Tod

1
Auch das geht vorbei.

2
… heute denke ich dabei vor allem an die, die ich mitnehmen muss, weil nur noch ich mich an sie erinnere. Solange ich lebe, gibt es diese Menschen und diese Bilder von ihnen noch, danach nicht mehr.

3
… der schwarze Rabe, den sie auf dem Fensterbrett der Wohnung der Tante am Tage ihres Todes begrüßt …

… die Maus im Todeskampf am Schlafzimmerboden mitten in der Nacht …

… eine große, weiße Vogelfeder auf dem Gehsteig vor mir … ein unvermutetes Zeichen von Stillstand mitten im geschäftigen Treiben …

4
Der Tod ihres Mannes hat sie in einen Abgrund fallen lassen. Die Witwe erhofft sich durch die Feier eines Abschiedsrituals zu ihrem Hochzeitstag einen Lichtblick. Aspekte der neu gewonnenen Freiheit stehen dabei im Mittelpunkt. Zum Beispiel die Erleichterung darüber, dass sie nun keine Beziehungsarbeit mehr leisten muss. „Bis dass der Tod Euch scheidet“.

5
Sie haben ein kleines Loch gegraben, keine zwei Meter tief. Die Urne der Tochter wird an zwei Schnürchen hinuntergelassen. Im Nachhinein wird der Vater sagen: „Selbst meine Katze habe ich würdevoller begraben!“

6
Eine Arbeitskollegin sagt treffender Weise zu mir: „Ich möchte mich nicht kennen, würde ich nicht diesen Krankenhausseelsorgejob machen! Ich würde meinen kleinen Wehwehchen viel zu viel Raum geben.“

7
Ich möchte die Melancholie vertreiben. Wenn ich an mein Leben und meine Liebsten denke, denke ich daran, wie wir wohl sterben werden. Das ist meinem Beruf geschuldet. Nachdem mir der Tod immer näher rückt, und der Gedanke daran immer selbstverständlicher erscheint, möchte ich mich darin einüben, ihn links liegenzulassen. Also nicht den Tod, aber das stete Definieren über ihn und das Planen aus ihm heraus. Er kommt ohnehin. Also ist er kaum so wichtig wie das Leben, weil er ja Teil davon ist und nicht das alles Bestimmende. Ich meditiere mit mehr Leichtigkeit.

8
Wir begleiten meinen Onkel auf seinem letzten Weg von der Kirche über den leicht ansteigenden Weg hinauf zum Friedhof. Etwa auf halber Strecke steht eine brennende Kerze an jener Stelle, an der er vor einer Woche während dieses Ganges von der Kirche zum Friedhof zusammengebrochen und gestorben ist. Er hatte selbst einem Begräbnis beigewohnt, mitten in der Schar der anderen Teilnehmenden erlitt er einen Herzinfarkt. Da half nichts mehr. Es waren nur mehr 100 Meter bis zur Leichenhalle, die Bestatter waren sowieso anwesend und konnten ihn gleich dorthin bringen. Wie gesagt, ich war ja nicht dabei, die brennende Kerze auf halbem Weg, die hat mich sehr berührt …

„Ich bin gleich so weit, muss noch sprengen!“, sagt der Mann, bevor er vom Friedhof herauf zu uns auf die Straße kommt.

Meine Nichte zeigt uns ein Foto eines riesigen Friedhofs an der Küste Marokkos, unmittelbar neben dem Badestrand. Meine Mutter meint, ob da wohl alle Leichensäfte ins Meer fließen?

Auf dem St. Marxer Friedhof sehe ich zum ersten Mal in meinem Leben zwei Grünspechte. Eine Ratte sehe ich auch. Nicht zum ersten Mal in meinem Leben. Es ist liebenswert, dass die grantigen Wiener Geld dafür freigeben, einen seit rund 200 Jahren stillgelegten Friedhof zu pflegen. Auf den Grabsteinen finden sich unter anderem folgende Inschriften:„Auf irdische Trennung folgt seelische Vereinigung“; „Alexandrine Petruzzi, betrauert von ihren Eltern und Geschwistern“; „Karoline Eckstein, beweint von ihrer Mutter“.

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Friedrich II (ca. 1783+) wurde letztendlich nach vielen Umwegen und auf seinen Wunsch hin neben seinen Jagdhunden in Potsdam begraben. Ich kenne da jemanden, der möchte das auch, neben seinen Hunden begraben werden. Er lebt noch. Wir sind gerade dabei, das zu organisieren.

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Sie lässt sich ihre Urne töpfern. Der Bestatter, dem sie davon erzählt, sagt: „Da verlange ich dann aber Stoppelgeld!“

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Das Leben jenseits des Todes interessiert mich nicht, darüber nachzudenken ist eine Zeitverschwendung, es gibt im Jetzt so unendlich viel zu erleben.

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Wenn ich einmal tot bin, freue ich mich sicher am meisten darüber, dass ich nie wieder in einem Warteraum bei einem Arzt sitzen muss!

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Ich richte mir ein Erinnerungsglas, in dem ich lauter Knöpfe sammle.

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„Wir können jetzt so weiterleben, nebeneinander, bis zur Kiste, oder …“

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