Das letzte Hemd. Abteilung 17. Notizen.


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Für kurze Zeit kommt Kaffeehausstimmung auf, als ich mit zwei Herren auf dem Balkon sitze und das Rauchen unser kleinster gemeinsamer Nenner ist.

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Was ist ihr Anliegen?

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Er (Jahrgang 1942) hatte als Kind extreme O-Füße. Die Ärzte rieten, sie zu brechen und zu schienen, um sie in Form zu bringen. Seine Mutter entzog sich dieser Tortur. In diesen Jahren spielte er oft am Wasser und hatte den Mund voll Sand. Ab und zu aß er Kalk von der Wand. Sein Organismus wusste instinktiv, dass ihm diese Mineralien fehlten. Seine Beine wuchsen von selbst. Wir sind alle Tiere.

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Der Pater schlägt vor, zu Ostern zu sterben. Einen Tag später revidiert er seine Ansage. Es wird wohl früher stattfinden. Der Arzt zögert noch, was er ihm alternativ vorschlagen soll. Ich halte Maria Lichtmess für eine gute Idee.

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Drei Menschen übersiedeln heute. Ein ganz normaler Montag, der stressig ist. Die Station ist adventlich geschmückt. Zwei Adventkalender zieren die Wände. Hinter der Glastür wartet ein nackter Christbaum auf seine Deko. Die Lichterkette schlängelt sich über das Balkongitter. Auf einem kleinen Tischchen steht ein Bronzepferd auf einem Tannenzweig.

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Gestern noch hatte er seinen Sohn angerufen, um ihm zu sagen, dass er schwer krank ist. Die Weihnachtsrituale die daheim gepflegt werden, kommen ihm in den Sinn. Vor einigen Jahren brachte er der Frau des Nachbarn am Heiligen Abend das Friedenslicht. Sie nahm es entgegen. Beim Tod des Nachbarn können sie sich die Hand geben und ein paar Worte wechseln. Seit dieser Zeit bittet sie ihn, ihr jedes Jahr, das Friedenslicht zu bringen.

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Die alleinerziehende Mutter von sechs Kindern konnte es sich nicht leisten, einen Christbaum zu kaufen. So zog der älteste Bruder jedes Jahr zu Weihnachten um die Häuser, um einen zu stehlen.

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Er möchte mir einen Kaffee machen und so setzen wir unser Gespräch in der Teeküche fort. Er will seine Gedanken ordnen. Er will Ordnung machen in der Werkstatt. Er will Ordnung machen mit dem Nachbarn, mit dem er zerstritten ist.

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Ein Patient kommt neu auf die Station.

Die Krankenschwester zeigt ihm sein Zimmer, den Stützpunkt, die Teeküche. Man sieht ihm an, dass er sich alle Mühe gibt, um diese „Führung“ an diesem ungewöhnlichen Ort wie selbstverständlich anzunehmen. Als würde er in einem Hotel einchecken. Hier kommst du rein, wenn Du schon geknickt bist, sagt er zu ihr. Er zieht sich eine dicke Weste an. Auf dem Rücken steht „Onkel Charly’s Hütte“.

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Zurzeit wohnt er aus beruflichen Gründen allein in einer Wohnung, weit weg von seinen Nahen. Er will sich nach den Feiertagen eine Wohnung in der Nähe seiner Freunde und seines Bruders suchen. Seinem Bruder, der „Wöd“ ist und der zwei Jahre und einen Monat jünger als er ist.  Er freut sich sehr auf die Herrenrunde zu Weihnachten daheim und darauf, sein Badezimmer, seine Fenster und Türen in der eigenen Wohnung zu sehen.
Weihnachten ist halt nur Weihnachten, wenn man zu Hause sein kann.

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Weihnachten daheim dauerte 22 Stunden lang.

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Zwei Frauen sind mit der Pflege beschäftigt. Durch die halb offene Tür sehe ich sie in ihren weißen Schürzen ruhig die Handgriffe machen, die sie machen müssen. Ein Mann stöhnt. Vermutlich plagt ihn ein Schmerz. Hier ist man immer auf der Suche nach der guten Schwester des Schmerzes, wie nennt sie sich noch mal?

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„Alles gut heute?“

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Heute riecht es nach frisch gewaschener Wäsche oder nach Waschküche. Jeder Tag ein anderer Geruch.

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Vom Gang herein höre ich Vokabeln wie „Tabletten“, „23691“, „Krankenstand“, „Gebietskrankenkasse“ und das Rascheln der weißen Schürzen der Krankenschwestern, die ein ganz bestimmtes Geräusch macht, wenn sie vorbeigeht. Ich wundere mich ein bisschen, wie ruhig es hier zwischendurch immer wieder ist.

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Die Kollegin fliegt bald nach Marokko und hofft, dass sie vorher nicht krank wird. Sie freut sich schon seit Jahren darauf, einmal um diese Zeit in den Süden zu fahren.

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Nach den beiden Gesprächen mit den Herren in Zimmer 6 und Zimmer 4 sitze ich im Aufenthaltsraum und höre der Klimaanlage zu. Sie ist das Lauteste hier, wenn nicht gerade jemand mit der Putzmaschine durch die Gänge rollt. Ich bin mir nicht sicher, ob es ein angenehmes Alltagsgeräusch ist oder ein störendes, lautes Unding.

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Er bittet mich, ihm 2 Schachteln blaue Chesterfields mitzubringen und drückt mir 11 Euro in die Hand, soviel werden sie kosten. Hier wird geraucht, ohne Rücksicht auf Verluste.

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Die Putzfrau räumt sehr verlässlich täglich den Geschirrspüler aus.  Außerdem ist sie sehr gut eingeschult und hat ein feinsinniges Gespür für diese Abteilung. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beidem. Sie achtet darauf, dass ich mit dem Gespräch fertig bin, bevor sie mit ihrer Arbeit im Krankenzimmer beginnt. Im Laufe der Zeit finden wir Vertrauen zueinander. So erzählt sie mir, dass alle ihre Kinder schon erwachsen sind. Dadurch fällt das Arbeitengehen leichter. Am Sonntag hatte sie Dienst bis zu Mittag. Sie lächelt stets mit dem gesamten Gesicht, wenn sie einen Gruß ausspricht. Ein paar Wochen später vermisse ich sie. Nach einer Umschulung arbeitet sie als Pflegerin auf einer anderen Station. Das kann sie sicher genauso gut.

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Die Narben und Falten auf seinem Körper erzählen Geschichten. Der rechte Mittelfinger, der in eine Walze geriet, ein Bänderriss am rechten Fuß, ein schwerer Karton, der auf ihn fiel – alles im Lager seiner Firma. Das Herz: Die Trennung von zwei Frauen, die er liebt.  Vor drei Jahren war er das letzte Mal mit einer von ihnen beim Griechen essen. „Griechisch essen, das ist gut.“, sagt er.

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Sie hat die Gabe, sehr differenziert über ihre Gefühle sprechen zu können. Von ihrer Trauer darüber, zu wenig gelebt und geliebt zu haben. Von ihrer Dankbarkeit, viele schöne und schwerwiegende Reisen mit den Kindern unternommen zu haben. Von ihrer mangelnden Kraft, Hoffnung zu entwickeln. Von ihrer Resignation, angesichts der oberflächlichen Beziehung zu ihren Eltern. Von ihrer Angst, es nicht zu schaffen. Von ihrem Wunsch, hie und da noch ein Glas Sekt mit Freundinnen trinken zu können.

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Wir verabschieden uns mit den Worten: „Hoffentlich sehen wir zwei uns nun lange nicht!“

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Da passt kein Blatt zwischen ihn und seine Frau.

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Der Musiktherapeut weist mich auf einen in seelische Nöte geratenen Menschen hin. Von Prüfungen und Qualen ist die Rede und von der Kunst des Verzeihens.

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Wir reden über Kleiderfarben. Ich ziehe mich gerne bunt an. Die Pflegerin trägt grau in ihrer Freizeit.

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Der Arzt zeigt mir, wie man Kaffee macht. Die Kaffeemaschine ist neu.

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Die Kollegin hat ein rotes Auge. Ein Äderchen ist geplatzt.

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Er ist nicht traurig, weil sein Vater gestorben ist. Das kommt manchen Menschen in seinem Umfeld ungewöhnlich, ja fremd vor. Der Begriff „Trauerromantik“ fällt. Er hat von seinem Vater gelernt, es anders zu machen, als dieser. Dafür ist er dankbar. Jeder trauert anders.

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Eine Kollegin isst eine Banane im Stehen. Ein Stück davon bricht ab und fällt zu Boden.

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Die Palliativschwester ist zufrieden darüber, dass der Küchenfußboden daheim neu gemacht wurde. Morgen hat sie dienstfrei und wird mit einer ehemaligen Kollegin so lange brunchen, bis alles gesagt ist, was gesagt werden muss.

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Ein Patient erzählt mir einen Witz: Kennen sie den schon? sagt der Postbeamte zum Kunden: „Der Brief ist zu schwer, da sind zu wenig Marken drauf, da müssen sie noch eine draufpicken!“ Sagt der Kunde: „Sind sie verrückt, dann wird er ja noch schwerer!“

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Die Frau erschrickt richtiggehend, als ich mich an ihrem Krankenbett als Seelsorgerin vorstelle. Ich versuche, sie vom ersten Schrecken abzulenken, indem ich sie auf ihre Katze anspreche, deren Foto auf dem Nachtkästchen steht. Ich denke, das ist mir gelungen. Sie lächelt und sagt „Mia“. Sie ist mir und dem Tod vorerst entkommen. In den Film mit Christiane Hörbiger, der auf dem Bildschirm des Fernsehers läuft und nach Hause nach Asparn. In einer Stunde wird sie vom Enkelkind dorthin abgeholt.

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„Ich muss mich doch als Palliativschwester vorstellen! Ich kann doch nicht schonungshalber sagen, ich bin die mobile Friseurin und komme, um eine schicke Frisur zu zaubern!“

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Ein Freund erreicht mich am Diensttelefon und bittet mich, seine kranke Nachbarin zu besuchen. In einem Nebensatz erwähnt er, dass er nun – zwei Jahre vor seiner Pensionierung – in der Arbeit nur mehr den schrulligen Alten geben möchte, bevor es zu spät dafür ist …

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Sie kauft sich ein Pferd um 10.000 Euro. Das Pferd hat blaue Augen und ist erst sechs Monate alt. Es könnte an die 30 Jahre alt werden. Reiten darf sie es erst ab einem Alter von zwei Jahren.

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 „Das wird schon. Wir halten zusammen und dann wird das schon!“

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Auf dem Tisch liegen zwei Blätter mit Zeichnungen. Darauf sind geometrische Figuren, ein Baum und ein Schmetterling zu sehen. Die Nachtschwester hat in den dunklen Stunden mit der jungen Patientin gemalt.

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Auf ihren Unterarmen trägt sie drei Tätowierungen. Jedes Tattoo ist eine Kombination aus Körper- und Pflanzenteilen. Aus einem Kopf wächst ein Blumenstrauß. Blätter wachsen aus abgeschnittenen Fingerkuppen. Ein Auge wird zu einem Blatt. Sie spricht darüber, dass ihre Trauer eine neue Dimension erreicht hat. Eine Trauer, die pure Einsamkeit ist. Der Einzige, der dieses Gefühl etwas aufbrechen kann, ist ihr Vater. Wenn er da ist, ist sie nicht allein.

Ihr Vater hört uns zu. Ich hoffe, er spürt die Liebe, die aus ihren Worten spricht. Sie wird ihm bleiben.

Heute ist sie gestorben. Lange hat ihr Leben auf diesem Erdenrund nicht gedauert. Sie liegt noch in ihrem letzten Bett, die beiden Schwestern haben die Verabschiedungsdecke über sie gelegt. Ich lege eine gelbe Rose, die mir der Gärtner aus dem Krankenhausgarten abgeschnitten hat, auf die Decke. Auf dem Nachttisch steht ein Engel. Ein Stein leuchtet. Der Vater packt ihre Sachen zusammen. Die Schwester gibt ihm noch Zeichnungen mit, die ihre Kinder daheim für die Patientin gemalt haben. Er sagt, seine Tochter sei nicht mehr hier in diesem Körper, der sei jetzt leer. Ab nun sei sie in seinen Gedanken. Darf das Band, das Freundinnen für sie geknüpft haben, an ihrem Arm bleiben?

Er wirft einen letzten Blick auf sein Kind und setzt sich etwas abseits mit dem Handy, um die Nachricht weiterzugeben.

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Er brauchte sie, um so leben zu können, wie er wollte. Sie waren eine Symbiose eingegangen. Man konnte den einen nicht mehr von der anderen trennen, ohne beide zu zerstören.

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Maßgeblich für mich ist die unaufgeregte geistige Arbeit im Alltag. Denken. Schreiben. Üben.

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„Ich hab’ etwas gesehen, das schön war!“, sagt sie und lächelt. Was wünscht man sich mehr für einen Tag?

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… die Zeit zu haben, auf dem Heimweg in Siebenhirten stehen zu bleiben, um mit einer Patientin Kaffee zu trinken…

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Sie hatte einen Herzinfarkt. Ihr kommen die Tränen, als sie nach dem medizinischen Eingriff erklärt bekommt, dass alles sehr gut gegangen ist.

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Ins Wasser gehen.

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Eine Schwester wünscht sich, dass einmal eine Hochzeit auf der Palliativstation gefeiert wird.

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Die Frau ist erschöpft, sie ist gelb im Gesicht, sie erbricht Stuhl und es ekelt sie sichtlich davor. Sie möchte heute nur schlafen. Sie hatte bei ihrer Aufnahme ein großes Redebedürfnis. Ich konnte sie in dieser Phase aus Zeitgründen nicht besuchen und heute passt mein Besuch überhaupt nicht. Es gibt immer wieder so etwas wie einen richtigen Zeitpunkt, wenn man ihn versäumt, ist er vorbei. Das entlastet mich. Niemand von uns kann Unmögliches leisten.

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Sie erzählt mir von ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit im Pflegeheim, wo sie bis vor kurzem eine demenzkranke Bewohnerin regelmäßig besucht hat. Die verbale Sprache ist dieser Frau schon verloren gegangen. Das liebevolle Begrüßungsritual bestand darin, dass die Bewohnerin die Hände der Besucherin nahm, um sie zu wärmen: „Dann saßen wir da und hielten einander die Hände“.

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Zwei Frauen gehen nach draußen um zu rauchen. Eine wickelt sich den Schal um den Mund, weil sie keine Maske dabeihat.

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Im Aufzug begegne ich einem bettlägerigen Mann, der von einem Kollegen des Fahrdienstes von A nach B gebracht wird. Der Mann wirkt sehr verschreckt. Ich weiß nicht, ob er hören kann, ob er sehen kann. Ich lege meine Hand vorsichtig auf seinen Unterarm und spreche ihn an. Leider habe ich ihn dadurch nicht beruhigt, sondern noch mehr erschreckt.

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Die Schwester erzählt vom Wochenende:

Mit ihren Gästen aus der Ukraine fährt sie für einen Tag in die Therme. Dort wird sie Zeugin, wie ein 5-jähriges Kind ertrinkt. Es ist zwetschkenblau im Gesicht. Obwohl sie nur ein paar Sekunden hinsieht, geht ihr dieser Anblick nicht mehr aus dem Kopf. Wieder zu Hause angekommen, klettert die Katze der Gäste den Baum hoch und kommt nicht mehr von selbst herunter. So organisiert die Gastgeberin die Feuerwehr, um die Katze zu retten. Gott sei Dank ist man im Dorf diesbezüglich gut vernetzt. Dann meldet sich eine Bekannte, die sich ohne Computer kurzfristig das dringend benötigte Flugticket nicht organisieren kann. Sie bittet um Unterstützung. Der Nachbar findet seine Radlpumpe nicht. Kann sie aushelfen? Puhh!

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Wir reden über lange Einkaufslisten, die sie schreiben wird, damit ihr der Bruder die Sachen einkauft, wenn sie aus dem Krankenhaus entlassen wird. Falls sie nicht aus dem Haus kann, weil ihr linker Fuß sie im Stich lässt, ist es gut, vorgesorgt zu haben.

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„Nur die Harten kommen durch und davon nur 10 %…oder waren es doch nur 3?“

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“I hob an Schwoaf wia a Kotz!”

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Er ist wie ein scheues Reh.

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Wenn er sich vorbeugt, um ein Glas zu heben, fährt ihm der Schmerz in den Rücken.

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Der Mann sitzt im Bett und spielt am Handy. Zwischendurch kippt er weg in einen leichten Schlummerschlaf. Sobald er wieder aufwacht, spielt er weiter, um nach geraumer Zeit wieder wegzuschlummern. So lange, bis ihn ein junger Mann vom Hol- und Bringdienst zur Physiotherapie ins Untergeschoss begleitet.

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Der Arzt sagt: „Wir können im Moment nichts für Sie tun.“ Der Patient sagt: „Vielen Dank, ich fühle mich hier sehr gut aufgehoben …“

58

Stronsdorf ist für diese Familie der Mittelpunkt der Welt.

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Was ihn hält? Dass seine Frau „nach Hause geht“, dass er an einen Gott glauben kann, der dieses Zuhause ist, die Erinnerungen an Wochenendurlaube nach Paris, in die Therme, zum Wandern …

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Seine Frau trägt den gleichen Vornamen wie ich. Martha. Es ist für mich nicht unwesentlich.

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Was das für ein Unterschied ist: ausschließlich in sein Antlitz zu schauen, weil er heute zu keiner verbalen Äußerung in der Lage ist oder ein längeres Gespräch mit ihm zu führen.

Er erzählt sein Leben, als würde er es vor meinen Augen malen. Zuerst ist da die weiße Leinwand, mit jedem Satz, mit jedem Absatz kommt eine neue Szene dazu. Er tut es in ausdrucksstarken Details, ohne dafür viele Worte zu gebrauchen. Er spricht von der Kindheit, die noch unschuldig, voller Geheimnisse und Schnee war. Er spricht von einem großen Haus in einem fernen Land, in der seine Familie gemeinsam mit fünf Katzen und fünf Hunden im Garten lebt. Er erzählt von einer Zeit in Tirol, von den Bergen und Wäldern zum Skifahren und von der nahen Stadt mit dem Gasthaus, in dem seine Mutter allein wirtschaftete und sich vor den unberechenbaren Gästen fürchtete, während sein Vater als Taxifahrer Geld verdiente. Er erzählt von seiner Mutter, die ihn schon als kleines Kind in Obhut einer anderen Frau gab, weil der Bruder nur ein knappes Jahr nach ihm geboren wurde und sie tagsüber nicht die Kraft hatte beide Kinder zu beaufsichtigen. Er erzählt vom Gspusi seiner Mutter, einem Mann, der als Beschützer für sie eintrat, den der Vater allerdings dann verprügelte, als die Geschichte aufflog, er erzählt von seinem Seelenmenschen, der Tante, die ihm Herzensbildung beibrachte, weil er die Mutter nie nahe zu sich herangelassen hatte, ohne genau zu wissen, weshalb, er erzählt von der Schwester, mit der er sich zerstritten hat, er erzählt vom eigenen Sohn, auf den er stolz ist, vor allem seine junge Kindheit hat er in vollen Zügen genossen, er erzählt von einem Talent, das er besitzt, nämlich nicht neidisch zu sein. Er erzählt davon, stets großzügige Löhne gezahlt zu haben, er erzählt davon, dass er sehr viel Geld in den Sand gesetzt hat.

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Er sieht heute wie eine Armseligkeit aus. Er kauert in Empbryonalhaltung im Bett. Es gibt nichts zu sagen.

63

…das letzte Hemd

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Ich spreche ihn auf seine dunkelblauen Augen an. „In jungen Jahren wäre ich darauf eingestiegen, aber jetzt nicht mehr.“  Ich sage nichts darauf, denke mir jedoch: „Warum nicht?“

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Er habe nicht genug Geld für seine Beerdigung, sagt er. Er will deswegen den Bürgermeister anrufen. Er möchte eingeäschert werden und seine Asche soll in seine Heimat gebracht werden.

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Sie sagt zu den Menschen, die ihr Zimmer aufsuchen: „Sie betreten mein Hoheitsgebiet!“

67

Sie wird von Tag zu Tag schwächer. Ihr Sohn ist ihr täglicher Lichtblick. Er liest aus einem Buch vor, das sie mag. Bald wird sie sterben und er wird ihr großes Haus erben, das ihre letzte Heimat war. Alles ist anders, wenn die Eltern nicht mehr da sind. Solange ein Körper existiert, ist der Mensch greifbar im wahrsten Sinne des Wortes. Erfahrbar. Ein Körper, der Wärme abgibt und ausstrahlt.  Und dann „… bist du plötzlich nicht mehr da…“. Übrig bleibt das leere Haus. Übrig bleibt die eigene Körperlichkeit, die jetzt (noch! und hoffentlich gut!) weiterlebt ohne Altvordere.

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Ich verschenke Brot und Salz als Segensgabe.

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Die Krankenschwester erzählt vom Sohn, der in der Weltgeschichte herumfliegt und wie sehr sie sich mit ihm darüber freut, mit ihm mitzuleben. Zu Ostern werden sie für die Mutter und die Schwiegereltern kochen. Der Sohn wird in New York feiern und sich nach der Rückkehr zum Physiotherapeuten ausbilden lassen.

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Die Frau ist auf meinen Besuch vorbereitet. Sie empfängt mich in aufrechter Haltung. Ganz zu Beginn des Gespräches steigen ihr ab und zu Tränen in die Augen. Sie hat nicht erst die vergangenen Tage dazu genutzt, zu ordnen, abzuklären, zu organisieren, die Karten auf den Tisch zu legen und ihren Lebensschatz zu sichten: „Alles ist geordnet. Außer den Gefühlen. Manchmal muss ich weinen. Ich bin dankbar. Ich bin letztendlich auch einverstanden mit der Situation, dass ich meine ältere Tochter nicht mehr sehen will. Sie hat mir übel zugesetzt. Ich lerne damit zu leben, dass ich nicht mehr die Glucke sein kann. Darüber hinaus hatte ich ein wunderbares Leben.“

Ich sehe ihr Abgeklärtsein in ihrem Antlitz: Der Lidstrich ist fein gezeichnet. Die Lippen sind leicht geschminkt.

„Ich möchte nicht als Schwein wiedergeboren werden. Ich bin gespannt, wie das sein wird nach dem Tod, ob überhaupt was sein wird. Vielleicht sehe ich meine Eltern und Geschwister wieder? Wie das beim Sterben sein wird? Hoffentlich nicht zu schwer. Ich hoffe, dass ich möglichst wenig oder keine Schmerzen habe. Ich wünsche mir einen Leichenschmaus bei meinem Begräbnis und dass sich die Gäste Geschichten von mir erzählen und Erinnerungen teilen.“ 

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Rückbesinnung ist ein Symptom von Krankheit.

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Die Trauer der jungen Witwe sitzt tief. Die Nachbarschaftshilfe im Dorf sieht so aus: Schon bei der zweiten Einladung zum Essen sitzt „zufällig“ ein Junggeselle mit am Tisch. Sie will sich jetzt eine Kittelschürze kaufen.

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Auf der Karte im Postfach steht: Immer ein nettes Lächeln, ein offenes Ohr und immer gut gelaunt. So kennen und lieben wir dich. Danke!

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Sie hat ein Leben lang viel gearbeitet und wenig Geld verdient. Sie war selbstbestimmt. Sie hat 5 Kinder geboren und zusätzlich einen Enkelsohn seit seinem 2. Lebensjahr aufgezogen. Sie liebt Tiere. Seit 12 Jahren kämpft sie mit und gegen den Krebs.

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Die Frau des Patienten ist mit dem dritten Kind schwanger. Die Schwester sagt nach dem Aufnahmegespräch zu mir: „Er ist genauso alt wie ich! … Nur nicht zu viel denken …“

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Mittlerweile soll er nur mehr eine Zigarettenlänge lang sitzend am Balkon verbringen. Alles andere ist zu belastend. Die Tränen, die ihm runterinnen, sind ihm peinlich.
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Der Fußboden bebt, weil der Hubschrauber auf dem Krankenhausdach landet.

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Im Bücherregal steht ein Buch mit dem Titel: Geht Sterben wieder vorbei?

79
https://www.khmistelbach.at/allerheiligenkalender/

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