Autormartha

Zurückwatscheln


1
Laut dem Männerforscher Romeo Bissuti haben sich die Männerbilder nicht deshalb verändert, weil Männer plötzlich miteinander geredet und festgestellt haben, dass auch sie unter Männlichkeitsnormen leiden. Männlichkeit hat sich verändert, weil sich die Frauen verändert haben und die Männer mitbekommen haben, dass sie mit der Macho-Nummer nicht mehr bei Frauen landen.

Wir schaffen es allerdings locker, das Blatt wieder zu wenden und ins vorige Jahrtausend zurückzuwatscheln.
2
In einer Fernsehschnulze höre ich vier Sätze, die eine Mutter ihrer Tochter zur Entdeckung der „wahren Liebe“ mitgibt.
„Frag dich,
ob du ihm alles erzählen kannst,
ob er Herzenswärme besitzt,
ob er dir dabei hilft, zu dir selbst zu finden
und ob er der Vater deiner Kinder sein soll.“
3
Eines der schönsten Dinge als Paar: als Paar zu wachsen!
4
Wir erwecken Sehnsucht und Verlangen bei jenen, die uns sehen.
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Ich bin verwirrt.

Tür und Angel

1
Immer noch singe ich, wenn ich allein mit dem Auto unterwegs bin. Mittlerweile ist das der wichtigste und bedeutende Grund überhaupt, mit dem Auto zu fahren. Alles andere spräche ja dafür, den Bus zu nehmen.

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Alle haben eine Geschichte mitgebracht, die sie mir zwischen Tür und Angel servieren:

Er erzählt von seiner Hochzeit, die er trotz Bandscheibenvorfalls nicht absagen wollte. Doch dann erlitt sein Bräutigam unmittelbar vor der Trauungszeremonie in einen epileptischen Anfall. Wunderschönes Orgelspiel begleitete die Tragödie.

Sie erzählt vom Verwöhntsein. Vom Vater, der sie mit dem Auto aus Bordeaux holt, damit sie nicht mit dem Zug fahren muss, das sind immerhin 1000 km.

Sie erzählt davon, dass sie ein Maulwurf ist, der sich am liebsten immer im Zimmer verkriechen würde. Nur die Mutter schafft es, sie da rauszuholen.

Er erzählt vom Dark Retreat. Das bedeutet, sich fünf Tage lang in einem dunklen Keller einsperren zu lassen, sich der Dunkelheit auszusetzen. Mitten im Frühling auf Mallorca. Im Laufe der Tage hat er zu halluzinieren begonnen.

Er spricht über die Mutter von Meyerhoff, die er in seinem jüngsten Buch ausführlich beschreibt. Sie erinnert ihn an seine Frau und an Pippi Langstrumpf.

Das frisch verliebte Pärchen erzählt vom Urlaub in Vietnam. Dort haben sie Gibbons gesehen. Und Baguette gegessen.

Sie hat ein Künstlerkind geboren.

Mein Mann bringt mir vom Weinviertler Heurigen einen Kärntner Reindling mit. Er schmeckt wie daheim im Mölltal.

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Ich sitze im Straßencafé und beobachte. Ein junger Vater bringt sein Kind wohl in den Kindergarten. Es sitzt im Anhänger. Er sitzt am Fahrrad und singt gut gelaunt sehr laut vor sich hin. Das Kind lässt alles mit stoischem Gleichmut über sich ergehen.
Eine Karikatur in der Zeitung fällt mir auf. Unter der Zeichnung steht: „Ein kleiner Hund. Von so was lass ich mich abschlecken, im Bett liegend, und mir graut vor Ausländern?“ In Wien sind überall Hunde. Leon de Winter singt in „Stadt der Hunde“ auch eine Ode an die allseits geliebten Tiere. Überall Hunde. Und Menschen, die sich darüber freuen. Ich glaub jene, die sich nicht darüber freuen, sind einfach leise und sagen aus Selbstschutz kaum was dazu.

4
Wie hilflos manche Egozentriker sind! Damit meine ich durchaus auch Menschen mit Kindern.

 

 

Eiffel


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Er berichtet mir voller Begeisterung von der außergewöhnlichen Beharrlichkeit Gustav Eiffels. Man hat ihm und seinen Projekten immer wieder Steine in den Weg gelegt. Gustav hat nicht aufgegeben.
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Haben wir alle zu wenig zu tun? Oder viel zu viel? Haben wir uns zu verweichlichten Wesen entwickelt, die nicht mehr wissen, was Arbeiten heißt? Oder in den Krieg zu ziehen? Wird das wieder in? Ein Leben lang kämpfen? Wollen wir uns nicht damit begnügen, uns nach getaner Arbeit einfach auszuruhen oder etwas Schönes zu tun?
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Während eines Gesprächs mit ihrer Schwester bekommt sie einen derart starken Migräneanfall, dass sie die Begegnung nach einer halben Stunde abbrechen muss, um sich zurückzuziehen. Eine knappe Viertelstunde später nach ihrem Rückzug ist alles wieder gut.
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Wenn er länger über die ungeliebte Tätigkeit des Rasenmähens nachdenkt, so kommt er zum Schluss, dass er sich glücklich schätzen darf, überhaupt die Möglichkeit dazu zu haben.
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Vergleiche machen im Normalfall unglücklich. Das war schon damals in der Schulzeit sehr hart!
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Er läuft heuer wieder beim Marathon mit. Ich deute es als intellektuelle Verzweiflungstat eines Historikers.

Dosenbier


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Ich bin echt so mehr die Einzelgängerin.
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Mittlerweile ist mein Garten ein Zoo. Die Pflanzen sind Nebensache. Dort tummeln sich hauptsächlich Maulwürfe, Wühlmäuse, Nacktschnecken, Gelsen, Amseln, Wildkatzen, Buchsbaumzünsler, Gespinstmotten, Blattläuse, weiße Fliegen und Spinnmilben. Mein Name ist Zoowärterin!
3
Die Kellnerin im Café Freud trägt eine Hose, deren abgeschnittenes unteres Drittel mit Sicherheitsnadeln befestigt wurde. Schaut gut aus!
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In Korneuburg bei der Rollfähre, unter der Wand, die Golif gestaltet hat, teilen wir uns ein Dosenbier.
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Im Kino ist eine Komödie angekündigt. Die Bude ist voll und ich bin auch da. Zum Lachen bereit. Der Film hat ein sehr trauriges Ende und auch zwischendurch kann ich höchstens grinsen. Wir stellen fest: Mehr Komödie kannst du in Mistelbach nicht haben.

Gut Aich

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Mitten auf der Wiese, hoch über dem Fuschlsee, steht ein großer Palmenbusch. Ich sehe ihn vom Bus aus. Er soll wohl zum Segen sein für die Menschen, die hier leben und für eine gute Ernte.

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Die Franziskanerinnen sind Anfang der 90er Jahre gegangen und 4 innovative Benediktinermönche haben Ende der 90er Jahre begonnen, das Europakloster mit herausragendem Idealismus zu gründen, aufzubauen, zu erweitern. Die Gemeinschaft selbst bleibt immer klein. Zurzeit sind 9 Mönche hier. Ihre individuelle Handschrift ist deutlich zu sehen und gleichzeitig ist sie typisch für Klöster, die dem Leben dienen. Sie verstecken sich nicht und zeigen sich mit Stärken und Schwächen. Außerdem gibt es hier neben vielen Mitarbeitenden eine besetzte Pforte, ein Hildegard-Zentrum für die Gesundheit, Kunstwerkstätten, eine Kellereimanufaktur, viel Garten und Wald, eine Noreia-Abteilung, einfache Schlafräume, eine Klausur, eine Kapelle und weitere großzügige Räume für Begegnung und Stille. Bienen, Hühner, Gänse. Etwas Kitsch, etwas Weihwasser, sehr viel Kerzenlicht und Brunnen, die ich zu lieben beginne. Die frischen Blumen. Die Einfachheit der Speisen, die besonders fein abgeschmeckt sind. Die Spiritualität, die es mir überlässt, ob ich mitkomme oder nicht, was ich mir davon nehme. Wie gut ist es, nicht reden zu müssen.
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Beim Essen in Gemeinschaft zu schweigen bedeutet für mich, aus Äußerlichkeiten Rückschlüsse zu ziehen. Obwohl ich versuche, genau diese Gedanken abzustellen. Und ich frage mich, wie weit es gelingen kann, sich bedeckt zu halten, wenn man nicht miteinander spricht. Ich möchte keine neuen Menschen kennenlernen und tu es trotzdem auf einer anderen Ebene. Wenn man in Stille isst, sieht man auf den Teller oder aus dem gegenüberliegenden Fenster auf die Wiese, in der die Hühner picken. Man schaut nicht in die Augen des Gegenübers. Das würde den Willen zu einem Gespräch implizieren. Ich denke an jene, die meistens in Stille essen.
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JedeR bringt etwas mit, auch Lasten. Einfache Gesten freundlicher Wertschätzung. Handwaschung und Reisesegen. Ein Tischgebet. Ein Begrüßungsschnaps und eine Schale gefüllt mit Äpfeln. Die unbeirrte Einladung zur Teilnahme an den Liturgien. Meine unbeirrte Gewissheit, ganz wenig davon zu brauchen.
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Mein Vorhaben, die Tage hier zur Konzentration zu nutzen, gelingt mir nach einer kurzen Eingewöhnungsphase gut. Ich muss auf viel Ablenkendes verzichten. Zum Beispiel eine Bergwanderung. Oder eine Schifffahrt auf dem Wolfgangsee.

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David Steindl-Rast fasziniert immer noch. Er ist eine lebende Legende: Wenn ich mich in den Abgrund der Stille fallen lasse, kann ich still die große Stille feiern, in der alle Worte noch schlummern. Aber auch als Guru verheddert man sich leicht, wenn man zum Beispiel erklären will, warum Gott ist. Oder wer Gott sein könnte. Es gibt in mir einen natürlichen Widerstand gegen das allzu Fromme.
Meine Tradition liegt in der Einsamkeit der Berge. Von dort kommt alles immer wieder zurück. Am letzten Tag meines Aufenthaltes sehe ich Bruder David am Marienaltar beten und segnen, zusammen mit zwei Fans von ihm. Er ist ein Greis. Beim Verlassen des Raumes dreht er sich noch einmal um und winkt uns zu wie ein Kind, das sich verabschiedet.
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Das jubelnde Geläut aus Glocken.

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Am Wolfgangsee ist eine Entenmutter mit ihren 4 Jungen zu sehen, wie sie im Sonnenglitzer schwimmend das Seeufer erobern. Einer der Mönche hat bei der Einführungsrede darauf hingewiesen und jetzt sehe ich die schwimmende Bande.
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Der Marienbrunnen in der Kapelle hat etwas Anziehendes. Nicht nur für mich. Man kann was dazulegen, man kann was wegnehmen, man kann sich was wünschen. Und man weiß den See in der Nähe. Da kann der Antonius(leuchter) nicht mithalten, obwohl ich ohne ihn in meinem Leben ganz schön verloren wäre!
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In der Pforte lege ich ganz schön viel Geld für Bücher, Schnäpse, Heilkräutertinkturen und Salben. Mitbringsel für die Lieben daheim. Der Reliquienhandel funktioniert. Kreislaufwirtschaft.
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Augentrost für klare Sicht, Drei-Königs-Tropfen für ganzheitliche Wegweisung, Frauenmantel für weibliche Harmonie, Kardenwurzel für kraftvollen Widerstand, Herzgespann für Herzlichkeit, Mädesüß für Lebensfreude, Mariendistel für Entspannung, Alant für befreites Durchatmen, IM_PHI+ für eine goldene Beziehungsquelle, Vogelbeere für belebende Perspektive … das alles und noch viel mehr gibt es zu kaufen ….
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Natürlich ist ein Kloster gerade in Zeiten wie diesen eine ganz andere Welt, die auch nur mit sehr viel Hirnschmalz aufrechterhalten werden kann. Hier gibt es viele Stellvertreterposten oder Handelsabkommen: Ich bete für dich, du machst für mich die Wäsche. Ich bete für dich, du machst für mich den Garten. Ich denke für dich über Gott und die Welt nach. Du machst mir einen guten Vertrag. Ich habe eine Vision. Du verwirklichst sie für mich.

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Das kurze Eintauchen in den See bringt meinen Kreislauf in Schwung. Mehr als 10 Schwimmzüge gehen sich bei 12 Grad nicht aus. Nacken und Fußsohlen wehren sich, der übrige Körper freut sich.
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Der See ist Seelsorger.

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Vor dem Haus steht eine Sommerlinde. Ganz zart. Eine Franziskanerschwester aus Au am Inn hat sie 1967 gepflanzt. Sie ist schon ganz schön groß. 15
Aus dem Zimmerfenster schaue ich auf den Schafberg.
Die Berge. Nacht und Tag und Nacht. In der späten Dämmerung schauen sie gegen den Himmel betrachtet aus wie große Zauberwesen.
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Br. David:
In meiner schriftstellerischen Tätigkeit ist es mir immer klarer geworden, dass auch gesprochene und geschriebene Worte geheimnisvolle Gebilde sind.
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Das Beste an den Sternen ist, dass sie sich kaum verändern, obwohl alles rasend schnell unterwegs ist. Ich kann mich darauf verlassen, dass im Frühjahr das Sternbild des Löwen  aus dem Süden heraufsteigt, auch wenn ich es nicht auf Anhieb erkenne.

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Welchem Gegenstand oder welcher Richtung wende ich mich in der Kapelle für einen Augenblick des Innehaltens zu? Dem Licht, das durch die bunten Glasfenster fällt? Dem Blumenstrauß vor dem Altar? Dem Vogelgezwitscher von draußen?
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Die schönsten Gebete werden in der Nacht „gesungen“. Der Raum ist voller Kerzenlicht und Stille.
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Das Gegenteil von Arbeit ist Muße? Oder Freizeit? Oder gar Spiel?
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Ich schließe mich aus dem Haus aus, in dem mein Zimmer ist. Ich werfe ein paar Steine gegen ein Fenster, hinter dem ich Licht sehe, in der Hoffnung, dass mich jemand hört. Es gelingt, und ein freundlicher Herr lässt mich ein.
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Am frühen Morgen höre ich 12 Böllerschüsse. Ist Krieg? Nein, es ist 1. Mai und ich bin im Salzkammergut. Die Nacht vom 31. April auf den 1. Mai wird hier als Bosheitsnacht bezeichnet. Der Hausmeister  erzählt mir von einigen Streichen, die in dieser Nacht passieren.  Zum Beispiel werden Dinge, die nicht niet- und nagelfest sind, irgendwo hingebracht und an unorthodoxen Orten präsentiert. Da wird eine Scheibtruhe in den Baum des Nachbarn gehängt oder Nummernschilder vertauscht oder Blumen umgepflanzt oder Blumenkästen verschoben und so weiter und so fort. Er erzählt mir auch, dass er in einer Garconniere in einem der Klostergebäude wohnt. Das Kloster gibt ihm Arbeit. Man kümmert sich um ihn.
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Der Hausmeister war gestern den ganzen Tag zwischen den vielen Klostergebäuden unterwegs, mit dem Bagger, mit dem Rad, mit und ohne Anhänger, hat Kompost ausgebracht, neuen angesetzt, sich um das Auf- und Zusperren der vielen Räume gekümmert und …
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Vor dem Kloster hängt heute eine Fahne mit einem Wildschwein als Wappentier. Es ist die Fahne des Heimatortes des Seniorpriors, der gestern Geburtstag hatte. Da wurde sie gehisst. Er hat sich in den vergangenen 20 Jahren derart verausgabt, dass er sich jetzt bedenklich verrückten Bräuchen hingibt.
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Es ist immer ein Paradoxon im Raum.

Security

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Ich brauche Trost. Ich hole ihn mir bei einem Security-Experten, der als Patient im Krankenhaus liegt. Er ist als Kind durch die Rudolf Steiner Schule gegangen und hat dort seinen Blick auf die Welt geschärft. Zum Beispiel, dass alles mit allem verbunden ist. Wir sprechen viel über Macht und Dummheit. Und über die Bösartigkeit des Menschen und des Krebses. Er hat aufgehört, gegen den Krebs zu kämpfen, mit dem er schon lange lebt. Er ist enttäuscht von der Welt. Er wollte noch ein bisschen leben. Ich spüre, wie ich mich ein wenig über ihn erhebe, indem ich seine Erzählung schon bewerte, während er spricht. Auf der Stelle versuche ich, es abzustellen in mir.
Er zeigt mir einige Übungen, die ihm als Security geholfen haben, die Menschen wertzuschätzen. Bei seiner Arbeit ist er Ladendieben begegnet, die wirklich aus einer Not heraus stehlen. Zum Beispiel einen Sandler, der sich waschen will und ein Stück Seife stiehlt. Er traf Kriminelle, die so gut im Stehlen waren, dass man sie gar nicht fassen konnte. Es gab auch welche, die so auf den Einkaufswagen fixiert waren, dass sie ganz vergaßen, etwas von unten auf das Band zu legen.

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Ein Arzt am Gang schreit ungehalten ins Telefon: Ja, eine Tablette am Morgen und eine am Abend!

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Sie war eine Spinnerin und Gerechtigkeitsfanatikerin, wie sie sich selbst bezeichnete. Vor allem in ihrem Berufsleben. Ich höre heraus, dass sie beharrlich war und die eigenen Prinzipien und Ideen konsequent verfolgte. Der Erfolg gab ihr recht. Jetzt in der Krankheit spielt Gerechtigkeit keine Rolle mehr. Da gelten andere Spielregeln.

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Wie fühlt sich eine Frau, die in der Krankenhauskapelle in der ersten Reihe sitzt, während ich eintrete und mich hinter sie stelle, ein paar Augenblicke verweile und dann wieder gehe?

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Ich brauche Trost, weil so viele Menschen um mich herum Trost brauchen. Ich brauche Trost, ich merke es daran, dass mir schlecht wird.

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Einen gestrickten Ganzkörperanzug tragen.

Haushalten

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Ich werde meinem Mann von meiner Reise ein Haushaltsgerätmitbringen. Kurz vor meiner Abreise antwortete er auf meine Frage, ob wir ein gemeinsames Hobby hätten: „Ja, den Haushalt“.

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Mein Alltag ist viel zu viel Verschiedenes. Das erschöpft mich, macht mir Verspannungen im Nacken und im Kopf.

3
Ihre Bilder, die sie im Kopf trägt – Prinzessinnenvorstellungen vom Leben, vom geplanten Schönen, von einer perfekten und heilen Welt – sie machen ihr Angst.

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Er mag das Abenteuer. Er mag es, glücklich zu sein. Dieses Jahr macht er nur das Nötigste im Garten, weil er zu wenig Zeit zum Gießen haben wird. Vielleicht steckt er Zwiebeln. Wenn er wandert und zeltet, trägt er höchstens einen 9 kg schweren Rucksack auf dem Rücken. Wenn er ihm zu schwer wird, denkt er an all jene, die Tag für Tag Lasten schleppen, am Bau, im Lager, in der Gastro, im Gesundheitswesen, … Gesundheit, das wünscht er für uns alle. Wir trinken spanischen Sekt, stoßen auf seine Pensionierung an und bleiben bis 1 Uhr nachts zusammen.

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Wir sollten Respekt voreinander haben.

Mehr Bologna, Martha!


1
Ideen für die Reise:
Tröstlich wohnen. Die alten Plätze besuchen. Morandi besuchen. Zeitgenössische Museen besuchen. Natürlich essen und trinken. Einen Tagesausflug nach Florenz machen. Über Mestre und Venedig wieder nach Hause fahren.

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Viele Kleinigkeiten
daheim lassen mich nicht zur Ruhe kommen. Das nennt man wohl Reisefieber. Ich verzettle mich mit Reiseführern und dem Kofferpacken und der Idee, die Vorbereitungsphase doch zu genießen. Der Wetterbericht sagt für das Reiseziel Regen voraus. Bologna ist dafür die geeignetste Stadt. Die Laubengänge von Bologna entstanden fast spontan, wahrscheinlich im frühen Mittelalter, als Vorsprünge privater Gebäude auf öffentlichem Grund errichtet, um den Wohnraum zu vergrößern. Wir werden trockenen Fußes vorankommen. Mein Sohn, der die Stadt von einer Reise vor einiger Zeit kennt, schwärmt bei der Verabschiedung vom Platz am höchsten, schiefen Turm und vom Essen und den Märkten …

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Mein Reisegefährte hat Kunstkarten vorbereitet,
die wir als „Spuren“ hinterlassen können.
Worüber denken sie gerade nach? A che cosa sta pesando in questo momento?
Worin besteht ihr Schmerz? Qual e in tuo dolore?
Ich schreibe hier nicht über den Schmerz. Ich wende mich der Veränderung zu.

Welche Geschichten werden wir einander später erzählen?

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Der frühe Reisemorgen ist aufregend. Die Schnürsenkel meiner Schuhe sind fest ineinander verknotet. Ich arbeite mit zwei spitzen Gabeln, um sie aufzulösen. Der Kaffee schmeckt mir heute nicht. Qualitytime liegt wie ein unbeschriebenes Blatt vor mir

5
Seit ich fliege,
sind die Sicherheitskontrollstellen zum ersten Mal mit freundlichem Personal besetzt. So geht alles viel leichter. Wir haben Zeit am Flughafen, noch (k)ein Ottakringer und einen Kaffee zu trinken – der Flug vergeht rasch und am Ankunftsflughafen wartet der erste italienische Kaffee auf uns. Jetzt schmeckt er. Busfahren, die ersten Eindrücke der Stadt. Die Unterkunft lässt einen Blick auf eine Straßenkreuzung, den ich sofort liebgewinne. Dieser Blick wird mir in sehr guter Erinnerung bleiben, das weiß ich jetzt schon.

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Bologna, die Rote und Bologna, die Fette,
das sieht man bereits am ersten Tag. Unglaublich gutes Essen – leider kann man nicht so viel davon nehmen, wie man gerne möchte. Wir essen sehr spät zu Mittag. Einfach, am Markt. Mit den besten Fischzutaten, direkt vom Fischhändler nebenan. Ribola Chialla und Friulano dazu. Die Stadt ist nicht zu vergleichen mit Venedig, dort weist uns ja der Tourismus in die Schranken. Hier in Bologna kann man auch leben.

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Torre del Orologio, Piazza Maggiore, Basilika San Petronio, Gewürzmarkt.
Für mich im Mittelpunkt: das Uhrwerk und ein Fensterbrett als Sonnenuhr. Tauben. Eine Abendsonne und fahles Licht. Der Aufstieg auf den Uhrturm, um über die Stadt zu blicken, ist leicht und schön steil. Von oben wirkt die Stadt kompakt, massiv, die Häuser im Stadtkern sind mit roten Ziegeln gedeckt. Der erste Eindruck übertrifft meine Erwartungen. Das hat einen beglückenden Effekt. Vom Uhrturm aus sehen wir sogar das Stadion und eine Figur, die hoch oben in den Lüften schwebt – wahrscheinlich ein Engel. Er kommt mir surreal vor, so mitten im Himmel platziert, ohne erkennbaren Zweck, außer der Schönheit zu dienen. Wir haben Glück, die Sonne kommt raus. Ich bin jetzt schon müde, aber vielleicht trinken wir doch noch ein Glas Wein … nicht nur Tee. Am Ende des Tages sind wir an die 12 Kilometer weit gegangen.

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Im Theatro Anatomica fühle ich mich vorerst wohl.
Ein ganz mit Holz ausgekleideter Raum schafft Geborgenheit. Die Holzstufen im Saal sind abgenutzt, und ich stelle mir eine Leiche vor, wie sie da in der Mitte auf dem Seziertisch liegt, zur Schau gestellt, umringt von Männern, die etwas sehen wollen, etwas lernen wollen oder es treibt sie noch etwas ganz anderes an, diesem Schauspiel beizuwohnen. Noch vor wenigen Jahrzehnten wäre es mir als Frau nicht möglich gewesen, hier drinnen zu sitzen. Ich stelle mir hier eine Supervisionssitzung im großen Stil vor, ein Treffen von Menschen, die sich für die Psyche des Menschen interessieren, von dem mir eine Freundin immer wieder erzählt. Ein ständiges Kommen und Gehen und Mitreden, ohne das Gesagte zu bewerten. Ich höre den Regen aufs Dach trommeln. In Florenz ist Hochwasser, südlich von Bologna auch. In einem nächsten Raum fällt mein Blick durch eine vergitterte Tür in einen elendslangen Gang der Bibliothek.

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Am Abend tummeln sich viele Menschen
vor und in den Gassenlokalen. Obwohl es regnet. Wir gehen trockenen Fußes durch die Laubengänge zurück in unser Quartier. Vorher trinken wir richtig gut in der Osteria del Sole. Hier ist es üblich, das Essen selbst mitzubringen und nur die Getränke in Selbstbedienung zu holen. Die Bude ist gedroschen voll. Nachdem wir das System durchschaut haben, besorgen wir uns in der Fleischhauerei und beim Bäcker nebenan eine Kleinigkeit zu essen und tun bei diesem bunten Treiben mit. Mir fällt ein, dass die Wiener Heurigenlokale in ihrer Ursprünglichkeit auch so organisiert waren. Zum Rauchen geht man vor die Tür. Dort ist der Platz sehr knapp und so stehen alle Raucher in der Tür. Chi non bene fuori … steht auf einem Schild an der Tür – wir befinden uns also in einem Lokal für die Nicht-Wohlhabenden.

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Ein Brandteigkrapferl
mit einem knochentrockenen Prosecco im besten Sinne genießen wir im Cafe Gamberini. Die Vitrine mit den süßen und pikanten Bäckereien ist eine Augenweide. Ich denke laut nach und frage mich, was mit den appetitlich angerichteten Häppchen nach Dienstschluss geschieht? So etwas kann man doch nicht wegschmeißen. Aber haltbar ist das Ganze auch nicht … Zwei Tage später bekomme ich durch Zufall die Antwort geliefert: In der letzten Stunde vor Dienstschluss werden die nicht verkauften kleinen Köstlichkeiten auf 4 großen Etageren und 7 Tabletts an der Theke angeboten (Minibrötchen, Chicettis, Pastetchen, Balls, Frittiertes, …) und jeder Gast darf sich davon nehmen. Wieder ein „System“, das mir sehr imponiert.  Wie einige andere Touristinnen bin ich von diesem Angebot freudig überrascht. Andere wissen davon: Neben mir setzt sich kurz vor der Sperrstunde eine feine Lady in hochbetagtem Alter, bestellt sich ein Glas Prosecco, nimmt sich ausführlich von den Appetizern, trinkt noch ein Glas Prosecco und geht dann wieder, nachdem sie ein ordentliches Trinkgeld hinterlassen hat. Passend zum Ambiente hat sie sich fein herausgeputzt: gefärbte Fingernägel, gefärbte Lippen, Schmuck an Fingern, Ohren und um den Hals.
Ich hingegen überlege mir, ob es Sinn macht, für irgendein Fest solche Etageren zu töpfern? Ganz schlicht in der Ausführung, damit die Speisen wirken können? Aber, wer bereitet dann bloß die ganzen Köstlichkeiten vor? Ich bin begeistert, auch wenn der Anblick der Bar im Vergleich zu den Obdachlosen draußen auf der Straße sehr dekadent ist. Es regnet.

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Das Beste kommt noch: das Museo Morandi.
Ein bildender Künstler, der mich an Christine Lavant erinnert, nachdem ich etwas über ihn erfahren und vor allem seine Bilder im Original gesehen habe. Sehr zurückgezogen machte er unbeirrt sein Ding. Stillleben bis hin zur Abstraktion, ohne laut zu werden. Zurückhaltend und haltend. Man kann sich darin verlieren und wird doch getragen von ihm, von dem Leben, das er geführt haben mag, das sehr asketisch schien… Es ist auch ein Glück, seine Bilder im Original zu sehen. Seine Krüge und Dosen. Die zarten Pastellfarben. Grafik und Malerei. Frühe und späte Werke. Ein Himmel. Eine Stromleitung, die ihn teilt. Ein Haus.
Das Museum befindet sich in einer verlassenen städtischen Bäckerei, dem forno del pane di Bologna. In einem Raum des Museums läuft ein Film über die Teppichherstellung in dieser Gegend in früheren Zeiten. Auch er zieht mich in seinen Bann. Eine Künstlerin hat ihn in Schwarzweiß mit ihrer Mutter als Hauptfigur gedreht. Er zeigt diese Frau bei verschiedenen halbmechanischen Tätigkeiten an großen Maschinen. Ständig flimmert eine leichte Staubschicht durch den Film. Die Mutter hat lange, lackierte Fingernägel und bewegt sich dennoch mutig zwischen Maschinen und Wolle.
Wir kaufen einen Morandi-Katalog. Ein darin abgebildetes Foto zeigt einen langen Trauerzug durch die Via Sant Alo, die Straße, an deren Ende die beiden Türme stehen. Das Foto ist ein beeindruckendes Zeugnis von Morandis Beliebtheit in der Heimatstadt.

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Wir essen frisches Brot vom Markt,
frische Salami vom Markt. Ein gekochtes Ei. Wir reden über Morandi. Und seine Einfachheit, seine Suche nach Einfachheit. In der Stadt fand er diese Schlichtheit wohl nicht, sie ist üppig und stark und reich an Ornamenten. Es macht Freude, zuzuschauen, wie in den Auslagen Nudeln per Hand hergestellt werden, es macht Freude, die vielen verführerischen Brötchen, Speisen to go und Süßigkeiten anzuschauen. Es scheint so, dass man es sich in Bologna nicht erlaubt, etwas nicht Gutes aus der Hand zu geben. Dahinter steckt viel eintönige Kleinarbeit.

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Bologna, die Gelehrte. Wir freuen uns über die vielen Lorbeerkränze und die noch schöneren Blumensträuße, die die frisch gebackenen DoktorandInnen bekommen haben und nun stolz in Händen tragen. Sie sind in der Stadt unterwegs, um mit ihren Familien zu feiern. Der schönste Strauß ist der mit Artischocken, Spargel, Radicchio und Lorbeer. Die junge Frau, die ihn bekommt, ist außergewöhnlich gekleidet. Obwohl sie mindestens 180 cm groß ist, trägt sie Clogsschlapfen mit sehr hohen Absätzen.

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Schade, dass mein Tablet nicht sehen kann! Wir sitzen vor den beiden schiefen Türmen, Le dui Torre, in der Via Rizzoli zwischen den Arkaden und ich versuche, diesen Eindruck festzuhalten. Die Türme reißen meinen Blick immer wieder nach oben. Mitten in der kleinen Fußgängerzone hat ein Künstler eine Poesiebox installiert. Ich nehme ein Gedicht heraus. Es ist auf ein weißes Blatt geschrieben, zusammengerollt, mit einem kurzen roten Band zusammengebunden. Der Künstler heißt Antonio Melis:

Nell’aria sobria
di pensieri non pensati…
Medito un mondo, liberarsi nella sua natura semplice…
improvvisa…
gli oceani salgono
la superficie del mondo
abbandonato da tiranni e sudditi
il divino ha il potere di far morire e rinascere le anime in pena,
su questa terra…
vedo un dipinto di arcobaleno riflettere le vite risorte degli
uomini
in virtù del coraggio…

In der nüchternen Luft
Von ungedachten Gedanken…
Ich meditiere eine Welt,
befreie mich in ihrer einfachen Natur …
Plötzlich…
Die Ozeane steigen
Die Oberfläche der Welt
Verlassen von Tyrannen und Untertanen
Das Göttliche hat die Macht, Seelen in Trauer sterben und wiedergeboren zu lassen,
Auf dieser Erde…
Ich sehe ein Regenbogengemälde, das das auferstehene Leben der
Männer
Aufgrund von Mut…

Der Künstler kommt auf uns zu, spricht uns an, fragt, wo wir herkommen, erwähnt, dass er heute schon mit Leuten aus Österreich gesprochen hat. Heute sind viele Menschen unterwegs. Vielleicht bleiben sie auf dem Weg nach Florenz hier hängen, weil es wegen des Hochwassers nicht ratsam ist, dorthin zu fahren?

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Klamotten sind hier wichtig.
So wie fast überall in Italien. Heuer trägt man weite Hosen – ich kenne sie von New York im Vorjahr: da gab es auffallend viele weite Jeans zu sehen. Wir sehen jede Menge junger Frauen mit einem Hang zum Tussihaften.
Ich sehe eine Frau, sie trägt ein langes T-Shirt, ein kurzes Leiberl drüber und ein warmes Kleid ohne Ärmel, und dann noch einen ärmellosen Mantel. Alles in dezenten Farben.
Eine andere Frau trägt ein buntes, kurzärmeliges Kleid, darunter ein langärmeliges Shirt, eine gestrickte Kette, eine sehr bunte Tasche. Ich sehe eine sehr, sehr weite Hose. Das alles gefällt mir.

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Rot, orange, braun, ziegelfarben. So würde ich die Stadt in Farbe beschreiben. Ein Kontrast dazu: Eine Bettlerin. Ihr Gesicht ist weiß geschminkt, sie trägt weiße Kleidung und sieht aus wie eine Bäckersfrau. Sie spricht kein Wort, macht einen pantomimischen Gruß und hält dann die offene Hand hin, um Almosen zu empfangen.
Es gibt auffallend viele Büchereien in dieser Stadt und auch einige Männer mit Hut. Die Arkaden lassen alle Menschen mit der gleichen Würde durch die Straßen gehen. Man hat ein erhabenes Gefühl, wenn man durch diese Gänge geht, die sich manchmal über zwei Stockwerke erstrecken. Die nach oben strebenden Bögen und Säulen lenken, genauso wie die Türme, den Blick nach oben. Unter den Arkaden ist es kälter als draußen auf der Straße, das sollte man bedenken, wenn man sich einen Platz zum Sitzen und Verweilen sucht.

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In einer kleinen Kapelle
treffe ich auf eine Nonne, die sich in heller Aufregung mit einem (vermutlich) Obdachlosen unterhält. Es sieht so aus, als hätte er hier übernachtet, zumindest riecht es danach. Wie und ob sie ihn überzeugen kann, diesen warmen Ort zu verlassen, erfahre ich nicht mehr, es zieht mich weiter.

Über der Kirche des Heiligen Franziskus hat sich ein Regenbogen gebildet. Auf dem Platz davor spielen Kinder Fußball, trotz des leichten Regens. Ich koste vom Eis, das hier besonders professionell angeboten wird. Den Hinweis auf diesen Laden, mit dem besten Eis der Stadt, habe ich in von einem deutschen Podcaster gehört. Vermutlich lügt er nicht.

In der Kirche des Heiligen Bartholomä, gleich neben dem höchsten Turm, beim heiligen Josef, zünden wir zwei Kerzen für uns an. Diese Kirche war bisher die schönste. Weil sie im Inneren dunkel ist und das Gold dann besser wirkt. Alle Kirchen – und derer gibt es viele – sind sehr groß und relativ ruhig eingerichtet. Die Stile sind zum Teil sehr gemischt – eh klar – vom Romanischen bis in den Barock.

Die Basilika San Petronio mit ihrer aufwendigen Backsteinfassade schmückt den Hauptplatz Sich an einem Brunnen zu verabreden ist sehr poetisch, poetischer, als zu sagen, wir treffen uns in der Straße XY/ Ecke Soundso.

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In unmittelbarer Nähe des Neptunbrunnens
sehe ich einige Menschen, die ihr Ohr an das Gewölbe legen. Ich spreche eine Frau daraufhin an und erfahre, dass es sich um ein besonderes Klangspiel handelt, das die Stimme wie ein schnurloses Telefon von einer Ecke in die andere leitet. Später lese ich nach, dass Mayors Vault zu einem der sieben Geheimnisse Bologna zählt.

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Wir bleiben bis zur Sperrstunde in der Osteria del Sole:
Der Oberkellner läuft mit einem selbstgebastelten Schild herum, auf dem ein Kondom klebt, darunter steht: Sperrstunde! Ora di chiusura! Geht ficken!

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Sonntagsausflug nach Florenz.
Das klingt gut! Unsere Anreise mit dem Zug klappt sehr gut – sowohl hin als auch zurück. Hin brauchen wir knapp 35 Minuten – der Zug fährt ein paar Kilometer mit 300 km/h! – Zurück fahren wir mit dem Regionalzug ca. 1 1/2 Stunden.

Santa Maria del Fiore,  Ponte Vecchio (älteste Brücke Europas), Brunelleschi-Kuppel, das Babtisterium St. Giovanni mit dem Goldenen Tor – geschaffen von Lorenzo Ghiberti – alttestamentarische Szenen an der Ostseite, Uffizien, Pallazo Veggio, …  an all diesen Sehenswürdigkeiten schlendern wir vorbei. Um hineinzukommen, müsste man für manche Räume Wochen vorher einen „Timeslot“ buchen. Florenz ist ein Museum.

In einem Café vor dem Dogenpalast lassen wir die Stadt auf uns wirken. Mit dem Einsermenü: Bier, Grappa, Espresso.

Wir verbringen auch hier viel Zeit auf dem Markt. Mit drei wunderbaren Brötchen. Ich soll die jeweils 4 Köche beschreiben, die mit Professionalität und Leichtigkeit, Freude und Stolz zeigen. Sie bereiten die angebotenen Speisen in der Schauküche zu. Die Köche schauen zum Anbeißen aus.

Florenz protzt. Diese machtgierigen Dogen und Päpste vergangener Tage kann ich mir nicht wegdenken. Sie verstellen die Künstler, obwohl von denen natürlich mehr bleibt als von den Machthabern, und von den Frauen ist hier gar nichts zu sehen. Eine neuere Figur steht vor den Uffizien, eine riesengroße Bronzefigur einer Frau aus diesem Jahrtausend, die ein Handy in Händen hält. Naja….kommt nicht durch, aber immerhin.

Bologna ist mehr meine Stadt (entschuldige, Florenz, natürlich habe ich dich und deinen geistigen Reichtum nicht erfassen können … ). Auf dem Heimweg vom Bahnhof fällt auf, dass trotz der vielen Straßenlokale das meiste Essen wohl vom Lieferservice gebracht wird. Sogar von MacDonalds wird geliefert.

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Ich schaue mir den preisgekrönten Film No Other Land in einem Kino in der Innenstadt an. In Originalsprache (hebräisch, arabisch) mit italienischen Untertiteln. Ich langweile mich keine Sekunde lang, obwohl ich die Worte nicht verstehe. Ein Dokumentarfilm, der im Westjordanland spielt. Man muss ihn, obwohl er mich fasziniert hat, nicht gesehen haben, er zeigt die Sinnlosigkeit dieses Landes. Aber, wo geht es schon sinnvoll zu? In Amerika? Nach so einem Film kann man nur Nestroy zitieren. „Mein einziger Trost ist die Verzweiflung“.

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Es gibt kein Meer in Bologna,
ich kann keine Muscheln am Strand sammeln.

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Vor der Abreise kaufen wir a
m frühen Morgen auf dem Markt ein. Artischocken. Radicchio. Spargel, Käse. Zitronen, Salami. Das sind meine Mitbringsel. Sogar wilden Brokkoli nehme mit, die wilden Mohnblätter lasse ich liegen. Alles sieht ähnlich aus wie in Galipoli im Jänner – allerdings ist hier alles „schöner“ fürs Auge hergerichtet. Es gibt unglaublich viel Fisch und Meerestiere zu sehen und es ist mir ein Vergnügen, meinen Reisegefährten über Fisch reden zu hören! Die Unterscheidung zwischen Orangen zum Essen und Orangen zum Auspressen schmeckt man. Ich teste es. Tatsächlich kaufe ich sehr viel gutes, frisches Zeugs. Es erfüllt mich mit Freude, dass ich Gemüse mit nach Hause nehmen, das ich später dann die Reise einkochen kann. Das alles wird uns daheim noch wochenlang erfreuen.

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Es ist gut, dass noch etwas offen bleibt
… Hinter dem Bahnhof liegt die monumentale Church of de Secret Heart Of Jesus. Ich esse noch einmal Tagliatelle Bolognese und wir trinken einen Grappa in einer Spelunke. Gut schmeckt es!

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Mit der Trenitalia zu
fahren, das ist richtig komfortabel. Von Bologna über Ferrara, Padua, … nach Mestre. Kurz hinter Ferrara überqueren wir den Fluss Po. Die flachen Felder sind vom Regen durchtränkt, selbst die kleinen Kanäle voller Wasser. Hier wird bereits Spargel gestochen. Zu Hause werde ich Bärlauch pflücken. Bärlauchnudeln kochen, Bärlauchschnitzel, Bärlauchcremesuppe.

Bei Padua denke ich automatisch an den heilige Antonius, der für die verlorenen Dinge steht, der uns hilft, das Verlorene wieder zu finden. Und ich denke an Bodo Hell. Er hat ihn oft in seinen Texten erwähnt und ist nun selbst verloren gegangen. Es klingt wie Musik in meinen Ohren, wenn die Chris Lohner der Italienischen Bahn ansagt: Venezia Santa Lucia!

Die vergangenen Tage zieht gleichzeitig mit der norditalienischen Landschaft am Fenster vorbei. Ein Industriegebiet vor Pordenone, ein ungepflegter, riesiger Weingarten mit Weingartenhütte. Viel Müll und Traktorspuren zwischen den Zeilen. Der Boden bei den Weinstöcken ist aufgebrochen, er ist steinig, die Erde  dunkelbraun. Dazwischen weiden ein paar Kühe.

Wir überqueren den Piave, den breiten, türkisfarbenen Fluss. Nach den vergangenen Regentagen ist das Flussbett gut gefüllt. Der Zug trägt uns. Ich drücke meiner Tochter die Daumen für einen Vitiforst-Vortrag, den sie heute hält.

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Im M9
in Mestre zeigen sie eine Ausstellung über „gerettete Kunst“/Arte Salvata. Das Museum hat sich mit dieser Ausstellung richtig herausgeputzt, wir sehen Bilder, die vor dem Anschlag 1944 in Le Havre aus dem Museum für Moderne Kunst gerettet wurden. Mein Reisegefährte ist vor allem von den beiden Monetbildern begeistert: eine Ansicht aus der Serie über das Londoner Parlament und ein Landschaftsbild mit Sonne, Busch und Wiese. Monet konnte besonders gut mit Farben umgehen, meint er. Blickfang des Ausstellungsplakats ist ein Mädchenporträt von Renoir. Eines meiner Lieblingsbilder ist von Pierre Bonnard. Auf ihm scheint alles verrückt zu sein: ein Tisch, darauf zwei Tischdecken und ein Tablett mit ein paar leeren Gefäßen. Ein Fenster, durch das man auf ein Geländer schaut, dahinter Wasser und ein Boot. Ganz unten rechts in der Ecke, nur schemenhaft zu erkennen, ein Mädchenkopf.

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Der Zug Venedig-Wien hält in Pordenone. Mein Reisegefährte zeigt mir auf seinem Handy die Bilder der Live-Kamera, die auf den Hauptplatz von Bologna gerichtet ist. Er liebt es, jeden Tag die Live-Kameras seiner Lieblingsdestinationen zu sehen. So vermischen sich Traum und Wirklichkeit. Nächster Halt: Udine. Italienisch lernen wäre eine Option.
Wir überqueren den Tagliamento, den zweiten großen Fluss, der aus den Bergen Friauls herabfließt, türkis und wieder in einem sehr breiten Flussbett.
Der Grenzberg zwischen Arnoldstein und Italien heißt Ofen. Im Friaul mit dem Zug Richtung Villach zu fahren, ist ein Vergnügen. Die Berge sind schon da, diesmal mit Schnee bedeckt. Ein Gedanke geht mir durch den Kopf: Unbeirrt sein. Das ist sehr oft das Wichtigste.

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Sohn: Wie ist die Mama so, wenn sie reist?
Reisegefährte: Wie eine Sechzehnjährige!

Verrückt

1
Durch die Stadt gehen und mich dabei streng an diese Vorgaben halten: 1 x rechts abbiegen, danach 2 x links abbiegen – und das solange es geht. Oder mich einfach treiben lassen? Das ist bedeutend schwieriger. Am einfachsten finde ich den Vorschlag: Picknick im Wohnzimmer!

2
Ich belausche ungewollt das Gespräch eines Ehepaares, das am Tisch neben mir mit Blick auf den See sitzt.
Sie: Siehst du den Schwan da hinten? Der brütet da.
Er: Nein, der sitzt einfach so da
Sie: Woher willst du das wissen?
Er: Weil es ungewöhnlich wäre, dass hier ein Schwan brütet.
Sie: Du weißt immer alles besser!“
_
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Sie: Weshalb sprichst du nicht?
Er: Weil ich nicht sprechen will.
Sie: Du willst nur mit mir nicht sprechen! Nie willst du mit mir reden.
Er: Nein, ich will mit der ganzen Welt nicht sprechen!
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_

Sie: Wir hätten nicht hierher fahren sollen. Es gefällt dir hier nicht. Gib es zu.
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Sie: Hätten wir nach Mistelbach fahren sollen? Oder nach Gaweinstal? Wäre dir das lieber gewesen?
_

Sie: Ich merke es doch. Ich habe es vorher schon gespürt, es war ein Fehler, hierher zu fahren. Es gefällt dir hier nicht.

Er geht, kommt mit einem Stapel Zeitungen wieder und legt ihr ein paar davon hin.
Sie: Danke dir. Wie gut du dich kümmerst!

Kleinkram


0
Die Tochter sagt: Freundlichkeit zahlt sich aus.

1
Ich esse so viel vom perfekten Schweinsbraten mit Krustenschwarte und trinke so viel vom Wein, dass meine Galle übergeht und ich ohnmächtig werde.

2
Du machst nichts falsch, wenn niemand weiß, was du tust.“  Das glaube ich nicht!

3
Ich höre zum ersten Mal etwas von Pataphysik – absurdistisches Philosophie, die so viel bedeutet wie: „Professionelle haben nur einen Weg, den Dilettanten stehen alle offen.Aber auch solch eine Einstellung bedarf der Übung. Wieder kein aufputzendes Mäntelchen für mein Dahintümpeln …

4
All die Wahlmöglichkeiten treiben mich in den Überforderungswahnsinn. Bin jeden Tag mindestens einmal ohne Orientierung, Bedeutung, Zugehörigkeit und Zusammenhalt. Ich räume viel in Haus und Garten herum.  „Religiosität, Spiritualität, soziales Engagement, Verbundenheit zur Natur, Selbsterkenntnis, Gesundheit, Herausforderung, Individualismus, Macht, Entwicklung, Leistung, Freiheit, Wissen, Kreativität, Tradition, Bodenständigkeit, Moral, Vernunft, Gemeinschaft, Spaß, Liebe, Wellness, Fürsorge, bewusstes Erleben, Harmonie; Liebe in die Zukunft tragen“
ihr könnt mich alle einmal gernhaben!

5
Mein Armreifen ist kurz davor in zwei Teile zu brechen.

6
Ich versage bei Belastung.