Jetzt

1 In der Neuropsychologie sagt man, das, was das Gehirn als reine Gegenwart empfindet, umfasse ein Zeitfenster von drei Sekunden. Diese Information blendet mich so, als ob ich direkt ohne Sonnenbrille ins Licht schaue.

2
Mitten im Winter riecht es nach Akazien. Er riecht nach Körper. Die räumlichen Gelegenheiten, Sex zu haben, ergeben sich auch bei schlechtem Wetter manchmal von alleine. Kauf mir doch eine Sanduhr, sagt sie.

3
…………Freund David sagt: Das Jetzt ist nicht in der Zeit, die Zeit ist vielmehr im Jetzt. Wenn wir uns an die Vergangenheit erinnern, ist sie im Jetzt, wenn die Zukunft kommt, wird sie nicht als Zukunft sondern auch als Jetzt erfahren……

……………

S. Eliot.: Alles ist immer jetzt………………

……………unversehrt………

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….Schwebezustand Konzentration………

4
Zunehmend gefällt mir das Realistische am Festhalten des Augenblicks immer weniger. Das ständige Gewahrsein der eigenen Präsenz. Diesem Bemühen, ganz da zu sein, fehlt jegliche Poesie.

5
Wie gesagt, in Venedig habe ich mir eine neue Brillenfassung gekauft. Spontan, ohne Vorbereitung. Der Sinn stand mir nach einer kräftigen Brille, die aufträgt und mich dahingehend adelt, eine dieser typischen Nonnas zu sein (expressive Aufsteckfrisur, große Ohrringe und sonst noch allerhand Geklimper um Hals und Arme). Wieder daheim angekommen, bringe ich das erworbene Schmuckstück zum Optiker meines Vertrauens. Natürlich wird er ein Glas nach meinen Sehbedürfnissen einpassen. Aber vorher müsse man diese Fassung an meinen Nasenrücken anpassen und überlegen, ob Glas oder Kunststoff mit Tönung die bessere Wahl sei; oder lieber ohne, also, so einfach sei das wiederum nicht. Wir vereinbaren einen Termin. Bei diesem würde ich auf Herz und Nieren geprüft. Denn schließlich stehe mein zukünftiges Sehvermögen auf dem Spiel. Diese eingehende Untersuchung dauert eine Stunde und 50 Minuten. Mit diesen Messungen könne er weiterarbeiten. Für einen erneuten Termin zu einer neuerlichen Anpassung kontaktiert er mich telefonisch. Diese Prüfung und anschließende Aufklärung dauern nur mehr 50 Minuten. Jetzt werden die Gläser bestellt. Kunststoff. Die können dann alles, was mein Auge nicht mehr kann: Ferne, Nähe, ausgelotete Blau- und Grüntöne, Kratzfestigkeit, … Beim nächsten Termin möchte ich sie abholen, die Brille. Doch ich liege ziemlich falsch! Etwas sei beim Einpassen des Glases kaputt gegangen und nun müsse man, … Um das Ganze abzukürzen: insgesamt hatte ich bis jetzt fünf Dates mit meinem Optiker, zwischendurch einige Telefonate. Bei einem sagt mir ein Mitarbeiter, dass mittlerweile das unvollendete Kunstwerk firmenintern zur Brille des Jahres gekürt wurde – denn normalerweise dauert ein Brillenkauf plus Anpassung höchstens 14 Tage. Wann darf ich bloß diese Wunderbrille mein Eigen nennen, um durch sie in eine neue Welt zu blicken?

 

 

 

 

 

 

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