Paar

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Die Autofahrt über die Großglockner Hochalpenstraße (bildschön und spektakulär) und die Zugreise von Salzburg nach Zürich (entspannt und verträumt) sind besonders. Der Zug ist nicht voll, es gibt einen Speisewagen und ein langsames Herantasten an die Mitreisenden.  

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Die Beiden, die wir in der Stadt besuchen, sind ein Hit. Seit 30 Jahren sind sie ein Paar. Sie leben in getrennten Wohnungen, zusammen mit Büchern und Kunstwerken. Ein respektvolles Nebeneinander. Gezankt wird trotzdem. Man hört gerne zu, wenn sie erzählen. Zum Beispiel von ihren großen und kleinen Lieben. „Meine Kinder, Deine Kinder, unsere Kinder…“. Sie passen nicht so recht in diese aalglatte Stadt, die langweilig daherkommt. Wie soll ich mir hier Robert Walser, Bruno Ganz oder Pipilotti Rist vorstellen?

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Er: Mein erstes Date mit ihr hatte ich im „Weißen Wind“. Da servierten sie Stierhoden als Spezialität. Diese Probe bestand sie. Ich brachte sie mit dem Auto nach Hause, verabschiedete mich leidenschaftlich. Daraufhin erwiderte sie: „Verschwinde schnell, sonst nehme ich Dich mit ins Haus!“

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Wir schlendern mit ihm durch das Uni-Gelände. Ich befrage ihn nach drei Ringen an seinen Fingern. Der Siegelring, von der Mutter geschenkt, und der Ring seines Sohnes, den er seit dessen Tod trägt. Den dritten, einen ägyptischen, gibt es doppelt. Der andere fand Platz an ihrem Finger: vor vielen Jahren, während eines Fluges in die deutsche Heimat, hoch in den Lüften, als improvisierte Hochzeit an ihren Finger gesteckt.

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Er: Bei einem Antiquitätenhändler sehe ich eine Taschenuhr, begutachte sie, finde Gefallen an ihr, denke mir, ich muss ja nicht alles haben, was mir gefällt, und verlasse unverrichteter Dinge den Laden. Das schöne Stück geht mir nicht aus dem Sinn. Am darauffolgenden Tag bin ich so weit, zu denken: Warum soll ich denn nicht haben, was mir gefällt! Ich gehe zum Händler. Die Uhr ist weg. Schon verkauft, leider! Ein halbes Jahr später bekomme ich sie von ihr als Geschenk verpackt zu Weihnachten.

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Sie: „Alles in Butter!“

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Am Abend sitze ich in seiner Wohnung auf der Terrasse und schaue auf die Stadt hinunter. Frisch geduscht, gestärkt mit Kaffee und Schweizer Schokolade. Nach dem gemeinschaftlichen Tagesausflug mit dem Schiff über den See auf die Insel Ufenau bin ich jetzt alleine. Auf seinem Terrassentisch steht eine Buddhafigur, in der Ecke lehnt eine Krippe, geschnitzt aus einem großen Stück Holz. Räucherwerk, Kerzen und Tabakbesteck. Ein Aschenbecher, aus Beton gegossen. Ornament. Auf dem Betonsockel eine lebensgroße Mutter-Kind-Skulptur. Hier wird wohl meditiert. Auf einem Holzbrett an der Wand macht ein Engel einem anderen scheinbar einen Einlauf, daneben:  ein Frauenakt. In der Wohnung gibt es sicher zehn solcher Akte. Er mag Frauenkörper.
Im Badezimmer hängen fast ausschließlich Fotos von ihr; im Wohnzimmer ein überdimensionales Ölporträt von ihr. So hat er sie immer bei sich, wenn sie getrennt von ihm lebt.

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Vor dem Schlafengehen trinken wir Champagner aus den Moser-Gläsern seiner verstorbenen Mutter. Sie haben einen breiten Goldrand aus 14 karätigem Gold.  Das Geschirr, das die Englische Königin verwendet, war gerade gut genug für seine Mutter.

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Am Morgen serviert mir der Mann schlaftrunken eine Tasse Kaffee. Fein gemahlenes Kaffeepulver, ein Stück Schokolade, aufgebrüht mit kochend heißem Wasser. Er ist noch kein Greis, aber schon lange auf der Welt. So wie früher trägt er Schwarz. Die Pyjamahose ist lang und weich, das T-Shirt ausgebleicht und schlottrig an seinem Körper hängend. In der Besteckschublade liegt Silberbesteck.

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Sie wohnt unten. Der Barockengel wirft seinen Schatten durch den Glasterrassenboden nach oben zum Nachbarn. Dieser fühlt sich gestört. Vom Schatten des Engels. Philipp Roth schreibt von seinem Wunsch, jeden Abend die reinweiße Unterhose gleich einem Engel in den Wäschekorb werfen zu wollen.

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Hemina, das Maß des heiligen Benedikt von Nursia für die tägliche Ration Wein. Im Kloster Einsiedeln wurde entschieden, es in 50 cl-Flaschen abzufüllen, obwohl niemand genau weiß, wie viel der Vorschlag des Heiligen beinhaltete.

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Unter der Bahnhofstraße, da liegen die Goldbarren. In dieser Stadt geht es nicht um Gefühle. Hier fehlt ein heftiger Crash. Oder wenigstens Dreck auf den Straßen. Alle sprechen Dialekt. Niemand fährt schwarz. Alles solide. Alles höflich. Alles in Erd- und Steinfarben. Alles unbeweglich. Nur nicht das Wasser. Der Fluss hier heißt Limat. Ich nehme das Wort wie Eis auf die Zunge.

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Er: Bescheidenheit ist die widerlichste Form des Egoismus, sagte mein Großvater. Daraufhin macht er mir noch eine Tasse Kaffee.

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Sie arbeitet an einem Text über zwei sich ähnelnde Gemälde, die eine osteuropäische Braut darstellen. Warten ist der Titel.

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Das jahrelange Leben im slowakischen Dorf war die Erfüllung eines Traumes. Es war allerdings zu viel. Zu viel Arbeit. Zu viel offensichtliche Korruption. Zu wenig Sicherheit.
Außerdem kann man hier, wenn man will, dem Leben offiziell ein Ende setzen.

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Die Beiden kennen Kapitalismus und Kommunismus von Innen. Ersterer behält die Oberhand. Weil seine Korruption verdeckt ist. Und scheinbar demokratischer. Leszek Kolakowski hilft denken. Und Bruder Klaus möge uns alle beschützen. Zum Schluss zitiert er den Sonnenhymnus des Echnatons. Um leichter zu werden im Kopf. Es fügt sich alles, weil alles vergeht.

„Schön erscheinst du im Horizont des Himmels,
du lebendige Sonne, die das Leben bestimmt!
Du bist aufgegangen im Osthorizont
und hast jedes Land mit deiner Schönheit erfüllt.
Schön bist du, groß und strahlend,
hoch über allem Land.“

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Bis zur Abfahrt meines Zuges dauert es noch. Es regnet. Die Menschen tragen Gummistiefel. Mein Mantel ist schon nass. Ich muss mir einen Regenschirm kaufen. Ich nehme einen blau-weiß-schwarz gestreiften.
Im Bahnhofsrestaurant stellt die Kellnerin mit großem Schwung Teelichter in geschmackvollen Behältnissen auf die Tische: „Ein bisschen Stimmung in den tristen Tag!“  Der Mann am Nebentisch jammert, ihm fehle die Frau dazu. Die Kellnerin: “Aber da laufen ja so viele vorbei, ist denn keine für sie?“
Auch hier wirft ein hängender Engel seinen Schatten. Diesmal nach unten. Ein „Philosophisches Ei“ mäandert hoch oben durch die Fensterfront. Ich denke an Wien und verstehe: Daheim in Wien.

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