Kindheit


1
Im Kaffeehaus schreit ein junger Vater seine Frau und seine zwei Kindern an: „In welche Scheiße habt Ihr mich denn geritten?!“ Der Zweijährige weint, weil er von der Bank gefallen ist. „Der Bursche geht mir so am Arsch wenn er dauernd rauf und runter will!“. Die Frau stillt das Baby und versucht zu schlichten: „Du musst den Kleinen in den Arm nehmen, er braucht Körperkontakt!“. Der Vater poltert weiter. Zwischendurch hängt er am Handy und managt lautstark seinen erfolgreichen Startup Betrieb. Am Telefon ist er wie ausgewechselt. Freundlich, eloquent, humorvoll. Ich gehe leider nicht zur Frau hin um ihr zu empfehlen, sich lieber heute als morgen von diesem Menschen zu trennen. In diesem Fall ist scheint mir ein Alleinerzieherinnendasein auf jeden Fall einfacher!

2
Wir trinken Grünen Veltliner im Rüdigerhof. Sehr wienerisch. Der Wein schmeckt nach Österreich. Die Spaghetti schmecken so, wie bei meiner Mutter daheim. Die Nudeln sind ganz durch.

3
Ich halte mich angeblich zu 99 Prozent unter Kontrolle. Diese Zuschreibung erschreckt mich.

4
Die berühmte Schriftstellerin sagt, alles worüber sie schreibt, sei in ihrer Kindheit grundgelegt.

5
Im Gespräch mit meiner Schwester kommt Mutter vor. Natürlich. Wenn es darum geht, dass wir Geschwister es gelernt haben, stark zu sein und viel zu leisten. Dass fünf von uns sechs Frauen sind, ist ein Detail am Rande. Wenn jetzt mit zunehmendem Alter die Kräfte schwinden, müssen wir sie besser einteilen. Wir werden uns ein Spiel daraus machen, nein zu sagen.

6
Ein ehemaliger Arbeitskollege ruft mich rund um die Feiertage an. Er hat eine verschrobene Sprache und mittlerweile einen vergangenheitsverliebten Blick auf eine untergehende Welt voller Wärme und Zauber. Ich lasse mich ein. Ich denke an die Stube bei meinen Großeltern zur Weihnachtszeit. Ich liege im Bett über dem Kachelofen. Rund um mich eine dunkelbraune Wandtäfelung. Die königrufende Kartenrunde am Tisch, im Eck dahinter die Krippe, umrahmt mit Fichtenzweigen, selbstgebastelten Papierblumen und Lametta. Ich schlafe ein und werde geweckt von der Stille nach dem Kartenspiel. Die Anwesenden nippen andächtig an den Schnapsgläsern.

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