Haut
1
Mein größtes Sinnesorgan, frech, charmant und trostreich.
2
Heute verraten Dich Deine Gesichtszüge. Wenn der Mund etwas ganz anderes spricht, als im Gesicht zu lesen ist. Die Mischung aus der Stellung jeder einzelnen Falte, des Glanzes der Augen und der Farbe der Haut. Die Muskeln lassen sich nicht kontrollieren während der beschwichtigenden Rede. Sodann die Worte nicht zum Gesagten passen. „Ich bin ganz leicht“ – und die Haut aschfahl, bläulich grau. „Was für ein schöner Tag“ – und die Mundwinkel hängen herab. Vor allem aber sind es die Lachfalten rund um die Augen, die Dich verraten, die wie ein Trauerflor die Wange hinab fallen, während Du sagst, dass alles gut ist.
3
Ein kurzer Adrenalinstoß aus Wehmut und Ungeduld sucht mich heim, während ich den Christbaum abräume. Ich verspreche mir, Weihrauch noch bis zum zweiten Februar aufzulegen. Diesen Luxus gönn ich uns. Vor der kleinen Maisstrohkrippe zünde ich die Kerze an, lege etwas Schimmerndes dazu zum langsam heller werdenden Tag. Hoffentlich bleibt mir diese schwere Zartheit erhalten, bis mir wieder Frühlingsflügel wachsen.
4
Es geht mir ab. Zu zwölft im Kreis sitzen. Einander anschauen. Einander zuhören.
5
Ich stelle den eigenen Sarg als Sitzbank im Schlafzimmer auf.
6
Wir suchen Schutz in einer leeren Kirche.
7
JedeR leistet zurzeit Außergewöhnliches.
8
„Am Ofen links steht noch Tee für dich.“
9
Ich sehne mich nach der Wucht eines Wasserfalles auf der nackten Haut.
10
Ich berühre nichts an dir. Nicht deine Hände, nicht deine Wange und kein Hauch meines Atems streicht über dein Gesicht. Eine neue Nähe ist spürbar. Sie hat sich verlagert in unsere Gedanken, in unsere Rede und in das Blinzeln unserer Augen. Wenn ich an dir vorbeigehe, gebe ich dir einen Luftstupser.