Kirschen
1
Die Welt wird mit Scheiße geflutet. Zumindest in den Nachrichten und Berichterstattungen. Reicht es, dieser Tatsache Schönheit entgegenzusetzen? Natürlich braucht diese Zeit eine Haltung. Eine Antwort. Oder reicht ein Schrei?
Reicht es, daheim weiterhin den Boden zu reinigen und Staub zu wischen? Empathisch an Krankenbetten zu sitzen und ein Gedicht auswendig zu lernen?
2
Das Nichtsprechenkönnen darüber, wofür man gebrannt hat und vielleicht noch brennt, breitet sich so weit aus, dass es ganz still um mich herum wird.
Wenn ich diese Stille in die wild-wüste Welt stelle, wie sie sich mir jetzt zeigt, denke ich sofort an früher, also an meine Kindheit, meine Jugendzeit. Ich habe damals richtig gelegen mit meinem Hang zur Einfachheit. Ich übe an mir paradoxe Interventionen, werfe das Gegenteil dessen als Frage zurück, was ich mir selbst als Frage stelle. Ich buchstabiere mir ganze Sätze mit der Zungenspitze auf den Gaumen, wo sie niemand verstehen kann. Aber es ist einerlei – wie sehr ich mich auch anstrenge, ich bringe keine Saite zum Klingen.
3
Wir besuchen ein uns unbekanntes Winzerehepaar im Burgenland, das den Weinbau im Nebenerwerb betreibt. Wir wollen ein paar Weine verkosten. Aber irgendetwas stimmt nicht. Und das liegt nicht am Wein. Die Kostproben schmecken gut, die Weine sind natürlich ausgebaut. Nach einer Viertelstunde sitze ich verspannt auf meinem Gartensessel. Nach einer halben Stunde bekomme ich sehr starke Kopfschmerzen. Nach einer Dreiviertelstunde ist mir zum Kotzen und wir verabschieden uns rasch. Es ist ein Idiot auf jedem Hof. Und manchmal sind es zwei.
4
Er schenkt mir ein selbst zusammengestelltes Büchlein über Morandi. In der Stille die ganze Welt sehen, sich nicht wegbewegen müssen, sich dem Malen von Naturbildern ausliefern. Am Boden bleiben. So entzieht sich alle Zeit der Welt.
5
Ich versage bei Belastung.
6
Ich suche nach neuen Ekstaseräumen und finde sie unter einem Kirschbaum, der voller reifer Kirschen hängt.