Autormartha

Geheimnislos


1
Er gibt mir einen guten Rat:
Wir Männer brauchen Frauen, die uns auf die Füße treten und Dampf machen.

Sie sagt:
Ich habe die Männer nie richtig verstanden, aber ich hatte sie gerne an meiner Seite.

Eine Freundin sagt:
Ich möchte verschwinden.

Eine andere sagt viel zu viel.

Eine dritte zeigt mir ein Video von ihrem Enkelsohn, aufgenommen in der 24. Schwangerschaftswoche. Das Kind sieht aus wie ein Greis.

2
Am Krankenbett:
Der eine besucht ihn, weil er etwas von ihm braucht.
Der andere kommt, weil er ihn mag.
Der dritte kommt, weil er sich selbst mag.

3
Der Mensch ist geheimnislos.

Zumutungen

1
Ich unterhalte mich sehr gerne mit unseren Kindern! Zum Beispiel darüber, welche Musik sie gerne hören oder warum man heutzutage noch Kinder bekommen sollte.
2
Ich kenne einen Künstler, er ist derart verletzlich, dass er sich jeder Form von Kritik entzieht,  weil ihn Kritik nicht nur verletzt, sondern vernichtet. Deshalb geht er mit seinen Werken nicht an die Öffentlichkeit, er zeigt sie niemandem außer seiner Frau. Ich halte ihn für einen beseelten, begnadeten Künstler mit vielen Kunstwerken, die niemand sehen darf. Ich denke gerne an ihn und an seine mir unbekannten Arbeiten.
3
Kann man ein Luftschloss zerstören, das man sich in der Vergangenheit gebaut hat?
4
Dass junge Menschen von ihren Eltern über alle Maßen behütet werden, dass sie dann beim ersten Menschen, der ihnen einen Wunsch nicht erfüllt, zum Beispiel die Liebe nicht erwidert, in einen derart großen Kummer verfallen, dass sie in der Psychiatrie landen oder im schlimmsten Fall sogar unter einem fahrenden Zug, das fällt auf.
5
Veranstalterin: „Martha, vertrittst du die Hohe Geistlichkeit?“
Ich: „????“
6
Wie soll das denn gelingen? Wertschätzung des immer größer werdenden Angewiesenseins?
7
Weglassen. Loslassen. Zulassen. Einlassen.
Es stimmt.
8
Ich höre, dass die junge Frau ihr Kind abtreiben lässt. Es wurde das Downsyndrom diagnostiziert. Sie macht sich die Entscheidung nicht leicht. Ich versuche, sie zu stützen. Eigentlich versuche ich, ihr familiäres Umfeld zu stützen. Der Zufall will es so, dass ich gerade heute beim Mittagessen einem Mann gegenübersitze, der mit dieser Krankheit (?) lebt.
9
Weint mein Kollege manchmal?
10
Die rote Gartenbank bricht unter uns zusammen. Der Nachbar geht mir gut zu. Meine Mutter geht mir nicht gut zu. Aber alles ist, wie es ist. Ich bemühe mich, wertfrei zu bleiben. Die Muse küsst mich nicht. Was soll ich sagen, ich falle dann in ein Loch. Und meine Tochter sagt, in jedem Loch ist es scheiße. Es gibt kein gutes Loch.
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Nüsse vergolden hilft heute nicht.
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Ich messe mit zweierlei Maß. Und diese Frechheit erlaube ich mir voll und ganz.
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Was ist los mit mir? Einmal am Tag weinen? Was alles ist mir zu viel? Ich fühle mich hin und hergeschubbst.
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Er findet Bologna sehr schön – ist das die schönste Stadt Italiens?
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Sie möchte über Sex reden. Sie möchte nicht über Sex reden. Sie möchte Sex haben.

Programm

31. Mai 2024, 18 Uhr, Zehentkeller, 2224 Niedersulz
Martha Plößnig:
Text, Ton
Tibor Kulcsar:
Bild, Foto

Begrüßung: tanzboden
Eröffnung: Ulrike Winkler-Hermaden
Musik: Heinz Stadlbacher, Benedikt Plößnig
kulinarische Betreuung: tanzboden

Die Objekte sind zusätzlich zu sehen am 1. Juni zwischen 15 und 17.30 Uhr:

Immer am ersten Mittwoch im Monat ist der Eintritt frei,
auch wenn dieser auf einen Feiertag fällt 😉 !

Spinne


1
Ein ganzer Freitag, der nur mir und meinen Ideen gehört. Und wie lautet der erste Gedanke in der Früh? „Soll ich einen Tisch im Stundenhotel reservieren oder selbst ein Fünf-Gänge-Menü kochen?“ Ich habe Lust darauf, unprätentiös und fein, geschmacklich komplex und perfekt aufeinander abgestimmtes Essen zu mir zu nehmen und mit allen Sinnen in einer zeremoniellen Langsamkeit zu genießen.
2
Plötzlich sitze ich im Dorfkaffee und wohne einer seichten Theateraufführung bei. Es kommt mir vor, als müsste ich jeden Sonntag bei meiner Schwiegermutter zu Mittag essen (was nie der Fall war!) In diesem Zusammenhang lerne ich, dass unser Gehirn offenbar keine Überraschungen mag. Stimmt das? Und wenn es gute sind?
3
Ich trinke mit meiner Tochter einen hervorragenden Welschriesling aus dem Südburgenland. Ich unterhalte mich mit ihr über die Grenzen des Dorflebens, über ihre Zukunft an der Uni und darüber, dass sie ihre Wohnung in Wien neu einrichten will. Die Leute rund um uns meinen: „Monogamie, das klingt so verführerisch!“
4
In den öffentlichen Verkehrsmitteln ist es laut. Man setzt sich in die U-Bahn, um mit der Familie in einem fernen Land zu chatten. Oder um Videos zu schauen (ohne Kopfhörer). Oder alles auf einmal.
5
Das Café am Heumarkt bleibt unverändert außergewöhnlich. Ruhig. Verschroben. Wir essen zusammen ein Menü. Nudelsuppe und einen Schweinsbraten mit Knödeln, Sauerkraut. Und einen Schnaps, den trinken wir dazu.Es ist still im Raum. Nur eine große Säule, ein Nistplatz aus Heu unter den Heizkörpern für die Mäuse und ein paar Gäste, die sich ruhig verhalten, und immer wieder zum Rauchen vor die Tür gehen.
6
Trennen oder zusammenbleiben? Diese Frage stellt sich oft. Und es ist das Einzige, worüber wir reden wollen, wenn es nichts mehr gibt, was noch vor uns liegt. Vielleicht sind wir nur auf der Welt, um die Menschen zu lieben, die wir kennen, um uns um sie zu kümmern, und selbst dann noch zu lieben und uns um sie zu sorgen, wenn es Wichtigeres zu tun gäbe.
7
Wir machen vieles deshalb, weil wir es können.
8
Ich lasse mich von seinem wachen Geist ein bisschen hin- und herschubsen. Zwei Gläser Prosecco, ein gefülltes Salzstangerl und die Nusskekse meiner Freundin sind unsere Nahrung, um abzunehmen. Wir sitzen in einem Raum mit dunkler Tapete und Fotografien mit grünen Motiven an den Wänden. Die Fenster sind weiß und der Ausblick auf den Stephansdom ist einzigartig.
9
Es ist da ein Innenraum, ausgespannt mit jenen Fäden, die meine sind, die mein Hirngespinst sind, meine Gedankenfäden, mein Spinnennetz. Der Boden unter meinen Füßen wird fester, wenn ich diesen Raum manchmal aufräume, ausräume, nur mit jenen Gespinsten bestücke, die mir gefallen. Mein kurzes, kostbares Leben erkennend, selbstvoll … der Raum einer Liebenden.
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Weiterspinnen
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Faulenzen macht nur Sinn, wenn man ausgeschlafen ist.

Erzähl mir eine Geschichte! Eine wahre oder eine erfundene?


Diese Kiste ist ein Aufbewahrungsort für die Bilder und Fotos von Tibor Kulcsar und für meine Gedichte.

Sie beherbergt zusätzlich Fragmente, die in den Texten keinen Platz gefunden haben, Erweiterungen eines nicht zu Ende gedachten Gedankens und haptische Ergänzungen.

Sie ist eine zerbrechliche Hülle für gefundene Zaubersprüche, für kostbare Kleinigkeiten, unverfügbar und genau wie für mich geschaffen.

In ihr verbirgt sich eine leise Antwort auf das Weltverstummen.

In ihr klingen Melodien nach, opulente Fülle vergangener Jahreszeiten und Worte, die jederzeit wieder verschwinden können, Habseligkeiten eben.

Und rundherum: ein Keller, ein Haus, ein Garten, ein Horizont; ein Kokon wie ein geborgener Raum für Abenteuer. Ich kann mich getrost zurücklehnen und entspannen.

 

Mestre


1
Zum Auftakt im RJ, der uns nach Venecia St. Lucia bringt, verschütte ich einen Cappucinotogo. Einen großen. Er ergießt sich über das halbe Zugabteil. Trotzdem fährt der Zug durch Lieblingslandschaften. Meine Stimmung wird mit jedem Kilometer heiterer. Ich sehe die ersten Palmen.
2
Mestre empfängt uns mit aufgeblasenen Lippen, einem opulenten Markt, dem Geruch von Fisch und Huhn und dem Uhrturm.
Mittwoch und Freitag: Markt in Mestre. Was für eine harte Arbeit! Zweimal die Woche diese ganze Zelt- und Tischlandschaft aufzubauen! Und dann natürlich noch die Waren heranschaffen und für das Auge schön drapieren. Der Verkauf beginnt erst gegen 9 Uhr. Vorher sind alle mit Vorbereitungen beschäftigt. Wir kaufen uns einen großen Topf. Darin hat ein ganzes Hühnervolk auf einmal Platz. Karden, lila Karfiol, eine mir unbekannte Art von Herbstspargel, Mini-Zucchini und Mini-Melanzani. Spinat in allen erdenklichen Formen.
3
Heute ist Sonntag. Heute kommen sie aus ihren Wohnungen, die Hunde und ihre Herrchen und Frauchen, nebenan auf die Piazza del Ferretto. Der Grundton auf der Piazza: der Brunnen plätschert. Ja, das Flanieren auf den Piazze hat Tradition. Alle sind herausgeputzt und sind fein gekleidet. Egal welchen Alters. Mindestens ein Jackett und mindestens eine tolle Frisur. Und Brillen, Brillen, Brillen. Heuer sind hohe, schwarze Stiefel modern, die trotz der spätsommerlich warmen Temperaturen getragen werden.

Ich setze mich in die Bar Antico Stendardo. Ich beobachte einen Mann, der sich – vermutlich mit seiner Mutter – unter einen Sonnenschirm der Bar setzt, um ein paar wenige Worte zu wechseln und zu schauen. Die Einheimischen tun das mit einer unverwechselbaren Aufmerksamkeit, einer extravaganten Mischung aus Neugier, Interesse und Gelassenheit. Das kriegen wir TouristInnen nicht hin. Höchstens die Italiener. Es tut mir gut, von der Kellnerin als Seniora angesprochen zu werden. Aus dem Zelt der Zivilschutzinformation, das mitten am Platz Stellung bezogen hat, wehen Seifenblasen her.

Ein Protestzug der moldauischen Minderheit zieht singend an mir vorbei. Ein Mann hat sich Pappkartons mit Protestparolen vor und hinter den Oberkörper gehängt. Soweit ich das übersetzen kann, ist er gegen so ziemlich alles. Er steht ruhig da. Er irritiert nur mich. Alle anderen scheinen ihn zu kennen.
4
Das Hotel Venezia lebt von Spiegeltäuschungen
(- der Frühstücksraum ist mit Spiegelwänden ausgekleidet. Wahrscheinlich ist der Raum ein dunkles Loch – mit Hilfe von Spiegeln, Lichtern und Scheinarchitektur wird er zu einem hellen Raum. Der Schein kann trügen!)
und sehr zuvorkommendem Personal. Vor allem die Herren an der Rezeption machen ihrem Namen alle Ehre. Elegant zurückhaltend, freundlich kühl und verständnisvoll bei Anfragen aller Art. Die vorauseilende Antwort auf eine (noch) nicht gestellte Frage: „So kommen Sie am besten nach Venedig!“
Mit einem Ticket um 65 Euro kann man sich hier frei mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bewegen. Am besten richte ich mein Büro auf einem Vaporetto ein. Diese Wasserbusse fahren sehr rustikal und wild durch die Gegend. Ich staune, man muss sehr gut auf den Beinen stehen, um da mithalten zu können und nicht zu wackeln oder umzufallen.
5
Das Bier wird hier natürlich auch schon wie Wein serviert. Die Flaschen sind klein und extrem aufgemotzt, aber auf schön. Heute habe ich die ersten Maroni auf dem Ofen gesehen. Schwertfisch mit Avocado und Kürbissülzchen. Meeresfrüchte. Risotto. Prosecco.
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Das M9 erinnert mich sehr an das Kunsthaus Graz. Es ist mitten hinein in die Stadt gebaut – gut gebaut – neu in schöner Umgebung. Der Raum ist auch innen passabel. Die Ausstellung ist multimedial und für mein Hirn zu verwirrend. Der Künstler Emilo Vedova macht nur „alten“ Trash.
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Es ist die perfekte Lösung, in Mestre zu wohnen. Venedig hält auf Dauer ja kein Mensch aus. Die ganze Welt trifft sich hier. Die ganze Welt ist auf Reisen. Ganz klar.
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Der Wein, den wir am Abend in einer Osteria trinken, kommt vom Weinbau ORTO auf St. Erasmo. Ein extraktreicher, würziger Malvasier. Dunkelgelb. Vom Salzwasser, in dem die Rebe wächst, schmecke ich nichts – man erwartet ja, dass er salzig anmutet, er schmeckt. Einige dieser Weingärten sehen wir auf unserer Kajaktour – von Burano aus – auf der Insel Mazzorbo. Torzello … auch eine Insel. Auf ihr könnten wir über die älteste Brücke Venedigs gehen. Wir sehen Flamingos. Wie gut, dass mein Reisegefährte sie nicht mit dem Fotoapparat erwischt. So bleiben sie uns in dem Moment in Erinnerung, als sie alle zusammen – es sind wohl an die 35 weiß-rosa Vögel, die da auffliegen und in geordneter Formation Richtung Nordosten ziehen. Zwei Kormorane schließen sich an. Was für ein Glück, das alles zu sehen. Der Touristenstrom auf Burano und Torzello ist abstoßend unerschöpflich. Auf Torzello leben 8 Personen. Wahrscheinlich sind es 500 bis 1000 Menschen, die täglich auf die Insel kommen. Geld stinkt nicht.
9
Ich trage heute schwere Schultern. Das kommt daher, dass ich bei der Kajaktour die Paddel nicht mit Armen im rechten Winkel zur Paddelstange gehalten habe. Die Übung war also nicht kraftsparend – aber vielleicht trotzdem gut für meinen Körper. Ich liebe es, den ganzen Tag draußen zu sein.
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Die Fliegen sind ganz schön frech.
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Bis zum Lido ist es nicht weit. Es lockt die Sonne, das Glitzern auf der salzigen und klaren Adria dorthin. Beim Mittagessen in einer kleinen Osteria am Kanal servieren sie uns die besten Tagliatelli des Jahres. Das ist sicher, obwohl, das Jahr ist noch nicht zu Ende ist. Nebenan wird ein Film gedreht. In St. Nikolaus feiern wir eine kleine Andacht. Diese Kirche werde ich auch bei meinen nächsten Besuchen wieder finden. Der Garten davor – ein kleines Paradies. Die Atmosphäre in der Kirche: still und ewig. Das zweite Mal in Venedig ist schon leichter zu ertragen.
Peggy Guggenheim macht mich grantig. Schöne Kunst in öffentlichen Räumen zu sehen, das liebe ich. Bei privaten Räumen allerdings hört sich der Spaß für mich auf. Im Essel Museum, im Liaunig Museum und hier… diese privaten Stiftungen können mich mal.
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Wo heute die letzte Gondelwerft Venedigs steht, befand sich früher der Platz der öffentlichen Denunziation (Dorso Duro/harter Knochen/Orso duro). Zeit für einen Aperol Spritz.
Letzte Vaporetto-Fahrt auf dem Canale Grande. Ein Besuch bei Tizian. Mariä Himmelfahrt. Mariä Himmelfahrt. Madonna von Pesaro. Vera und Igor Stranwinsky in San Michele begraben.
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Schnitt.
Eine Freundin wird am Darm operiert. Ihr Leben hängt am seidenen Faden. Wie soll ich das in Verbindung bringen mit dem schönen Leben, das ich hier in Mestre genieße?
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Wieder im Zug zurück nach Wien. Es zeigt sich eine breite Palette an Mitreisenden: Angesoffene. Eine extrovertierte Mutter, die uns zuhören lässt, was sie über die steuerliche Absetzbarkeit von Babysitting durch Verwandte zweiten Grades zu sagen hat. Ein Lehrer, der hier sein Büro aufschlägt und ohne Scheu 2 Stunden lang einen Online-Sprachkurs abhält. So benimmt sich ein richtiger Trottel. Das ist ein Wort, das ich sonst nicht benutze. Mir fällt kein besseres ein. Ich bin überhaupt nicht cool.
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Alles in allem – Isabella Guanzini fällt mir ein. Ihr Pamphlet für die Zärtlichkeit.
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Wir können vieles. Zum Beispiel nahtlos wechseln zwischen intimer Nähe und meilenweiter Entfernung. Wehmut ist nicht das Gebot der Stunde, sie drängt sich allerdings auf. Was sonst. Ein ausführliches Gespräch gegen die Melancholie. Trüffel-Salami-Brötchen und Sauvignon.
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Ein Gedicht auf meinem Körper zu tragen, steht mir gut.
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Die nächste Reise dahin wird im Winter sein, wenn sich der Nebel wie ein beruhigender Schleier über die Landschaft, über die Stadt legt. Ich habe gehört, dass Venedig im Winter seinen besonderen Charakter offenbart.
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Mich nicht aufsparen.
Das Schöne nicht aufsparen.

Grado

1
In Ljubljana regnet es die meiste Zeit. Das hebt meine Stimmung. In einem sehr kleinen Strumpfladen finde ich farbenfrohe Socken und Strümpfe und für meine Tochter einen altmodischen Schlafanzug.
2
Grado ist ein sehenswertes Städtchen. Etwas kühler und rauer als Mestre, weniger Brillen, weniger schöne Kleider, dafür ein wilderes Meer und genauso viele Touristen. Alles ist auf diese Gäste ausgerichtet. Der Kellner trägt eine Brille wie ein Venezianer. Alle anderen nicht. Auffallend viele Sportler tummeln sich und laufen in Funktionskleidung hin und her. Die Altstadt und die Seite zum Meer hin sind für das Auge sehr ansprechend. Ich bilde mir ein, das nahe Karstgebirge und die anstrengende Lebensweise in der Landwirtschaft oder am Meer deutlich zu spüren.
3
Ich nutze die Morgenstunde, sitze auf dem Balkon unseres Zimmers und hör die Adria rauschen. Die Sonne geht auf, die Wolken färben sich rot.
4
Vier Männer sitzen auf den Gastgartenstühlen vor der Bar und trinken schon um 9 Uhr morgens je zwei Achtel Weißwein zum Frühstück. An zwei weiteren Tischen steht ein Espresso und – wie mir scheint – ein Glas Wasser. Im Laufe der Stunde, in der ich mich vom Aufstehen erhole, erfahre ich, es wird hier Grappa zum Espresso serviert, nicht Wasser. Das bestelle ich mir jetzt auch. Ist ja schon 10 Uhr.
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2000 Jahre alte  Mosaike und Aquileia in Sicht.
6
Im Supermarkt klopft mir die Verkäuferin auf die Finger, weil ich zu nah auf die von mir gewünschten Oliven zeige. Nachdem sie mir ein kleines Plastikgefäß mit dem gewünschten Gut aushändigt, ist uns beiden nicht wohl zumute und wir verabschieden uns knapp mit Grazie und Prego.
7
Mein Mann sagt, das ganze Leben ist eine Baustelle. Bis zum Tod.
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Ich werde älter. Es entstehen Zonen der Gelassenheit; ich finde Gelassenheit. Die liegt neuerdings da einfach so herum.
9
Aqua Alta und ich ziehe mich zurück
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Maribor, dieses kleine slowenische Städtchen, liegt an der Drau. Die Drau fließt breit dahin und seit neuestem führt eine dezente Fußgängerinnenbrücke über den Fluss. Wenn man auf ihr steht oder geht, glaubt man, auf einem Holzboot zu sein. Das ist eine überraschende Sinnestäuschung.

Wolkersdorf

1
Wir finden am Bahnhof ein schönes Steinwaschbecken. Unscheinbar versteckt hinterm Fahrradparkplatz. Ein paar Pflanzen haben sich im Becken angesiedelt und obwohl der Wasserhahn abmontiert ist, können wir es uns gut vorstellen, wie das Wasser hier alles noch weicher macht. Am Bahnhofskiosk kaufen wir Whisky und stellen die Whiskygläser auf diese Steinbar. Die Sonne scheint auf uns. Sie macht uns froh, einander etwas zu schenken. Einsamkeit zum Beispiel.
2
Einstimmung ist nötig.
Vor fast jedem Gespräch.
3
Muss ich wissen, dass es die Spiegelneutronen sind, die mich empathiefähig machen?
4
Frank Drake entdeckte die Drake-Gleichung. Er berechnete 7 Unbekannte. Die Gleichung untersucht, auf wie vielen Planeten in unserer Galaxie Zivilisation möglich ist. Auf einigen, lautet das Ergebnis.
5
Es flog mir einfach zu, ein Bild des Tages, für das ich dankbar war. Es fiel mir nie schwer, an etwas Schönes zu denken, das ich gesehen oder gehört hatte. Die Worte flogen mir zu, weil mein einziges Ziel war, das Bild klar und schlicht aufzuschreiben, damit ich mich später daran erinnern konnte, wie es sich angefühlt hatte.

Györ

 


1
Wie wäre das, eine Beziehung ohne eine vorgegebene Form zu gestalten? Einfach nur das Wasser auszugießen und fließen zu lassen. Ich vermute, es würde keine Form annehmen und in alle Richtungen laufen. Es gäbe keinen offensichtlichen Weg, den man kennt und dem man vertrauensvoll folgen könnte. Es gäbe nur einen Weg, den man voller Neugierde und Entdeckerlust tastend sucht.
2
Der Auftrag, nach Deinem Tod in „Deine“ Stadt zu fahren, um zu schreiben, der macht mich zutiefst traurig.
3
Wovon kann ich mich befreien, um das zu genießen, was bleibt?

Geschichtenerzähler



1
Ich liebe die Zeit zwischen den Jahren

2
Wir brauchen mehr utopische Erzählungen, sagen Ilija Trojanow und meine Freundin.
Sind wir für dieses lebendige, chaotische, intuitive Wissen begabt, frage ich mich? Sind wir nicht besser darin, analytische Distanz zu gehen und unser Wissen in unendlich viele Teile zu zerlegen?

3
Meine Geschichte ist eine komplizierte.

4
Sie gibt ihre Rolle als „älteste Schwester“ auf und pflanzt einen Feigenbaum an der Grundstücksgrenze zu einer ihrer jüngeren Schwestern.

5
Jemandem etwas zu erzählen, mündlich weiterzugeben, das ist eine Form von lebendiger Tätigkeit. Ein Kollege erzählt mir, dass er sich manchmal neben ein Krankenbett setzt und still ist. Weil er sonst gar nichts mehr tun kann. Einmal wurde er dabei von einer Frau vom Nachbarbett beobachtet und darauf angesprochen. Er solle doch auch für sie still sein. Aber laut! Sonst wirkt es nicht!

6
Ein Künstler redet im Radio über das Warten im Krankenhaus. Dass dieses Warten etwas sehr, sehr Antikapitalistisches hat.

7
Im Angesicht von Liebe und Tod beginnen wir Geschichten zu erzählen. Alles andere greift nicht.

8
Ich rechtfertige es nicht, es ist ein großes Spiel der Zuneigung. Es ist schön, was ich mit diesem Spiel treibe. Schönheit braucht sich nicht zu rechtfertigen. Die tiefsten Lebenswahrheiten werden erzählt, gespielt, gesungen, gemalt oder erahnt.

9
Wird man in einem Gespräch andere Akzente setzen, wenn man die Grenze zwischen Trauer und Trauma erkennt? Wird man anders aufmerksam sein? Und wie fügt sich der Traum dazu? Wird man über Geschichten miteinander reden?

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Mein Schwager stürzt neun Meter tief von einer Kletterwand und seine Frau kommt aus dem Schock nicht heraus.

11
Normalerweise erlebe ich in öffentlichen Verkehrsmitteln immer wieder, dass die Leute sehr wenig Respekt voreinander haben. Eine Frau, die über beide Ohren grinst, ist in der U6 eine sehr seltene Erscheinung. Ich kann meine Augen gar nicht von ihr lassen, weil das so schön aussieht. Sie bemerkt es und grinst weiter.

12
Wie zuverlässig der Wind in Wien weht!

13
Von Dir wird gesagt, du liebst ohne Ende.

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Die Menschheit ist verrückt aufeinander. Worüber soll man schreiben, wenn nicht über Sex und Freundschaft? Dafür sind wir auf der Welt.