Vogel

1
Jetzt finde ich die Ruhe, die schon vor langer Zeit installierte Vogel-App auf meinem Handy zu aktivieren. Ich nehme eine Vogelstimme auf und innerhalb von einer halben Minute meldet mir eine Datenbank vom Naturhistorischen Museum zurück, um welchen Vogel es sich handelt. Ich bin fasziniert von dieser technischen Möglichkeit und noch mehr vom Reichtum der mich umgebenden Welt. Meine Sehnsucht wächst, unterschiedlichste Namen für die Freiheit zu finden. Heute heißt sie „Zilpzalp“.

2
Morgen heißt sie „Nachtigall“. Ich erinnere mich an den Begriff „Stutz“, so wird sie im Mölltal genannt, die Nachtigall. Dieser unromantische Name ist sicher seiner Körpergröße und dem unspektakulären Federkleid geschuldet. Dabei hält ein Nachtigallenmännchen durchschnittlich 180 Strophen bereit, ein körperloses Werben, bei dem nur das Gehör entscheidet. Nichts und niemand soll mich daran hindern, heuer einen Nachtigallensommer zu erleben. Auf das durchdringende, perlenklare Singen hinzuhören. Es unterscheiden zu lernen von jenem des Rotkehlchens, das sich laut Kim Mortega wiederum „wie ein Vorhang aus goldenen Wassertropfen“ anhört. Ich werde mir im Unterholz ein Nest bauen.

3
Das Leben eines Vogels ist grundverschieden von meinem.
Vögel sind immer schon da. Für kurze Momente begegnen wir einander. Ich vermute, dass sie für mich wichtiger sind, als ich für sie.

4
Noch bestimmt der Weinviertler Winter die  Landschaft. Nebel, Feuchtigkeit und Dämmerung. Den ganzen Tag. Wir sitzen vor der Teichhütte im Wald, in warme Tarnkleidung gehüllt und sprechen ein Gebet. Wir sind dabei, einen Hund zu taufen. Denn, weshalb soll es der Hund nicht auch so gut haben wie wir? Der Zelebrant segnet das Wasser und schüttet es großzügig über den Täufling. Die Patin zündet eine Kerze an. Der Pate nennt den Namen. Wir sehen einen Eisvogel dicht über der Wasseroberfläche dahinzischen.

 

 

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