Begleiten


1
Jahrelang schon gehen sie zu dritt, hintereinander, Tag für Tag und nehmen immer den gleichen Weg für ihren Spaziergang. Vorne die Tochter und mit einem Abstand von 200 Metern dahinter das Elternpaar. Sie nehmen für das große Ausschreiten täglich den gleichen Weg, vorbei an meinem Garten, von wo aus ich sie sehen kann. Einander im Schweigen begleitend, das Tagwerk vertretend, den Feierabend eingehend. Wie leben sie, wenn ich sie nicht sehe?

2
Ich werde Dich führen, wohin Du nicht willst.

3
Ich beobachte, dass es sich manchmal mit Lebensgefährt*innen, die in den späteren Jahren in ein Leben treten, so verhält, dass diese neuen Beziehungen in einer eigentümlichen Distanz wachsen. Einer Mischung aus Respekt und Kühle. Zu müde, sich noch einmal Hals über Kopf in ein neues Leben zu zweit zu stürzen, tut sich zum Gegenüber der späten Jahre ein verspielter Zwischenraum auf: sich bekochen lassen mit Obst und Gemüse der Saison, gemeinsam am Tisch sitzen, die Zungen in die heiße Suppe stecken, sie sich freiwillig verbrennen, versalzen ist sie nicht, den Mund noch einmal aufreißen…    .

4
Unlängst kommen wir in ein Gespräch darüber, welche zeitgenössischen Bauten uns gefallen. Das allererste Gebäude, das mir einfällt, ist unsere Leichenhalle. Seit einem halben Jahr gibt es sie. Und schneller, als mir lieb ist, stehe ich als Hinterbliebene in ihr, erlebe, wie ein Raum Gefühle steuert. Das Begräbnis ist ein traurig unabänderlicher Anlass, die Verstorbene in einem für den Tod annehmbaren Alter (es steht mir natürlich nicht zu, das zu behaupten) von uns gegangen und mein Abschiedsschmerz gilt zu gleichen Maßen den Erinnerungen an die unwiederbringliche Leichtigkeit der Kindertage und der Tatsache der eigenen Vergänglichkeit. Der Raum, ein zur Gänze geöffnetes Tor gleich einem Scheunentor, die Wand gegenüber eine Glasfront. Sichtbare Landschaft rundherum. Ich kann unbeobachtet entscheiden, ob ich meinen Blick in den Wolkenhimmel hefte, den nahen Wald oder an die Menschen, die zur Linken und Rechten der Toten Platz finden. Ich vermurmle den Lebenskreislauf mit den sich wiederholenden Gebeten, sehe den Zirbensarg selbstverständlich in unserer Mitte, weil doch gleich daneben eine frisch gemähte Wiese zu riechen ist, ein Flugzeug über den Himmel zieht und der Wind das Haar meiner Trauernachbarin zerzaust…

 

 

 

 

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