Krematorium


1
Die Tochter nimmt sich von Omas letzten Dingen drei Mäntel, zwei Hüte, zwei Paar Schuhe, eine Jacke, ein paar Leiberl, Schmuck und einen Rosenkranz. Dass wir nun endgültig ihr Haus ausräumen, berührt uns alle auf unsere eigene Art und Weise. Man ist durch den Wind, traurig, möchte möglichst schnell alles hinter sich bringen. Der Auftrag, bescheiden zu leben und freundliche Kompromisse zu finden, liegt in der Luft. Wir sind alle mittendrin im Sterben.

2
Erst heute sehe ich zum ersten Mal die Spinnerin am Kreuz. Ich besuche eine Ausstellung im nahen Wasserturm. Der Park rundherum ist gut gepflegt. Der Bezirk rundherum ist nicht meins.

3
Erst heute besuche ich zum ersten Mal ein Krematorium. Ich bin Teil einer Gruppe von 20 Menschen; wir nehmen an einer Führung teil: In Österreich gibt es 17 Krematorien, davon vier in Niederösterreich. Unseres hat eine Ofenlinie. Am Ende bleiben von uns drei bis fünf Kilogramm Asche übrig. So viel Gewicht wie zu Beginn unseres Lebens. In zwei Stunden ist alles vorbei, dann wird aussortiert und gemahlen. Diese Asche sollte nicht geteilt werden. Es gibt Ausnahmen. Manchmal für Handschmeichler oder manchmal 300 Gramm für einen Stein. Die Urnenkapsel wird oft von der Post verschickt. In dieser Verbrennungs- und Versandkette gibt es derart viele Möglichkeiten, Fehler zu machen, dass man das Ganze nun doch nicht zu ernst nehmen sollte. Das ist mein Resümee nach dem Besuch.

4
Erst heute besuchen wir das Grab eines von vor einem Jahr verstorbenen Freundes in Plavecky Štvrtok. „Du bist im Angesicht der Menschen, doch kann man deinen Weg nicht sehen. Echnaton“, lesen wir auf dem Grabstein. Wir sehen die stilisierte Darstellung der ägyptischen Sonnenscheibe. Ihre Strahlen führen nach unten, jeder Strahl endet in einer kleinen Hand. Wir sehen auf einem anderen Bild zwei herabhängende Arme mit geöffneten Händen. Unser Freund umarmt uns.

5
Die Grabpflege gehört zu den wichtigsten Dingen in einem Dorf. Ich setze nachts heimlich ein paar Pflanzen auf das Grab meiner Schwiegermutter. Ich möchte dabei nicht gestört werden. Sie fehlt mir nicht. Das ist eine Erkenntnis, die mich sehr wundert.

6
„Es blühte hinter ihr her“ – sagt eine Freundin über ihre verstorbene Mutter.

7
Ich liebe die scharfe Latwerge in den Buchteln.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert