zählt nicht. Behutsamkeit zählt nicht. Unsicherheit zählt nicht. Fragenstellen zählt nicht. Suchen zählt nicht. Unwissenheit zählt nicht. Bescheidenheit zählt nicht. Poesie zählt nicht. Das sind jene trüben Tage, an denen ich mir meine Haltungen und Lebensweise selber schlecht rede.

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Jeder möge seinen Mist so breit streuen, wie das Auge reicht! Stinken tut’s eh schon überall!

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Das Paar betreibt eine kleine Gastwirtschaft. Die Frau kocht in der Küche. Der Mann berät und bedient die Gäste im Gastraum. Ich beobachte die beiden dabei, wie sie ihn zwischen Küche und Schank einen Löffel Suppe reicht, wohl um ihn zu fragen, ob sie gut abgeschmeckt ist. Er kostet, überlegt kurz und nickt zustimmend.

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Ein Bekannter schenkt uns eine ganze Kiste voller Wiesenchampignons. Wir füllen Teigtaschen damit und essen sie. Obwohl ich mit dem Pilze-Buch kontrolliere, gehört Vertrauen dazu, das zu tun.

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Sie ist in ihrem verantwortungsvollen Beruf erfolgreich. Gleichzeitig glaubt sie nicht daran, dass sie auch ohne Leistungserbringung geliebt wird. Es rührt sie nur für kurze Zeit, wenn man es ihr sagt.

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Der Kupelwieser Walzer rührt mich an.

Bittgang


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Ich liebe G’stanzln: „Des gonze Weihwasser in Mariazell hab i mit LSD veseicht, des is tragisch aber es is glogn“ (gehört von den Strottern)

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In welche Richtung gehen wir nun wirklich?

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Ich suche traditionelle Vorstellungen von Vergangenheit und Zukunft. Ich finde und verwerfe: die parlamentarische Monarchie der Briten, die katholischen Bittgänge rund um Christi Himmelfahrt, die Venus von Dolnî Vêstonice und den Hollerstrauch vor meinem Haus, der jetzt in voller Blüte steht.

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Ich bleibe an der Spinnwirtel hängen, die unlängst im Urzeit-Museum von Stillfried an der March meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Ich bleibe an diesem (scheibenförmigen) Objekt mit dem Loch in der Mitte hängen, Jahrtausende alt, bis mindestens ins 14. Jahrhundert verwendet zum Spinnen von Fäden für Kleidung und andere Textile … Textur … Text … Ich darf sie natürlich nicht in die Hand nehmen, so bleibt es beim Lesen des Textes, der als Erklärung angebracht wurde: wenn ich dem glauben darf, ist sie an die 7500 Jahre alt. Dieses Artefakt liegt also nur in der Phantasie in meiner Hand, schwer, um zu Boden zu gehen, um einen Faden zu spinnen, der verwoben wird mit vielen anderen, um dann zu halten oder zu tragen oder getragen zu werden von unzähligen Frauen und Männern und Kindern. Die Welt überhaupt als ein Gewebe zu sehen, in dem alles mit allem verbunden ist, das ist für mich die Geschichtsdeutung dieser Tage. Die Welt ist ein Netz. Was eine Einzelne/ein Einzelner tut oder lässt, hat Auswirkungen auf alle. Wir existieren nicht ohne einander, wir können nur miteinander und füreinander existieren.

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Meine Mutter hat mir ein neues Kleid aus rotem Stoff genäht. Die Knöpfe fehlen noch. Ich werde sie aus Ton formen, brennen und an den dafür vorgesehenen Stellen anbringen.

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Sehr gerne spinne ich mir in den zu seltenen Tagträumen (m)eine Welt zusammen. Sie trägt mich. Ich lasse mich in sie fallen. Sie hält ewig.

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Du am Meer und ich nicht online. So sieht die Realität aus.

Verhängnis


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Ich kriege das mit Hunden nicht auf die Reihe. Ihn zum Gefährten haben und gleichzeitig über ihn verfügen, wie geht das denn?

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Wir müssen darauf beharren, dass die Lüge eine Gewalttat ist.

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Stress bedeutet für mich, dass ich immer wieder Gedächtnisverlusten ausgesetzt bin …

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Mir geht wieder einmal durch den Kopf, wie sich Bildung – konkret die Schulpflicht – in einen Menschen einschreibt. Einprägt. Wie schmal doch der Grat zwischen Selbstermächtigung und Unterjochung ist. Ich war meistens knapp daneben. Bin meistens der Unterdrückung auf den Leim gegangen. Schule war ein Ort der Domestizierung, des Kleinmachens bzw. des Nursogroßwachsens, wie es den Lehrpersonen gefiel. Also nie größer als sie selber. Zur gefälligen Dienerin des hierarchischen Systems erzogen werden, das war ungeschriebenes Gesetz. Das liegt dahinter. Auch wieder nur knapp. Die paar wenigen (wer war das überhaupt?), die das Große in den Menschen, das Leuchtende sahen, hatten nicht die Kraft, gegen die Regeln zu verstoßen. Waren zuvor ja selbst Schüler.

5
Einfach draufloszugehen ist nicht langweilig. Und ein ernsthaftes Gespräch zu führen, ist auch nicht langweilig. Aber zehn ernsthafte Gespräche zu führen, das ist zu viel.

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Zwei Tage in Wien und ich bemerke – jeder bleibt in seinem Grätzel. Im Kaffeehaus, im Supermarkt, im Bad. Und im Weidinger traust dich wirklich nur zu flüstern …

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Ich hör’ mir gerne die Meinung von Menschen an, die in meinem Alter sind. Da gibt es eine Übereinkunft.

Inspiration


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Der Gesang der Mönchsgrasmücke gibt dem Morgen einen Sinn. Ein kleiner Vogel mit ausgeprägt heller Stimme.

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Als Landpomeranze erlebt man sehr viel in Wien.

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Was gibt es Spannenderes und Befriedigenderes als eine gute Idee? Meine Kinder liefern gleich:  „Brauchst‘ nur uns zwei Heulenden anschauen. Das ist Dein Stoff!“

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Ich lerne gerne freie und selbstbewusste Leute kennen, deren Leben sich sowohl im Glück wie in der Katastrophe auf differenzierte Weise entfaltet.

5
Mit ihm ist alles so, wie nach einem echt guten Witz. Und der Witz ist natürlich von ihm …

6
Meine Schwester wohnt gegenüber den Dolomiten. Ein kleiner Wasserfall ist von ihrem Balkon aus zu sehen. Er wird von allen „Blick zwischen die Beine einer Frau“ – oder so ähnlich – genannt.

8
Verrückte interessieren mich am meisten. Solche, die Scherze machen, die ins Mark gehen. Solche, die alles wollen und nicht nach der Vernunft fragen und solche, die brennen, brennen an beiden Enden.

9
Ich liebe den Alltag mit seinem Rhythmus, weil ich das dann für eine universale Wirklichkeit halte. Also: alles scheint irgendwie gut zu sein. Weil alles geordnet ist. Deshalb wäre es angebracht, eine weite Reise zu machen. In ein fremdes Land. Um zu sehen, es ist auch alles ganz anders. Die Sprache, die Kleidung, das Tempo und der Wein.

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Während ich Nachrichten höre, drängt sich mir die Frage auf: Zahlt es sich überhaupt noch aus, in die Arbeit zu fahren, wenn rund um mich die Welt einbricht?  … Keine großen Fragen stellen, oder?

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Sie hat schon gestöbert und festgestellt, dass ihr die stressige Voranschlag Zeit nicht mehr richtig gefällt und sie sich nach Ruhe und Genuss ihrer Habseligkeiten sehnt.

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Mit alten Menschen aufmerksam zusammen sein bedeutet mehr als jedes Achtsamkeitstraining!

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Während ich mich am Buffet im Speisesaal anstelle, fliegen mir folgende Worte zu: „… Ich interessiere mich in letzter Zeit immer mehr für …“. Leider kann ich den zweiten Teil des Satzes nicht mehr hören.

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Vieles, das ich während meiner Dienste zu Ohren bekomme, sollte vertont werden:
„Die Brüste wohnen im Dekolleté dicht beieinander.“
„Seine Augen hören!“
„Ich will hier nicht übernachten! Zu viel fremder Kummer treibt sich zwischen den Fenstern, der Wand, der Decke, den Vorhängen.“

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Ich will im Freien am Wasser übernachten. Ich kaufe mir eine aufblasbare Matratze und einen leichten Schlafsack.

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Lebendig sein ist überhaupt ein rechter Übermut. Eine Frau sein, die ein gesegnetes Leben führt, eine Frau, die jeden Tag das Leben ausprobiert, als wäre es immer wieder neues, überraschendes Geschenk.
So gesehen ist das Leben einfach nur ein Glück, solange es währt. Nämlich ein richtiges Leben, in dem man sich Niederlagen und Siege erlaubt, bei denen keine siegt und keiner unterliegt.

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Er will sich einen Papierdrachen – einen Oktopus – basteln und ihn fliegen lassen …

Mutter

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Muttersein macht die Illusion der totalen Autonomie deutlich.

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Eine gute Mutter ist die personifizierte heile Welt?!

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Eine gute Mutter bereitet auf die Welt vor und sie lehrt, diese Welt in allen ihren Schattierungen, von schwarz bis bunt, zu sehen. Und sie wartet nicht immer zuhause mit Trost und Suppe, sondern begleitet durch die Welt von schwarz bis bunt – und sie ist dort als eigenständiger Mensch unterwegs.

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Mutterschaft ist eine Beziehung, die nicht verhandelbar ist, weil das Gegenüber zumindest in den ersten Jahren nicht verhandlungsfähig ist.

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Sonst noch was????

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Nützliche Menschen sind eine Seltenheit. Das ist eine Tatsache, die ich wertfrei und emotionslos zur Kenntnis nehme.

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Die Kinder meiner Schwester sind aus der Kirche ausgetreten. Ab jetzt kriegen die nichts mehr von ihr zu Weihnachten geschenkt. Das zeugt von der humorvollen und theologisch konsequenten Einstellung meiner Schwester.

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Mutterwerden ist keine Kunst. Ein schönes Kleid nähen schon, das sagt meine Mutter immer wieder zu mir. Sie ist mittlerweile an die 80 Jahre alt. Ich schätze diese nüchterne Betrachtung einer Gegebenheit. Und bin stolz darauf, von solch einer Frau geboren worden zu sein.

9
Ich ertappe mich beim Gedanken, dass ich für meine Kinder mehr als für jeden Menschen dieser Welt zu tun bereit wäre…

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Meine Mutter ist der einzige Mensch, dem ich zeitlebens vertraue. Hoffentlich geht das noch lange so.

Toleranz


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Wer darf Bruder zu mir sagen?“ „Meine Schwester. Und sonst genau niemand!“ 

2
Meine Schwester sagt sich selber immer öfter einen kurzen Befehl, bevor sie mit bestimmten Menschen telefoniert. Der Befehl hängt mit den zu erwartenden Gesprächsinhalten und der Gesprächspartnerin zusammen.
Milde!“,Atmen, atmen, atmen!“,Freundlich bleiben!“, oder „Pfeif di nix! sind u.a. solche Mantras.

3
Mein Mann hat einfach vergessen, mich zu verlassen.

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Ich sitze an der Simmeringer Hauptstraße. Der 71er fährt zwischen Kaiserebersdorf und der Börse. All das hier ist Klischee: Die MA 48 holt den Mist ab. Wien macht gutes Klima. Der Postler bringt die Post. Frei von CO₂. (Kolleg*innen gesucht). Eine im Tschador versucht gemeinsam mit drei Kindern die Straße zu überqueren. Sie kichern, weil es so lange nicht gelingt, weil immer wieder ein Auto daher kommt. Die Kaffeehausbesitzerin wird in einem Jahr in Pension gehen. Ob das Lokal von ihrer jüngeren Schwester weiter geführt wird, ist fraglich. Sie serviert zur Marmeladesemmel ein Erfrischungstuch, das ich sehr gut gebrauchen kann, weil ich mir natürlich die Finger mit Sauerkirschmarmelade klebrig mache. Jetzt legt meine Kaffeehausbesitzerin grüne Tischdecken auf die Stehtische, die sie am Tischfuß festbindet. Auf den Tischen liegen grüne Mitteldeckchen. Alles passt adrett zusammen und wirkt trotzdem abgelebt. Kurz vor der Pension. Die grau-beigen gegenüberliegenden Fassaden wirken genauso abgenutzt. Sie haben Alufenster mit verschlissenen Jalousien davor, die die Sommerhitze aussperren sollten. Drei Stöcke hat das Haus. Das Erdgeschoss wird von einer Billig-Supermarktkette eingenommen. Da herrscht reges Kommen und Gehen. Die Platanen wurden vor geschätzten 50 Jahren zwischen Straße und Tram-Fahrbahn gepflanzt. Sie beherrschen die Situation und kompensieren die Baufälligkeit der Umgebung. Hier möble ich auch meine Vorurteile gegenüber muslimischen Männern auf. Er, das Oberhaupt der Familie, kommt in Turnschuhen, kurzärmeligem T-Shirt und einer smarten Uhr am rechten Handgelenk daher. Sie, die Frau trägt die Ganzkörperverhüllung, die nur das Gesicht freilässt. Sie trägt die zwei gefüllten Einkaufstaschen. Zur Kleingruppe gehören auch sechs Kinder. Es sieht nach Söhnen aus. Können natürlich auch zufällig eingesammelte Jungscharkinder sein.  Alle acht Personen betreten die Bank, vor der schon die ganze Zeit ein Wachebeamter die Stellung hält.

5
Spontane Schönheiten. Jetzt. Sammeln.

Dorf 3

1
Mein zugereister Freund und ich finden in ein Gespräch darüber, wie viel Kitt wir bereit sind, für die Dorf-Gesellschaft beizusteuern. Im Sparverein. In der Nachbarschaft. Im stillen Kämmerlein.

In einem Dorf verändert sich nicht so viel, wie man bereit wäre, an sich selber zu verändern. In einem Dorf am Laufenden zu sein heißt, sich im Kreis zu drehen. Man muss der Natur und den Menschen trotzen. Alle wollen dir an die Wäsche, beurteilen, kontrollieren, mit partizipieren, alles über dich wissen, mitnaschen. Alle wollen eine Familie sein. Neid ist Thema, da kann man nicht darüber hinwegsehen. Mit „allen“ meine ich 90 Prozent. Und die Kirche lasse ich vorerst auch einmal im Dorf.

2
Host du ka daham ned?, fragt mich der Kellner, weil ich meine Zeit schon wieder im Wirtshaus verbringe.

3
Im Wirtshaus sitzen lauter wohlgenährte, laute Marchfeldbauern. Da nehme ich mir jetzt kein Blatt vor den Mund. Außer der „Rudl, der is nimma do, der is schon am Onstond!Breitbeinig sitzen sie an den rustikalen Tischen und grölen einander zusammenhanglose Sätze zu. „Um 22 Uhr is Happy Hour … am Faschingdienstag in Lassee !“  Da gehen dann 16 Leute aus der Truppe hin. Der Kellner ist jung, hübsch und schwarzhäutig. Er muss jetzt „Gin Tonic mit viel Liebe machen.“  Dass dann einer von den Lustigen ungeniert der Kellnerin auf Hintern klopft, wundert mich nicht. Auch sie kommentiert es nicht.

4
Der Weinbauvereinsobmann verteilt die Einladung für die Weinkost an alle Haushalte und übersieht dabei, dass er die Vorlage vom Vorjahr vervielfältigt hat. Ein aufmerksamer Leser ruft an und sagt, dass er da schon gewesen sei, ob er nun heuer noch einmal dahin gehen solle und ob die Zeitmaschine vom Weinbauverein zur Verfügung gestellt würde.

Beim Raiffeisen Lagerhaus wurden drei neue Getreidesilos aufgestellt. Sie sollen gesegnet werden. Der Dienststellenleiter hat schon ein Kreuz gekauft, das ganz oben angebracht wird.

Die Nachbarkinder und deren Eltern und Großeltern sind unerträglich laut. Sie reden so, dass man alles mithören kann und muss. Das ist Absicht!

5
Meine Mutter und ich reden heute beim Telefonieren über die neue Koalition in Niederösterreich und darüber, dass man am Rettenbach (im Mölltal) von den Einheimischen mit dem Gewehr verjagt wird, wenn man auf einer Almwiese Grant‘n klaubt (Preiselbeeren pflückt).

6
Sie erzählt von den deutschen Gästen, die in ihrer Jugend schon ins Mölltal kamen. Sie hatten Geld und eine Sprache, die uns völlig fremd war. Der Wortschatz übertraf den unseren um ein Vielfaches und selbst wenn sie den größten Blödsinn von sich gaben, war jeder geblendet von genau dieser Sprache und wir glaubten, etwas sehr Geistreiches gehört zu haben.

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Versöhnlich bin ich später mal, vielleicht …

Wertschätzung

 


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Wertschätzung, muss man sich selber entgegenbringen und manchmal von anderen bekommen. Sie muss körperlich erfahrbar sein. Ich stelle mit Erstaunen fest, dass es auch mit mir so ist.

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Wo ist die Grenze zwischen Jammern auf hohem Niveau und echter Not?

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Um einen so aggressiven Moralismus zu vertreten, wie er heute üblich ist, muss ich meiner eigenen Vortrefflichkeit schon sehr sicher sein.

4
Wenn ich jeden Menschen, den ich treffe, so ernst nehme, wie er es verdient, kann ich nicht so weitermachen mit meinen Menschenbegegnungen. Ich kann nur einer Person pro Tag begegnen. Mehr geht nicht. Was sollen sie sonst denn denken von mir oberflächlichen Frau?

7
… ein Gruß, ein Dank, ein richtiges Wort zu gegebener Zeit …

… Ansehen verliehen bekommen, beim Namen genannt werden, ermächtigt werden, Verantwortung tragen dürfen, einer sinnvollen Aufgabe nachgehen können, wichtige Arbeit leisten, gerecht entlohnt werden, …

8
Werden wir schwermütig, wenn wir zu wenig Aufmerksamkeit bekommen?

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Die Tankstelle in Schrick findet immer Personal, das freundlich ist. Der Tankstelle in Hochleithen passiert das Gegenteil.

6
Die Dinge beim Namen nennen. Mariendistel. Baldrian. Alant. Herzgespann. Malve. Storchenschnabel. Minze. Bergbohnenkraut. Ysop. Meertraubenstrauch. Ich bestelle französischen und russischen Estragon zum Auspflanzen. Zum Kochen verwende ich ihn kaum. Mutterkraut. Thymian. Rosmarin. Lorbeer. Den lasse ich heuer im Garten überwintern – es ist einen Versuch wert. Ringelblumen. Holler …

9
Heute begegnet mir ein müder Mann. Er ist es satt, als erwerbsmäßiger Ernährer funktionieren zu müssen, Vollzeit zu arbeiten, dafür nicht wertgeschätzt zu werden. Er beschreibt mir sein Sehnsuchtsbild vom sinnvollen Leben: Holz schneiden und Erdäpfel setzen.

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Ich kann das Buch von Daniela Dröscher nicht lesen: „Lügen über meine Mutter“. Weil wir noch mitten drinnen stecken in der vom Patriarchat zerfurchten Welt.

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Die Literatin Tanja Maljartschuk um 6.55 auf Ö1: … dann werden auch Frauen zu Diktatoren, auch sie werden einmal die Welt zerstören dürfen.

 

Gast

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Wien liegt mir zu Füßen.

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Es dünkt mir ungewöhnlich, bis weit nach Mitternacht in einem fremden Haus bei bislang fremden Menschen Wein zu trinken.

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Mit meinen ungezählten Giveaways aus Keramik niste ich mich in Häuser, Wohnungen und Gärten von Menschen ein, die ich mehr oder weniger oder gar nicht kenne.
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Der Buchtitel Adas Raum macht mich neugierig.
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Meine Räume sind Sehnsuchtsräume. Einsamkeitsräume. Es zieht mich dahin, wo keine Menschen sind. So gelingt es mir besser, mein anerzogenes, positives Menschenbild nicht über Bord werfen zu müssen.
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Sie ist zu ihm gezogen. Jetzt haben beide zu wenig Raum und das Häuschen muss neu definiert werden. „Wir sind zu Gast in unserem Haus, ein Zimmer für dich, ein Zimmer für mich…“
7
Er wächst auf am Land, gemeinsam mit sechs Geschwistern und viel Gewalt. Es gelingt ihm, sich daraus zu befreien und sich von der Vergangenheit zu lösen. Er lernt Koch und beginnt, viele Dinge auszuprobieren. Er erkundet Südamerika barfuß mit dem Rad, lebt ein paar Wochen im Regenwald. Er heuert als Schiffskoch an, u. a. auf einem U-Boot. Mit der Besatzung kommt er in Gefangenschaft in Dschibuti, woraus er sich durch einen Hungerstreik befreit. Zu einem seiner schönsten Erlebnisse zählt er einen heftigen Seesturm, den er festgeklammert auf einem Schiffsmast ganz oben über sich ergehen lässt und überlebt. In seinen späten Jahren hilft er einer verwitweten Freundin ein altes Bauernhaus herzurichten, er heiratet sie der Ordnung halber und bleibt. Er ist ein Hüne von einem Mann, kräftig, groß und trägt Haare und Bart lang. Manche Einheimischen sagen Jesus zu ihm. Ein alter Mann bekreuzigt sich sogar einmal, als er ihm begegnet. Jetzt ist er schwer krank, will keine Medikamente nehmen, weil er bis jetzt alles in seinem Leben mit mentaler Kraft überstanden hat. Er hat große Schmerzen und meint: Wir sind nur Gast auf Erden.