Richtung Alm

0
Gehen, ging, gegangen.

VORHER

25.Juli
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Auf der Autobahn ist genug los. Für einen Freitag wohl normal. Obwohl wir nur nach Kärnten fahren, spüre ich seit gestern Abend Reisefieber.

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Unbedingt erledigen steht auf meinem gedanklichen Merkzettel: Liebstöckl trocknen, Schwammerl in Salzlake einlegen, Pilze trocknen, Bauernbutter und Topfen besorgen, Speck für Peter organisieren,
Lasagne kochen, überhaupt sehr gut kochen, eine Wanderhose kaufen, Kontakt zu den Naturfreunden aufnehmen, Rezeptideen für SuppenTee’s und Shots besprechen.

3
Eine Marterlsegnung steht am ersten Wochenende im Mittelpunkt. Ich freue mich auf inspirierende Gespräche im Mölltal. Und auf die Ruhe zum Nachdenken.

4
Ich nehme Aufforderungen mit, die lauten wie:
Blühe auf in deinem Element.
Pflege deinen Körper mit allem, was du finden kannst.
Sei eine Vielgeherin.
Schau in den Wald.
Schau in die Sterne.
Schlaf dich aus.
Schreibe Briefe nur mit der Hand.
Plaudere mit deiner Tochter und deiner Mutter.

5
Es ist ein großes Glück, mit Tochter und Mutter Urlaub machen zu dürfen. Anna selbdritt. Wir hängen eine Lichterkette im Alm-Schlafzimmer auf. Dann sieht das schon sehr nach Heiligenschrein aus!

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Er gibt mir einen Brief mit. „Diesmal bleib ich da und freue mich übers wundersame Leben. Du lässt einen glücklichen Menschen zurück.“

GESTERN

26. Juli

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Der Mann ist schon an der Möll, um Weihwasser für die Marterlsegnung zu holen. Ich beobachte, er fühlt sich wohl hier im Tal.

27. Juli

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Die Mutter erschrickt angesichts des eigenen Mutes, wieder ein grosses Fest zu feiern. Die Gürtelrose schmerzt und die Kraft lässt nach. Trotzdem tun wir es. Ein Fest am Annatag feiern. Und uns einander zeigen: Der Cousin erzählt vom letzten Schlachttag, er ist Metzger, die Cousine hat mittlerweile vier Enkelsöhne. Der Onkel trinkt nur mehr Wasser – no alkohol! – und die Tante muss nach einer Stunde Fest schon wieder heim zum Hund. Die nächste Cousine hat ein herzliches Lachen und die andere trägt zu Hause täglich Schmuck, obwohl sie schon in Pension ist. Ein Cousin ist frisch und wild verliebt in eine schöne, vom Leben gezeichnete Frau. Der Mann hört sich gerne reden, die Schwiegertochter macht überall mit, der Sohn lässt sich nicht zu Feierlaune überreden und hält einen Kurzvortrag über Männer, die sich zu sehr von ihren Frauen beeinflussen lassen und von ihnen abhängig werden.
Die Nachbarin bringt 20 Liter Bowle. Die andere Nachbarin stellt mir ihr Herzpinki vor, das mit ADHS leben muss, nicht dem Mainstream entspricht und ihr Leben als große Party sieht. Der Nachbar hat vor ein paar Tagen zwei Kilometer Weg in den Berg sprengen lassen und der Marterlbauer kaut mir gefühlte hundert Mal seine Lebensgeschichte durch. Der eine Hausfreund erzählt, dass seine wichtigste Morgenübung darin besteht, sich den Gedanken zurechtzurichten, dass der Tag gut wird, und der andere Hausfreund ist unendlich müde. Die Schwester ist bissig, weil es nicht leicht ist, so vielen Geschwistern (Ansprüchen) gerecht zu werden. Die zweite Schwester ist ausgebrannt. Die dritte Schwester ist guter Dinge und sieht sich nicht als Chamäleon (ein Vorwurf, der sie schmerzt). Die Schwägerin und der Bruder funktionieren, sie haben viel zu tun. Das macht rastlos. Der eine Schwager hat Angst, der andere ist lustig und nimmt jede Menge Psychopharmaka. Die Nichte geht seit neuestem in Psychotherapie und die Verhältnisse passen nicht immer. Die andere Nichte sucht eine neue Wohnung, der Neffe punktet mit einem Vortrag über ChatGPT. Der andere Neffe lässt seine neue Drohne fliegen. Eine weitere Nichte ist im Ausland zur Familientherpeutin mutiert, und der Neffe kommt nicht, weil er sich dieser Festgesellschaft nicht ausliefern will. Wer ist für wen Ehemannersatz?  Diese Frage wird nicht offen besprochen. Man möge sich doch nicht so viele Sorgen machen! Ich denke mir: Schon sehr viel Familie und meine Harmoniesucht ist in dieser Gesellschaft ein Drahtseilakt. Mam steht über all dem, so scheint es.

HEUTE

28. JULI
9
Mein Leben besteht aus Zuhören, Gehen und einen Haushalt führen. Das ist hier auf der Alm nicht anders. Ich möchte mich diesbezüglich auch nicht neu definieren, wohin auch.Und darüber hinaus: Morgenübungen in der aufgehenden Sonne. Einer Grille beim Zirpen zuhören. Baden im Trog. Schlafen unter Sternen. Schreiben.

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Hinter mir geht es jeden Tag ins Holz. Die heulende Motorsäge, das laute Knacksen der Äste, wenn der Stamm fällt. Nervensäge kommt sicher von Motorsäge.

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Die Kuhglocken.

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Mein Büro ist im großen Almgarten auf einer breiten Holzbank unter einem kleinen Holzdach angesiedelt; den Laptop offenstehen lassen und im Laufe des Tages immer wieder am Tagebuch weiterschreiben.

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Die Sprache hier kann sehr grob sein.

29.Juli

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Die Cousine stellt uns Zirbenschnaps auf den Tisch in der Hütte und heißt uns so willkommen.
Auf der Schaukel sitzend, fällt mir die Almsonne in den Nacken. Wir sagen es nicht laut, wie schön es hier ist. Das würde zu viele Menschen anlocken. Lesen ist nicht möglich. Ins Grün starren. Sonst nichts. Die Schaukel nimmt uns alle auf. Neben dem neu aufgesetzten Herd in der Küche, bildet sie das Herzstück dieser Almdestination. Alles eingebettet in einen saftig grünen Körper. Man freut sich aufs Kochen und Essen. Was geht in mir vor? Ich liebe es, in die Gegend zu schauen, ich hege keine großen Gedanken, der Wiesenpipau wiegt sich im Wind.

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Die Nacht ist still. Die Tochter sieht eine Sternschnuppe. Ich schlafe draußen auf der Schaukel, das Sternenzelt über mir, ein Wunder. Der nächste Laurentiusregen wird rund um den 12. August erwartet. Beim Einschlafen sagt mir der Gedanke an warme Kuhmilch gute Nacht.

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Ich höre einen Hirsch röhren. Zeitig in der Früh geben Buchfink und Tannenmeise Laute von sich. Von Singen kann da nicht die Rede sein. Weckrufe sind das. Ein Hase macht sich über das Heu her, das vor der Hütte lagert. Am Nachmittag sitze ich wieder auf der Schaukel und bin noch etwas übernächtig. Unter freiem Himmel zu schlafen ist ganz anders als im Bett, viel aufregender, weil der Wind mit dir im Bett liegt.

30. Juli

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Ich betrachte mein Gegenüber: die Winklerner Alm, das Petzeck, den Friedrichskopf, den Großkopf, den Ochsenkopf und den Georgskopf. Und über mir Wetter und Wolkenfetzen. Richte ich den Blick nach links, die Lienzer Dolomiten im Regenschauer; blicke ich nach rechts: Apriach und die Hohen Tauern in der Abendsonne.

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Mutter behauptet, sie wird ein ähnliches grantiges Weiberl wie ihre Großmutter.

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Er sieht die Verhältnisse auf einen Blick sehr deutlich, er hat eine Begabung, soziale und zwischenmenschliche Bezüge zu erkennen. Nur mit sich selbst ist er manchmal auch aufgeschmissen.

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Schicksals- oder Zweckgemeinschaften, Frauen und Männer verstehen einander auf vielen Ebenen nicht. Sie sind darauf ausgerichtet, Kinder zu zeugen. Sonst nichts. Je planmäßiger der Mensch vorgeht, desto wirksamer vermag ihn der Zufall zu treffen.

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Ich bin beeindruckt von der handwerklichen Kraft und Geschicklichkeit der Almbesitzer. Ich entdecke einen Kühlraum, ein tiefes Loch in den Berg gegraben, mit einer dicken Steinmauer ausgekleidet. Das Almgartl mit den wichtigsten Kräutern, Liebstöckl, Schnittlauch, Kärntner Minze, Quendel, Almapfer. Permakulturelemente in den Lebensraum zu integrieren, das muss doch nicht mit rechtem Gedankengut einhergehen!

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Der Himmel ist klar, die Dolomiten sind frei, ich befrage meine Mutter nach ihren Urgroßeltern. Ich mag ihre Stimme, sie ist relativ hoch, die Stimme der Tochter ist sehr tief.

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Fällt es mir schwer, gelassen und freundlich zu bleiben? Nö. Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren.

31. Juli

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Wir legen Pilze ein. Einmal in Öl, einmal in Salzlake. Wir trocknen Pilze. Ich suche Holzfindlinge. Die Pizza auf der großen gusseisernen Platte beeindruckt mich.

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Das Gespräch mit den jugendlichen Verwandten am Abend vor der Hütte ist erheiternd. Wir reden viel übers Gehen und versinken ein wenig darin. Eine Großcousine lässt sich zur Bergretterin ausbilden. Ihre Erzählung klingt sehnsuchtsvoll.

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Ich schlafe sehr gut. Hab auch nicht von Pilzen geträumt.

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Ich bin aus dem Bild gefallen. Ich bitte Mam, mir eine Gretelfrisur zu machen. Wer fehlt?

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Wir müssen hier gar nichts. Und mein gutes Gewissen ist grenzenlos. Es sind sehr starke Pflichten, die ich spüre wenn ich im Alltag bin. Habe ich einen dazugehörigen Ruf? Ob ich den Tag gut überstehe, hängt davon ab, ob ich heute wieder in die Holzbadewanne gehe. Ich koche noch eine entzückende Suppe.

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Nach sechs Tagen Alm videotelefoniere ich wiede einmal. Du siehst glücklich aus. Du trägst eine Lockenpracht auf dem Kopf. Das kommt von den Zöpfen, die dir deine Frau macht.

1. August

30
Mutter weckt uns ungestüm um acht. Kaffeetrinken mit Blick ins Tal. Haare waschen im Trog. Haare kämmen und flechten lassen. Kurze Wanderung machen. Schwägerin und Bruder kommen mit gutem Grillzeugs zu Besuch. Ich bin nur für das Feuer zuständig. Die Tochter für den Almsalat mit Erdbeeren, Himbeeren, Klee, Quendel, Schafgarbe und Frauenmantel. Die Stimmung ist hervorragend und leicht. Man denkt frei, wenn man aufs Tal runterschauen kann. Wir schicken eine Grußbotschaft an ein Geburtstagskind und singen dafür die Mölltalleitn ins Netz.

31
Wir gehen heute den je eigenen Dingen nach. Die Tochter britschelt eine Stunde lang im Trog und ich schlafe und lese im rhythmischen Wechsel. Unser Leben spielt sich fast ausschließlich draußen ab. Ohne Radio. Ohne Zeitung. Die Nachrichten aus der Welt vermisse ich nicht.

32
Es riecht so gut hier! Aber die Vögelein sind derer nicht zu viel. Gibt es zu wenig Insekten? Kann sein. Der Wald ist komplett ausgedünnt. Der Borkenkäfer und der Fichtennadelrost, eine Pilzkrankheit, die mit dem Almrausch zusammenhängt, machen ihm zu schaffen.

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Die Natur zaubert uns am Nachmittag Regen und ein Nebeltheater sondergleichen. Wir schauen fasziniert zu, wie sich große Nebelwürmer, Krokodile und Gespenster durchs Tal wälzen oder sich über unseren Köpfen zusammenbrauen. Die Luft ist wie ein erfrischendes Dampfbad. Ich wähne mich in einem dystopischen Film. Schön gruselig.

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Nach dem Aufwachen finde ich es schade, dass der Traum nicht wahr ist. Im Traum hat sich ein eleganter  Pirol gezeigt. Unser Unbewusstes arbeitet ganz nah an der Realität und findet Wendungen, an die wir sonst gar nicht denken. Soll ich meinen Dialekt mehr pflegen? Am Telefon hat er scherzhaft erwähnt, dass ich in diesen Tagen auch mit ihm dialektle.

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Meine zweistündige Wanderung Richtung Haselwand erdet mich. Der Nebel aber ist so fett, dass ich den grünen Weg nicht sehe.

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Und endlich koche ich mir Topfennockerl mit Restl-Latwerge und Birnenmehl. Die Tochter kocht Supersuppe. Wir leben im Luxus.

2. August
37
Die Sonne ist um 10 Uhr voll da. Gut!

38
Die Tochter erinnert mich an die Geschichte von meinem Onkel, dass er, weil ihm die vielen Alpe-Adria-Trailer zu viel wurden, die Orientierungsschilder einfach umgedreht hat, dass sie in die falsche Richtungen zeigten und die Wanderer desorientierten. Ob es ihm geholfen hat? Jedenfalls sind heute genug Wanderer unterwegs. Gehen an der Hütte vorbei, grüßen, finden, dass es bei uns gemütlich aussieht.

39
Eine Mutter-Tochter-Wanderung ist angesagt. Mangels Autos und unserer Vorsicht, um den Holzfällern nicht in die Quere zu kommen, bleibt nur der Weg übers Marterl zum Ebeneck und Laitenkopf. Täglich werden wir Zeuginnen der Holzschlägerungsarbeiten, bei der uns schon der Anblick der Gerätschaften ehrfurchtsvoll staunen lässt. Es ist ein langer Hatscher und wir entschließen uns, doch nur bis zum Ebeneck zu gehen. Das letzte und schönste Stück Weg bis zum Gipfelkreuz bleibt uns verwehrt. Ich bin zu müde und das Wetter schlägt um. Wir müssen beim Raufgehen immer miteinberechnen, dass der ganze Rückweg noch vor uns liegt. Das ist für mich relevant. Meine Tochter ist um 26 Jahre jünger, die muss noch nicht so planen, sondern einfach drauflosgehen. Wir vertragen uns gut. Auch sie braucht Zeit für sich. Fast mehr als ich.Vom Ebeneck bringen wir ein paar Wacholderzweige mit zur Almhütte. Ich will ein paar verschenken. Sie tragen Hochgebirge in sich gespeichert.

3.August
40
Obwohl nix los ist, überschlagen sich die Ereignisse. In der Früh bin ich heute die erste Ausgeschlafene. Vor der Hütte bricht der Morgen langsam an. Ich möchte die beiden anderen Almgäste nicht wecke, so gibt es vorerst keinen Kaffee. Ihn zu machen würde bedeuten, Holz zu holen, einzuheizen, mit dem Geschirr zu klappern, also zu viel Lärm zu machen. Ich trinke nur ein Glas Wasser, erledige meine Morgentoilette im Freien und verrichte die Rückenübungen auf der Wiese mit Blick ins Tal. Der Todl-Hund besucht mich. Natürlich ist der Hund kein Todl, er ist der Hund vom Nachbarn, dem Jäger, dem Todl. Der Hund tut so, als wäre ich in sein Jagdrevier eingedrungen, dabei ist es umgekehrt. Gott sei Dank bin ich nur ein bisschen erschrocken. Er zieht ab, nachdem ich ihm gesagt hab, dass ich keine Freundin von Hunden und Todln bin.

41
Auf einer anderen Nachbaralm gibt es auch einen neuen Brunnentrog. Das sehen wir bei unserem Spaziergang, der dort vorbei führt. Auch hier kümmert sich eine junge Frau um die schweren Almarbeiten. Sie steht auf Frauen. Im Moment ist sie allerdings mit einem Baggerfahrer liiert und bildet mit ihm eine Vernunftgemeinschaft. Sie braucht seine Arbeitskraft. Er braucht Sex. So können sie einander unter die Arme greifen. All das erfahren wir auf diesem Spaziergang. Das Wasser am Brunnen schmeckt frisch.

42
Wir verstauen die Sachen, die wir aus dem Weinviertel mitgebracht haben, wieder im Auto, ziehen die Bettwäsche von den Betten, genießen ein letztes ausgiebiges Frühstück vor der Hütte, schauen hoch, schauen runter, bleiben langsam, spülen, fegen, gehen. Das ist der Teil der Reise, der schwer macht. Melancholisch. Gut, wir haben uns gesammelt und sind sommerfrisch aufgestellt. Die Tochter nimmt schwer Abschied.  Ich auch.

MORGEN

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Das Grab meines Vaters ist ein Blumenmeer.

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Ich fühle mich wohl in meiner Sommerhaut. Das Gehen tut ihr gut. Und das viele Schlafen.

4. August
45
Gertraud, Resi, Sigrid, Maria. Kleines Klassentreffen. Wir fünf Frauen haben es lustig miteinander. Die Erinnerung daran, wie ich mich als junges Mädchen gefühlt habe, wird wach, als wir uns über alte und neue Zeiten unterhalten. Wir tauschen uns über Schicksalsschläge, gute Taten von Mitmenschen, Vermisstenanzeigen und die beste Lasagne im Mölltal aus. Wir reden über die Verrücktheiten unserer Altvorderen und Enkelkinder. Wir reden über die stillen Übereinkünfte, die das Zusammenleben erträglich oder sogar lebenswert machen und wir reden von der Mühe, die das tägliche Putzen der Gästezimmer mit sich bringt. Wenn wir von der ewigen Liebe sprechen oder uns unausgesprochen unserer Vergänglichkeit bewusst sind, weil viele von uns schon gestorben sind, dann sind wir uns nahe wie eh und je. Wir lachen viel miteinander. Der Unterschied zu meinem jetzigen Leben ist nicht groß und gleichzeitig liegen Welten dazwischen.

46
Kurz vor der Heimreise kaufe ich mir noch beim Fleischhauer Kärntner Geschmack ein. Dort arbeiten zwei meiner ehemaligen Schulkolleginnen. Ich werde vorzüglich bedient.

5. August
47
Am ersten Nachmittag, den wir im Tal verbringen, schauen wir uns pflichtbewusst die Miniaturbauernhäuser eines Einheimischen an. Sie sind in einem Stadl ausgestellt. Für den Bastler ist es Psychotherapie, diese Kleinode herzustellen, weil ihm seine Bäuerin entschwunden ist.  Die Häuschen gefallen mir, ich kenne die Originale. Kunsthandwerke, fast mehr Lebewesen als Häuser. Die skurrile Situation erinnert mich an unseren Volksschulausflug ins Minimundus. Der Künstler macht eine Führung für uns. Er kommt dabei ganz außer Atem. Das alte Muschnighaus gefällt mir am besten. Mam`s Tante Symphorosa hatte darin gelebt, vage erinnere ich mich daran. Es war ein Haus mit Seele. Leider wurde es in den 90er Jahren abgerissen. Fotos mussten als Grundlage für die Nachbildung reichen.

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Ein einheimischer Bauer setzt sich zu uns an den Kaffeehaustisch. Er bewirtschaftet 3,7 Hektar schräge Wiese. Er braucht keinen Traktor. Das Heu wird den steilen Hang von oben nach unten gerecht oder geblasen und mit Seilwinden auf die Tenne transportiert. Heuer gab es 190 Buren. Das ist viel. Für die Bewirtschaftung der besonderen Flächen bekommt er 6.900 Euro Ausgleichszahlung im Jahr. Sein Hof ist der viertsteilste Hof in Kärnten. Im normalen Leben ist der Bauer Elektriker. Ich fordere ihn dazu auf, mich doch ein bisschen zu belügen, mich mit ein paar Geschichten zu unterhalten. Diese Aufforderung gefällt ihm.

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Der Mitarbeiter des Dorfkaffees ist Holländer, genau wie seine Arbeitgeber. Sie sind von Holland nach Pockhorn bei Heiligenblut gezogen, weil Holland bald untergeht. Er hat die Ausbildung zum Weinakademiker in Krems gemacht und mixt mir einen sehr süßen Campari Soda.

NACHHER

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Ich führe viele Kleinigkeiten (wieder) zusammen.

51
Ich kann es mir aussuchen, ob ich vor mich hintümple, trauere oder ob ich am Morgen den Kopf in Richtung Himmel strecke und den neuen Tag wie ein unbeschriebenes Blatt empfange, willkommen heiße; wimwenderslike.

52
Wieder überkommt mich das Gefühl, dass mir die Tage zu kurz werden.

53
Eine Frau sein, die ein gesegnetes Leben führt, eine Frau, die jeden Tag das Leben ausprobiert, als wäre es immer wieder ein neues, überraschendes Geschenk

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Beim Hofer entdecke ich in der Ausverkaufkiste eine Hollerstaudenpflanze. Das heißt: Jemand ist auf die Idee gekommen, Hollerstauden zu verkaufen. Ich verstehe!

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